GESCHEITERTE ANALYSE
Hannes Bahrmann legt ein enttäuschendes Büch über Venezuela vor
In den vergangenen Jahren ist es auf dem Sachbuchmarkt ruhig geworden um Venezuela. Nun aber ist das laut Verlagsankündigung „erste deutschsprachige Buch“ erschienen, „das eine Bilanz der chaotischen Entwicklung der letzten Jahre zieht“. Wer es liest kann nur hoffen, dass andere Bücher folgen werden. Denn mit Venezuela. Die gescheiterte Revolution scheitert vor allem der Autor Hannes Bahrmann selbst. Nach ähnlichen Büchern über Kuba und Nicaragua schildert er in seinem jüngsten Werk Aufstieg und Regierungszeit von Hugo Chávez als die Geschichte eines Machtmenschen, der jegliche Entscheidung dem Ziel seines Machterhaltes unterordnet. Zwar ist vieles, was Bahrmann über Korruption, Misswirtschaft und Autoritarismus schreibt, im Kern richtig. Und die tragische Entwicklung des bolivarianischen Prozesses bietet in der Tat ausreichend Material, um ein Buch mit dem Untertitel „Die gescheiterte Revolution“ zu veröffentlichen. Doch dieses Scheitern ist bei Bahrmann bereits vor Beginn der Revolution unumkehrbar angelegt, Interesse an Grautönen hat der Autor nicht. Stattdessen unterschlägt oder missinterpretiert er viele Fakten so lange, bis sie in seine undifferenzierte Erzählung passen. So bedient er sich beispielsweise, ohne mit der Wimper zu zucken, Verschwörungstheorien oppositioneller Kreise, wonach seit 2004 angeblich alle Wahlen und Abstimmungen in Venezuela zugunsten der Regierungspartei manipuliert worden seien. Warum der Chavismus das Verfassungsreferendum 2007 oder die Parlamentswahlen 2015 verloren hat, vermag Bahrmann dementsprechend nicht zu erklären.
Die unbestreitbaren sozialen und politischen Errungenschaften aus Chávez’ Regierungszeit, die heute teilweise wieder verloren gegangen sind, oder die Bemühungen um eine lateinamerikanische Integration, sind ihm kaum eine Zeile wert. Und wenn doch, dann nur selektiv, um den Einfluss Kubas zu belegen – eines der wenigen Themen, das ihn wirklich zu interessieren scheint. Häufig unterlaufen Bahrmann kleinere Fehler, die auf unsaubere Recherche schließen lassen. Aber nicht nur das: Zentral ist eine Fehleinschätzung, die ernsthaft daran zweifeln lässt, ob sich der 1952 in Ost-Berlin geborene Autor überhaupt tiefer gehend mit seinem Sujet beschäftigt hat. So behauptet er, der sogenannte Sozialismus des 21. Jahrhunderts, den Chávez seit 2005 propagierte, sei das Konzept des in Mexiko lehrenden, deutschen Soziologen Heinz Dieterich. Tatsächlich gilt dieser als Erfinder des Begriffes. Doch strebt Dieterich die Schaffung einer Äquivalenzökonomie an, in welcher der Marktwert durch den Wert der in einem Produkt enthaltenen Arbeitszeit ersetzt werden soll. Bahrmann hält dies jedoch nicht einmal für erwähnenswert und scheint nicht zu wissen, dass Dieterichs „Konzept“ auf die konkreten Debatten in Venezuela schlicht keinen Einfluss hatte.
„In unserer heutigen Zeit werden wir alle von Informationen förmlich überschüttet“, schreibt Bahrmann in einer persönlichen Nachbetrachtung. Im Gegensatz zur Macht von Bildern, die etwa dem heroischen Guerillero oder auch Chávez huldigen, hätten es „selbst griffige Formulierungen, sauber herausgearbeitete Argumentationen und eine präzise Sammlung der Fakten“ schwer. Dies allerdings liegt in diesem Fall wohl weniger an der Macht der Bilder, als an den unpräzisen Fakten selbst. Vom Ch.Links Verlag ist man eigentlich seriösere Bücher gewohnt.
Richtigstellung: Als Autor der Rezension, von der sich Herr Bahrmann „diffamiert“ fühlt, muss ich mich in einem Punkt entschuldigen: Tatsächlich erwähnt er zumindest in der Einleitung, dass Heinz Dieterich, der Erfinder des Begriffes „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, eine so genannte Äquivalenztheorie anstrebt. Nur wurde dieses „Konzept“ weder an der Basis noch innerhalb der Regierung Venezuelas jemals ernsthaft diskutiert, sondern schlicht der Begriff von ihm übernommen. Bezüglich des verlorenen Verfassungsreferendums und der Parlamentswahlen habe ich indes nicht behauptet, dass der Autor darüber nichts geschrieben habe. Doch kann er die Ergebnisse innerhalb seiner eigenen Logik, wonach die Wahlen seit 2004 ja angeblich manipuliert worden seien, eben nicht nachvollziehbar erklären. An der grundsätzlichen Kritik an dem Buch ändert sich dementsprechend nichts.