Argentinien | Nummer 511 – Januar 2017

“ES GEHT UM DIE VOLLSTÄNDIGE KONTROLLE DER KOMMUNIKATION”

In Argentinien geraten Community-Medien zunehmend unter Druck

Seit der Wahl Maurcio Macris zum Präsidenten werden die Handlungsspielräume für Community-Medien zusehends enger. Massive Einschnitte beim progressiven Mediengesetz erschweren die Arbeit der unabhängigen Medienmacher*innen zunehmend. Die LN sprachen  mit der argentinischen Radiomacherin Sabina Mina über die aktuelle Situation.

Von Interview: Steffi Wassermann

Was hat sich in der argentinischen Medienlandschaft seit der Wahl von Macri geändert?
Die privaten Medien sind wieder im Aufwind. Ihnen kam der Machtwechsel sehr zupass. Der neue Präsident Macri ist ein Verfechter des schlanken Staates, der eigentlich wie ein Unternehmen funktionieren sollte. Für die freien und kommunitären Medien, die nicht kommerziell arbeiten, verschlechtert sich die Situation demnach zunehmend. Zum Beispiel beschneidet Macri das Mediengesetz immer weiter, das die Rolle der nicht kommerziellen Medien gestärkt hatte. Die Hoffnung, die wir mit dem Gesetz verbunden haben, war die Dezentralisierung der Medienmacht. Nun geht die Entwicklung wieder genau in diese Richtung.

Welche positiven Entwicklungen brachte das Mediengesetz aus Sicht der kommunitären Medien mit sich?
Um das zu verstehen, muss man sich den Medienapparat in Argentinien ansehen: Auf der einen Seite wurde er traditionell von privaten Medien beherrscht. Auf der anderen Seite nutzten die Regierungen in der Regel die staatlichen Medien zu Propagandazwecken. Das hat die Medienlandschaft extrem polarisiert, in der nur noch in schwarz-weiß-Kategorien argumentiert wird. Die Community-Medien zeichnen sich vielfach durch unabhängige und kritische Berichterstattung aus. Das Gesetz hat die Polarisierung nicht gelöst, uns unabhängige Medienschaffende aber gestärkt. Wir hatten viel Hoffnung in das Mediengesetz gesetzt. Viele unserer Forderungen wurden in das Gesetz aufgenommen. Wichtig ist allerdings zu erwähnen, dass es auch unter der Kirchner-Regierung nicht vollständig umgesetzt wurde und wir auch immer Teile davon kritisiert haben. Trotzdem hatten wir viel erreicht.

SABINA MINA arbeitet bei La Tribu, einem der ältesten Community-Radios aus Buenos Aires. Zu La Tribu gehört neben dem Radio auch ein Schulungs- und Kulturzentrum und eine Bar. In dem Schulungszentrum werden Kurse für Radio-Interessierte organisiert. Sabina Mina arbeitet seit ihrer Jugend bei La Tribu und organisiert technische Schulungen im ganzen Land, um Gemeinden beim Aufbau eigener Radios zu unterstützen. (Foto: Ute Löhning)

Diese Erfolge drohen nun aber wieder zunichte gemacht zu werden…
Ja. Zum Beispiel wurde die Kreditvergabe für Community-Medien suspendiert. Die Regierung spricht zwar offiziell von einer Evaluierung des Projekts, da es innerhalb der Kreditvergabe viel Korruption gegeben haben soll. Es ist richtig, dass die Kirchner-Regierung korrupt war. Für die Community-Medien bedeutet dies aber, dass bereits bewilligte Fördermittel nicht oder nur teilweise ausgezahlt werden. Das hat ganz praktische Konsequenzen in einem Land wie Argentinien, das eine sehr starke Inflation aufweist: Mit jedem Tag, mit dem sich die Auszahlung bewilligter Fördermittel verzögert, wird der Geldwert durch die Inflation weiter aufgefressen. Sollte das bewilligte Geld doch irgendwann ausgezahlt werden, ist es nur noch einen Bruchteil dessen wert, als zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag gestellt wurde. Damit können viele einzelne, bereits begonnene und geplante Projekte nicht umgesetzt werden.

Hat es dazu geführt, dass bereits die ersten Community-Radios schließen mussten?
Bisher glücklicherweise nicht. Wir Community-Radios haben allerdings auch genug Erfahrung darin, mit verschiedenen Regierungen und verschiedenen politischen Ausrichtungen zu leben. Deshalb haben wir gelernt, uns nicht nur auf den Staat zu verlassen, sondern auch immer Möglichkeiten zu suchen, uns unabhängig von ihm zu erhalten und alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Bei La Tribu, dem Community-Radio für das ich in Buenos Aires arbeite, sind das dann etwa internationale politische Stiftungen oder auch die hauseigene Bar, mit deren Einnahmen wir Radioprojekte finanzieren.

Macri hat am ersten Tag seiner Amtsübernahme einige Paragraphen des Mediengesetzes per Dekret kassiert. Warum hatte er es so eilig damit?
Aus unserer Sicht gibt es nichts, was diesen Akt rechtfertigen könnte. Ein Dekret darf ja eigentlich nur in besonders dringlichen Fällen erlassen werden. In seinem Erlass ist aber nichts zu finden, was diese Dringlichkeit rechtfertigen und erklären würde, warum er alle demokratischen Instanzen einfach so ausgeschaltet hat. Klar ist, dass es Klientelpolitik war. Klar ist auch, dass es um eine möglichst vollständige Kontrolle der Kommunikation ging. Und es ging ihm darum, eine Arbeit zu zerstören, die von den sozialen Bewegungen und den Community-Medien mit viel Zeit und Engagement aufgebaut worden ist.
Was Macri mit seinem Dekret getan hat, war die totale Beschneidung der Unabhängigkeit der Medien, indem er etwa das vormals unabhängig und dezentral agierende Aufsichtsratsgremium AFSCA (Autoridad Federal de Servicios de Comunicación Audiovisual) aufgelöst hat. Das AFSCA war unter anderem für die Lizenzvergabe und die Überwachung der Einhaltung der Gesetzesbestimmungen zuständig. Damit wurde eine der wichtigsten Errungenschaften des Mediengesetzes zunichte gemacht.

Durch die Macri-Regierung geraten linke und alternative Räume zunehmend unter Druck, es haben sich aber auch neue Allianzen gebildet. Wie sieht es bei den Community-Radios aus?
Bis vor kurzem gab es drei verschiedene Netzwerke, innerhalb derer die Community-Radios zusammengeschlossen waren. Grob gesagt war eines der Netzwerke kirchnertreu, das andere links und oppositionell zur Kirchner-Regierung; im dritten haben wir die Situation kritisch analysiert, ohne uns ideologisch einfach auf eine Seite zu schlagen. Untereinander waren die ersten beiden sehr zerstritten, eine Zusammenarbeit praktisch unmöglich. Durch den Machtwechsel setzte sich die Erkenntnis durch, dass wir unsere Kräfte bündeln müssen – um gemeinsamen Forderungen an die neue Regierung mehr Gewicht zu verleihen. Trotz grundsätzlicher inhaltlicher Differenzen haben wir uns auf einen Minimalkonsens geeinigt, etwa die Forderung nach der Freigabe der bereits bewilligten Förderkredite oder die nach der transparenten Durchsetzung der Sendelizenzvergabe. Auch haben wir uns mit anderen kommunitären Medien zu größeren Netzwerken zusammengeschlossen, um gemeinsame Forderungen besser artikulieren zu können.
Unter der Kirchner-Regierung konnten wir auch nicht alles durchsetzen, aber es wurde eine Dialogkultur gepflegt. Die Regierung unter Macri präsentiert sich ebenfalls am Dialog interessiert und wir haben gemeinsam beschlossen, fürs Erste auch mit dieser Regierung im Gespräch zu bleiben. Macri ist schließlich der gewählte Präsident und wir versuchen, trotz der schwierigen Situation das bestmögliche daraus zu machen.

Wie geht es jetzt weiter?
Schon während des Wahlkampfes verfolgte Macri die Strategie, das Mediengesetz anzugreifen und damit alle Errungenschaften für die Community-Medien infrage zu stellen. Das setzt er nun in seiner Politik fort. Deshalb sehen wir auch, dass es mehr Druck braucht. Noch befinden wir uns im Dialog, werden aber auch andere Formen der Mobilisierung entwickeln müssen, um unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Dafür brauchen wir auch die Unterstützung der internationalen Zivilgesellschaft, die sich klar gegen die Einschränkungen unserer Arbeit durch die Regierung Macri stellt.

DAS ARGENTINISCHE MEDIENGESETZ

Das Mediengesetz, 2009 unter Cristina Kirchner verabschiedet, hat Kontroversen ausgelöst. Die privaten Medienkonzerne, allen voran das Medienkonglomerat Clarín, sah darin eine Beschränkung der Medienfreiheit und zog bis vor das Verfassungsgericht. Letztendlich erfolglos. Für viele argentinische Medienschaffende nicht kommerzieller Medien war es dagegen ein wichtiger Schritt in Richtung Regulierung und Demokratisierung der Medienlandschaft. Das Gesetz war einerseits ein klarer Schlag gegen die privaten Medienkonzerne und stärkte andererseits die nicht kommerziellen und kommunitären Medien. Es löste zudem das alte Mediengesetz ab, welches noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammte und den privaten Medien weitreichende Privilegien einräumte. Zur Erarbeitung des neuen Gesetzes wurde während eines mehrmonatigen zivilgesellschaftlichen Dialogprozesses eine Reihe von Forderungen formuliert, die teilweise in das Gesetz übernommen wurden. Eine zentrale Errungenschaft war die Neuregelung der Fernseh- und Radiolizenzvergabe: diese sollte nun zu je zwei Drittel an private und staatliche Einrichtungen und zu einem Drittel an nicht kommerzielle Träger*innen gehen. Praktisch bedeutete dies, dass private Medienkonzerne sich gezwungen sahen, eine Reihe von Lizenzen abzugeben. Auch wurde die Kreditvergabe reformiert, die den Zugang zu Fördergeldern für nicht gewinnorientierte Medien erleichterte. Mit der AFSCA (Autoridad Federal de Servicios de Comunicación Audiovisual) wurde ein Gremium geschaffen, in dem sowohl Vertreter*innen der privaten und staatlichen als auch nicht kommerziellen Medien zu gleichen Teilen saßen und die Umsetzung des Mediengesetzes überwachen sollten.
// Steffi Wassermann

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