Nummer 277/278 - Juli/August 1997 | Peru

Exporte statt Menschenrechte

Über die deutsche Menschenrechtspolitik in Peru

Da war selbst Hebe de Bonafini bestürzt: Rüde wurde die wortgewaltige Präsidentin der “Madres de la Plaza de Mayo” von Sicherheitsleuten und Polizeibeamten an­gerempelt und abgedrängt, als sie am 11. Juni vor dem Bonner Presseklub Journali­sten auf die prekäre Menschenrechtslage in Peru aufmerksam machte. Die Argenti­nierin, seit über zwanzig Jahren in Auseinandersetzung mit den Verbrechen der ar­gentinischen Militärs, und inzwischen Protagonistin weltweit sich organisierender Angehöriger von “Verschwundenen”, begleitete eine Delegation peruanischer “Madres” auf einer Informationsreise durch Europa, um diese mit ihrem politischen Gewicht zu unterstützen.

Christian Harkensee

Eigentlich hatte Hebe de Bonafini eine ganz andere Be­grüßung in der deutschen Regie­rungshauptstadt erwartet: Ge­plant war ein offizieller Empfang der Gruppe durch den Bundes­tags-Unterausschuß für Men­schenrechte. Dieser war jedoch kurzfristig ohne nähere Begrün­dung abgesagt worden. Dem war die Ablehnung der Visaanträge zweier peruanischer Delegierter der­selben Gruppe durch das Bun­desaußenministerium vor­aus­gegangen. María Fernández Rojas und Adilia Rojas, Mutter und Schwester der bei der Er­stürmung der besetzten japani­schen Botschaft in Lima getöte­ten MRTA-Guerillera Rolly Ro­jas, wollten auf ihrer Deutsch­landreise über die Haftbedingun­gen insbesondere der MRTA- KämpferInnen in peruanischen Gefängnissen berichten.
Für die inhaftierten MRTA- Mit­glieder, die häufig ohne Pro­zeß oder nach Schnellurteilen ano­nymer, maskierter Richter eingesperrt wurden, sind Tö­tun­gen, Isolationshaft, Folter und Be­suchssperren an der Tages­ord­nung. Die Angehörigen von Rol­ly Rojas, ebenso wie die Mut­ter und Schwester des MRTA-Kom­man­danten Nestor Cer­pa Car­to­li­ni, die als politi­sche Flüchtlinge im französi­schen Exil leben und des­halb nach Deutschland ein­reisen durften, betonen, weder MRTA-Mitglieder zu sein noch je­mals die Hand gegen den pe­ruani­schen Staat erhoben zu ha­ben. Sie stellen sich für Peru eine Or­ganisation der Angehörigen nach dem Vorbild der ar­gen­ti­ni­schen “Madres” vor, die ge­walt­frei für die Aufklärung aller Fäl­le von “Verschwundenen”, die Be­stra­fung der Täter und die Ver­bes­serung der Haft­be­din­gungen politischer Gefangener streitet.

Madres in Deutschland unerwünscht

Das Pressereferat des Bun­des­außenministeriums mochte die Ab­lehnung der Visa nicht be­grün­den. Eine “Infor­ma­tions­rei­se” der beiden Menschenrechts­ver­treterinnen würde die deutsch – peruanischen Beziehungen be­las­ten, teilte der Leiter der La­tein­amerika-Abtei­lung des Pres­se­referats, Lindner, gegenüber der LN mit. Dies habe aber nichts mit einem Ignorieren der Men­schenrechtslage in Peru zu tun. Lindner betonte, Men­schen­rechts­verletzungen durch staat­liche Organe in Peru seien im­mer ein Thema bei Gesprä­chen mit peruanischen Reprä­sen­tanten. Außenminister Kinkel füh­re in Menschenrechtsfragen ei­ne “Politik des beharrlichen Dia­logs” mit Präsident Fujimori.
Es ist bemerkenswert, daß Deutsch­land als bisher einziges Land in Europa der Delegation von Menschenrechtlerinnen offi­ziell das Gespräch verweigerte. Über die Gründe dafür läßt sich nur spekulieren: Offenbar reichte es der Bundesregierung schon, daß es sich bei den Delegierten um Angehörige von MRTA-Mit­glie­dern handelt. Die hat ja be­kannt­lich zu Beginn der Bot­schafts­besetzung auch deutsche Di­plo­maten als Geiseln festge­halten, und man befürchtete viel­leicht so etwas wie eine Pro­pa­gan­da- und Rechtfertigungs­kam­pagne für die Botschaftsbe­set­zung. Mit einer solchen Ar­gu­men­tation begäbe sich die Re­gie­rung aber auf gefährliches Glatt­eis, würde sie sich doch Fu­ji­mo­ris Begriff von “Sippenhaft” zu eigen machen und damit die re­a­le Repression, der die Ange­hö­ri­gen Rolly Rojas’ und anderer po­li­tischer Gefangener in Peru aus­ge­setzt sind, rechtfertigen und ver­stärken. Eine solche Ar­gu­mentation erinnerte auch fa­ta­lerweise an die Haftbedingun­gen von mutmaßlichen RAF-Mit­glie­dern und Sympathisanten und die Be­spitzelung und Re­pression ge­gen deren Angehö­rige in den sieb­ziger und achtzi­ger Jahren, ei­nem der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Men­schen­rech­te in der Bundes­republik Deutsch­land.

Fujimoris harte Hand stimu­liert Investitionen

Die Liste der Menschen­rechts­verletzungen durch den pe­rua­nischen Staat ist lang. Die deutsche Regierung muß schon ge­wichtige Gründe haben, ange­sichts Fujimoris Staatsterroris­mus beide Augen zuzudrücken. Und die hat sie: Seit 1993 hat sich das Außenhandelsvolumen mit Peru beinah verdoppelt. Die Bun­desrepublik ist inzwischen zum wichtigsten Handelspartner Pe­rus in Europa avanciert und steht in der Liste der Außenhan­dels­partner Perus an fünfter Stel­le nach den USA, Japan, Ar­gen­ti­nien und Brasilien. Noch hält die unsichere Lage in Peru deut­sche Unternehmen von Di­rekt­in­ve­stitionen ab. Die deut­sche Wirt­schaft braucht daher eine er­folgreiche “Antiterrorpolitik” ei­nes Präsi­denten mit “harter Hand”. Und dessen langer Arm reicht bis nach Deutschland: Zwar kann die Bundesregierung Fujimoris Bitte nach einer Aus­lie­ferung des in Hamburg le­ben­den MRTA-Sprechers Isaac Ve­las­co nicht er­füllen, da jener hier als politi­scher Flüchtling an­er­kannt ist, doch forderte Bun­des­in­nenmini­ster Manfred Kanther die Ham­bur­ger Behörden auf, Ve­lasco jeg­liche öffentliche po­li­tische Mei­nungs­äußerung zu ver­bie­ten. Der Ham­burger In­nen­se­nator wies dies allerdings auf­grund verfas­sungs­rechtlicher Be­den­ken zu­rück.

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