Kolumbien | Nummer 497 - November 2015

Freiheit, kein Freispruch

Unrechtmäßig festgenomme Aktivist*innen sind wieder auf freiem Fuß

Am 11. September gab es für die Bewegung Kongress der Völker eine positive Nachricht: Zwölf ihrer Aktivist*innen wurden aus den Gefängnissen entlassen, in denen sie seit Anfang Juli unrechtmäßig inhaftiert waren. Grund zu überschwänglichem Jubel ist das aber nicht.

Karolina Caicedo Flores, Übersetzung: Alois Vontobel

Trotz der Entlassung der Aktivist*Innen wirft der Vorfall neben der Frage, warum es überhaupt zu den widerrechtlichen Verhaftungen gekommen war, auch Bedenken auf, was die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) betrifft.
Der 11. September ist für Lateinamerika als Jahrestag des Putsches gegen die Regierung Salvador Allendes in Chile und der folgenden Militärdiktatur ein bedeutsamer Tag. Dass die Aktivist*innen des Kongresses der Völker genau an diesem Tag freigelassen wurden, entbehrt natürlich nicht einer gewissen Symbolkraft. Trotzdem geben die Umstände ihrer Verhaftung Anlass zur Sorge. Zudem sind die Aktivist*innen zwar wieder auf freiem Fuß, einen Freispruch bedeutet das aber nicht – der Prozess geht weiter.
Ihre Verhaftung am frühen Morgen des 8. Juli war eine öffentlichkeitswirksame Inszenierung. 15 Personen wurden im Beisein von diversen Medien verhaftet. Zwölf von ihnen, drei Frauen und neun Männer, sind Mitglieder im Kongress der Völker, einer kollektiv organisierten Basisbewegung, deren Grundgedanke es ist, die politische Macht ausgehend von der lokalen Ebene aufzubauen. Ihnen wurde eine Mittäterschaft an Bombenanschlägen vom 2. Juli auf eine Bank und eine Polizeiwache angelastet.
Die Vorgehensweise erinnerte ungut an eine gängige Praxis der Regierung Álvaro Uribes, die von 2002 bis 2010 regierte. Sie verhaftete unter anderem Aktivist*innen, Oppositionspolitiker*in-nen oder kritische Akademiker*innen auf ähnliche Weise und beschuldigte sie, über Verbindungen zu Guerilla-Gruppen zu verfügen. Mit inszenierten Erfolgen sollte der Bevölkerung positive Resultate im Kampf gegen die Guerilla und ihre Anhänger*innen geliefert werden.
Ein grotesk überdimensioniertes Polizeiaufgebot, angestiftet und begleitet von den Massenmedien, nahm die Aktivist*innen an jenem 8. Juli fest und bezeichnete sie als eine urbane Zelle der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Sie seien verantwortlich für die Anschläge und per se eine „Gefahr für die Öffentlichkeit“. Der Polizeidirektor wie auch Präsident Juan Manuel Santos nannten die Inhaftierung der Aktivist*innen einen Triumph für die Sicherheit Kolumbiens Hauptstadt.
An diesen Äußerungen lässt sich ablesen, unter welch großem Druck die aktuelle Regierung und Präsident Santos nach den Anschlägen gestanden hatten. Insbesondere die extreme Rechte aus dem Umfeld von Ex-Präsident Álvaro Uribe hatte viel Kritik geäußert. Obwohl die ELN sofort nach dem Ereignis als Verantwortliche ausgemacht worden war, verging bis zur Verhaftung der vermeintlichen Schuldigen fast eine Woche.
Dass die Verhaftungen jeder Grundlage entbehrte, war jedoch vom ersten Prozesstag an zu erahnen. Obwohl die Aktivist*innen anlässlich der Festnahme von den Medien noch als Verantwortliche für die Anschläge in Bogotá ausgemacht worden waren, wurden sie am ersten Prozesstag plötzlich wegen eines völlig anderen Delikts angeklagt. Ihnen wurde jetzt vorgeworden, bei Unruhen an der Nationalen Universität mitgemacht zu haben, wo sie Molotov-Cocktails auf Polizisten geworfen und einige von ihnen verletzt haben sollen.
Als ähnlich absurd wie dieser abrupte Wechsel des Anklagegrundes stellten sich die Beweise heraus, die während der folgenden Prozesstage präsentiert wurden. Vorgebracht wurden unter anderem Bücher über den bewaffneten Konflikt in Kolumbien, Poster und Flyer mit dem Begründer der Befreiungstheorie, Camilo Torres, abgehörte Telefongespräche ohne kompromittierende Inhalte und vage Gesichtsbeschreibungen eines Verdächtigen, der die in Kisten versteckten Bomben in die Nationale Universität gebracht haben sollte. Nichts davon war eindeutig belastendes Material.
Nur folgerichtig veranlasste der Richter in der Gerichtsverhandlung vom 11. September, in der sich die Beschuldigten eigentlich gegen die ihnen zur Last gelegten Sachverhalte wehren wollten, die sofortige Freilassung der Aktivist*innen – offiziell wegen eines „Verfahrensfehlers“ bei der unrechtmäßigen Verhaftung. Die Willkür der Festnahme war im Vorfeld von Sympathisant*innen und den Anwält*innen der Aktivist*innen wiederholt betont worden. Außerdem hatte es während ihrer über zweimonatigen Haft in Kolumbien und international starke Solidaritätsbekundungen gegeben. Diese Solidarität verschaffte den Inhaftierten laut ihren Briefen aus dem Gefängnis „große Freude und die bitter nötige Geduld.“
Nicht nur die Angeklagten und ihre Unterstützter*innen nahmen den Entscheid des Richters mit großer Freude auf. In alternativen Medien war von einem Zeichen des Mutes seitens des Gerichts zu lesen, insbesondere in Anbetracht des großen Drucks, den die Massenmedien rund um den Prozess aufgebaut hatten. Das Ziel der Angeklagten ist es jetzt, im weiteren Verfahrensverlauf ihre Unschuld zu beweisen und die Unrechtmäßigkeit derartiger Festnahmen anzuprangern, damit ihnen ein Ende gesetzt werden kann. Einige der Aktivist*innen äußerten aber auch Befürchtungen. „Wer garantiert nun für unsere Sicherheit, nachdem wir so bloßgestellt wurden? Wer steckte dahinter und stört sich jetzt an unserer Freiheit?“ Solche Fragen sind sicher berechtigt und wichtig, wenn man das Ausmaß, mit welchem die Massenmedien Stimmung machen und die nach wie vor delikate Situation von Mitgliedern sozialer Bewegungen in Kolumbien bedenkt.
Denn obwohl der vergangene 11. September für die Aktivist*innen und alle, die sich mit ihnen solidarisierten, ein guter Tag war, gibt der Zeitpunkt dieser Justizposse zu denken. Inmitten der Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla auf Kuba setzt die willkürliche Verhaftung von Aktivist*innen ein fragwürdiges Zeichen.
Einer der wichtigsten Punkte im Friedensprozess, der in spätestens sechs Monaten erfolgreich abgeschlossen werden soll, ist die Garantie auf politische Mitwirkung; das in einem Land, in dem Morde oder willkürliche Verhaftungen von politischen Aktivist*innen lange Zeit an der Tagesordnung waren. Daher wurde mit der Parole „Frieden ist Gerechtigkeit“ seit der Inhaftierung der Aktivist*innen auch immer wieder ihre sofortige Freilassung gefordert. Denn auch heute werden Mitglieder sozialer Bewegungen von Kolumbiens Staatsapparat immer noch grundlos verhaftet, um ein Klima der Angst zu schüren und jene Organisationen zu schwächen, die das politische und wirtschaftliche System des Landes offen in Frage stellen.

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