Nicaragua | Nummer 301/302 - Juli/August 1999

„Endet das Schweigen“

Von den Anfängen der Nicaragua-Solidarität

Am Anfang der Solidaritätsbewegung mit Nicaragua stand ein Besuch des Priesters Ernesto Cardenal in der Bundesrepublik. Ziel war, das Schweigen über die Verbrechen der Somoza-Diktatur zu beenden und Hilfe für die Befreiungsbewegung FSLN zu organisieren.

Hermann Schulz

Der erste Besuch Ernesto Cardenals in der Bundesrepublik Deutschland im Februar 1973 galt in 26 Publikumsveranstaltungen und zahlreichen Presseauftritten zwar der Vorstellung seines poetischen Werkes, war aber mehr noch Zeugnis und Tribunal gegen die Somoza-Diktatur.
Weihnachten 1972 war Managua durch ein Erdbeben fast völlig zerstört worden. Der Priester und Dichter sammelte Geld für die Opfer und informierte über die skandalösen Bereicherungspraktiken des Diktatorenclans. Mit diesem Besuch wurden wichtige Grundlagen für die spätere organisierte Solidaritätsarbeit gelegt; vor allem im Bereich der evangelischen Kirche, denn fast nur dort wurde seine Art revolutionären Christentums akzeptiert.
In der Universität von Köln traf Cardenal mit Dorothee Sölle zusammen. Die gemeinsame Veranstaltung vor rund 200 Studenten übersetzte ein junges nicaraguanisch-spanisches Studentenehepaar, Enrique Schmidt Cuadra und Marivi Schmidt de Urquijo. Beide verschwanden zunächst wieder aus meinem Gesichtsfeld.
Im Sommer 1977 rief der Kölner Studentenpfarrer Schmidt an und informierte mich, Enrique Schmidt sei in Managua wegen (verbotener) gewerkschaftlicher Tätigkeit verhaftet worden, ob ich eine Idee hätte, was man tun könne. Der Ökumenereferent im Landeskirchenamt Düsseldorf, Pfarrer Jürgen Schroer, war sogleich bereit, an die nicaraguanische Regierung zu schreiben und Enrique als wichtigen Mitarbeiter kirchlicher Arbeit zu reklamieren. Die Initiative gelang, Enrique Schmidt kam frei und nach Deutschland zurück. Er und seine Frau besuchten mich in meinem Büro im Peter Hammer Verlag in Wuppertal, um sich für die Hilfe zu bedanken. Gleichzeitig sprach Enrique über die FSLN, die nicaraguanische Befreiungsbewegung – und daß man nun Schluß machen wolle mit der Diktatur. Dazu sei eine starke Solidaritätsbewegung und internationale Öffentlichkeit in Europa wichtig.
Wir beschlossen die Gründung einer Zentrale in Wuppertal mit dem bürgerlichen Namen „Büro Nicaragua“; das Vereinsregister Wuppertal akzeptierte das Vorhaben unter „Informationsbüro Nicaragua“. Aus naheliegenden Gründen sollte das Büro nicht die gleiche Anschrift haben wie der Peter Hammer Verlag. Ein Verlagsmitarbeiter jener Zeit, Helmut Lotz, fand eine Lösung: Die Adresse einer Freundin namens Angelika Pappe in der Ravensburger Straße. Beide, Lotz wie Pappe, wurden engagierte Mitarbeiter der ersten Stunde. Den Slogan („Endet das Schweigen“) für das erste Plakat und andere Veröffentlichungen fand der befreundete Journalist Jochen Klicker, heute beim Deutschlandradio in Berlin. Wenig später bezog das Informationsbüro eigene Räume in der Friedrichstraße.

Ideologische Zerwürfnisse bestimmten die Soliarbeit

Enrique Schmidt hatte Freunde unter den nicaraguanischen Studenten an mehreren Universitäten, darunter José Argüello (Tübingen), José Davila (er verließ später die Solidaritätsarbeit mit Hinweis auf radikale Tendenzen in der FSLN und kam nach der verlorenen Wahl 1990 als Botschafter der Regierung Violeta Chamorros nach Bonn), Willibald Fredersdorf (Lübeck) und andere. Sie bildeten die Basis für Arbeitsgruppen an Universitäten, die früheren Kontakte aus den ersten Cardenal-Lesungen erwiesen sich als nützlich, wenn es darum ging, auf Kirchentagen und in Gemeinden die Sache der Befreiung Nicaraguas in Gremien verschiedener Art zu vertreten. Man kann sagen, daß die ersten Kontakte außerhalb der Universitäten im politischen Protestantismus angesiedelt waren (Gewerkschaften, Autonome Gruppen, DKP, KPDML, Naturfreunde etc. kamen später dazu). In diesen Kreisen liefen wir mit unserem Anliegen offene Türen ein, zumal zeitgleich im Ökumenischen Rat in Genf leidenschaftlich über die Hilfe für Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt diskutiert wurde.
Pfarrer Uwe Seidel aus Düsseldorf (später Köln) gründete die „Hungerhilfe Nicaragua“, die später mit der „Christlichen Initiative Romero“ in Münster zusammengelegt wurde; Pfarrer Reinhard Tietz in Berlin organisierte für Cardenal (im Januar 1979) den ersten Auftritt vor der Synode der evangelischen Bischöfe; bei „Brot für die Welt“ und „Dienste in Übersee“ gab es Kontakte, wie sie bei katholischen Organisationen damals so nicht möglich waren. Der Verdacht, sozialistische Tendenzen zu verfolgen, traf ja auf die meisten aus der Solidaritätsszene zu; andererseits war bekannt, daß viele nicaraguanische Bischöfe sich nur halbherzig für die Befreiung von der Diktatur engagierten. Gleichzeitig waren aber auch Befreiungstheologen aus Nicaragua und Spanien in den Reihen der FSLN-Kämpfer oder vertraten auf andere Weise die Sache der Befreiung. Auf katholischer Seite blieb es bei Einzelkontakten, zum Beispiel zu Johann Baptist Metz aus Münster, der 1980 die Laudatio in der Frankfurter Paulskirche hielt, als Ernesto Cardenal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt.
Mit dem Sieg der FSLN begannen, vor allem in Deutschland, die ersten ideologischen Zerwürfnisse innerhalb der Solidaritätsszene, ausgelöst zum Beispiel durch Fragen, ob man mit deutschen (damals sozialdemokratischen) Regierungsstellen zusammenarbeiten könne, ob das Zusammengehen mit den Kirchen nicht den Zielen des Sozialismus widersprach. Inzwischen war die Nicaraguabewegung durch die unermüdliche Tätigkeit Enrique Schmidts überall in Europa stark geworden. Die ideologischen Streitigkeiten in der Bundesrepublik, die Schmidt nicht verhindern konnte, blieben weitgehend auf Deutschland beschränkt.

Hermann Schulz war Mitbegründer des „Informationsbüro Nicaragua“ und ist heute Leiter des Peter Hammer Verlags.

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