Exporte statt Menschenrechte
Über die deutsche Menschenrechtspolitik in Peru
Eigentlich hatte Hebe de Bonafini eine ganz andere Begrüßung in der deutschen Regierungshauptstadt erwartet: Geplant war ein offizieller Empfang der Gruppe durch den Bundestags-Unterausschuß für Menschenrechte. Dieser war jedoch kurzfristig ohne nähere Begründung abgesagt worden. Dem war die Ablehnung der Visaanträge zweier peruanischer Delegierter derselben Gruppe durch das Bundesaußenministerium vorausgegangen. María Fernández Rojas und Adilia Rojas, Mutter und Schwester der bei der Erstürmung der besetzten japanischen Botschaft in Lima getöteten MRTA-Guerillera Rolly Rojas, wollten auf ihrer Deutschlandreise über die Haftbedingungen insbesondere der MRTA- KämpferInnen in peruanischen Gefängnissen berichten.
Für die inhaftierten MRTA- Mitglieder, die häufig ohne Prozeß oder nach Schnellurteilen anonymer, maskierter Richter eingesperrt wurden, sind Tötungen, Isolationshaft, Folter und Besuchssperren an der Tagesordnung. Die Angehörigen von Rolly Rojas, ebenso wie die Mutter und Schwester des MRTA-Kommandanten Nestor Cerpa Cartolini, die als politische Flüchtlinge im französischen Exil leben und deshalb nach Deutschland einreisen durften, betonen, weder MRTA-Mitglieder zu sein noch jemals die Hand gegen den peruanischen Staat erhoben zu haben. Sie stellen sich für Peru eine Organisation der Angehörigen nach dem Vorbild der argentinischen „Madres“ vor, die gewaltfrei für die Aufklärung aller Fälle von „Verschwundenen“, die Bestrafung der Täter und die Verbesserung der Haftbedingungen politischer Gefangener streitet.
Madres in Deutschland unerwünscht
Das Pressereferat des Bundesaußenministeriums mochte die Ablehnung der Visa nicht begründen. Eine „Informationsreise“ der beiden Menschenrechtsvertreterinnen würde die deutsch – peruanischen Beziehungen belasten, teilte der Leiter der Lateinamerika-Abteilung des Pressereferats, Lindner, gegenüber der LN mit. Dies habe aber nichts mit einem Ignorieren der Menschenrechtslage in Peru zu tun. Lindner betonte, Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Organe in Peru seien immer ein Thema bei Gesprächen mit peruanischen Repräsentanten. Außenminister Kinkel führe in Menschenrechtsfragen eine „Politik des beharrlichen Dialogs“ mit Präsident Fujimori.
Es ist bemerkenswert, daß Deutschland als bisher einziges Land in Europa der Delegation von Menschenrechtlerinnen offiziell das Gespräch verweigerte. Über die Gründe dafür läßt sich nur spekulieren: Offenbar reichte es der Bundesregierung schon, daß es sich bei den Delegierten um Angehörige von MRTA-Mitgliedern handelt. Die hat ja bekanntlich zu Beginn der Botschaftsbesetzung auch deutsche Diplomaten als Geiseln festgehalten, und man befürchtete vielleicht so etwas wie eine Propaganda- und Rechtfertigungskampagne für die Botschaftsbesetzung. Mit einer solchen Argumentation begäbe sich die Regierung aber auf gefährliches Glatteis, würde sie sich doch Fujimoris Begriff von „Sippenhaft“ zu eigen machen und damit die reale Repression, der die Angehörigen Rolly Rojas‘ und anderer politischer Gefangener in Peru ausgesetzt sind, rechtfertigen und verstärken. Eine solche Argumentation erinnerte auch fatalerweise an die Haftbedingungen von mutmaßlichen RAF-Mitgliedern und Sympathisanten und die Bespitzelung und Repression gegen deren Angehörige in den siebziger und achtziger Jahren, einem der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland.
Fujimoris harte Hand stimuliert Investitionen
Die Liste der Menschenrechtsverletzungen durch den peruanischen Staat ist lang. Die deutsche Regierung muß schon gewichtige Gründe haben, angesichts Fujimoris Staatsterrorismus beide Augen zuzudrücken. Und die hat sie: Seit 1993 hat sich das Außenhandelsvolumen mit Peru beinah verdoppelt. Die Bundesrepublik ist inzwischen zum wichtigsten Handelspartner Perus in Europa avanciert und steht in der Liste der Außenhandelspartner Perus an fünfter Stelle nach den USA, Japan, Argentinien und Brasilien. Noch hält die unsichere Lage in Peru deutsche Unternehmen von Direktinvestitionen ab. Die deutsche Wirtschaft braucht daher eine erfolgreiche „Antiterrorpolitik“ eines Präsidenten mit „harter Hand“. Und dessen langer Arm reicht bis nach Deutschland: Zwar kann die Bundesregierung Fujimoris Bitte nach einer Auslieferung des in Hamburg lebenden MRTA-Sprechers Isaac Velasco nicht erfüllen, da jener hier als politischer Flüchtling anerkannt ist, doch forderte Bundesinnenminister Manfred Kanther die Hamburger Behörden auf, Velasco jegliche öffentliche politische Meinungsäußerung zu verbieten. Der Hamburger Innensenator wies dies allerdings aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken zurück.