Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Das Thema Friedensgespräche hat in Kolumbien Hochkonjunktur. Zumindest bei den beteiligten Akteuren. VertreterInnen der FARC-Guerilla und der Regierung treffen sich in regelmäßigen Abständen, um über staatliche Reformen zu beraten. Beide Seiten betonen, daß sich die Gespräche über viele Monate, wenn nicht gar Jahre hinziehen können. Zu tief sitzt das Mißtrauen, daß sich durch frühere gescheiterte Verhandlungen hartnäckig hält. Netterweise ist man kürzlich auf die Idee gekommen, via Bildschirm, e-mail und Podiumsdiskussion VertreterInnen der “normalen Gesellschaft” zeitweise an den Unterredungen zu beteiligen und ihnen Mitsprachemöglichkeiten zu geben. Ein absurdes Vorgehen – behaupten doch beide, die KolumbianerInnen zu vertreten. Es wird über, nicht mit der Bevölkerung verhandelt.
Die Jahrtausendwende zeigt ein Land, das auf dem Kontinent vielleicht seinesgleichen sucht. Die jahrzehntelange Gewalt zwischen Staat und Guerilla hat sich mittlerweile in allen Schichten etabliert. Gewalt dient als Allheilmittel, um Konflikte zu lösen. Die Mordrate übersteigt mit über 30.000 Toten jährlich die Opfer der militärischen Auseinandersetzungen um ein Vielfaches.
Doch damit nicht genug: Personen oder Organisationen, die sich mit der katastrophalen Situation im Land auseinandersetzen, eine Lösung suchen oder Verantwortliche anklagen, werden von Paramilitärs zu “militärischen Zielen” erklärt und mit dem Tode bedroht. Viele MenschenrechtsaktivistInnen sind bereits ums Leben gekommen, andere im Exil. Wer trotzdem weitermacht, lebt mit der ständigen Angst, Ziel eines Anschlags zu werden. So hat sich im Laufe der Jahre eine zwischenmenschliche Atmosphäre entwickelt, die meist nur noch Freund oder Feind kennt. Der öffentliche Raum wird zu gefährlich, um an einer Gesellschaft mit Würde arbeiten zu können. Wer es dennoch tut, gerät in die Schußlinie.
Die ersten Opfer der Gewalt sind die schwächsten Glieder in der Gesellschaft. Ethnische Minderheiten und einfache Bauern werden von ihrem Land vertrieben, um wirtschaftlichen Großprojekten nicht im Wege zu stehen. Die derzeitige Wirtschaftskrise verstärkt die Entwurzelung der Menschen weiter, läßt die Städte mit ihren riesigen Armutsvierteln aus allen Nähten platzen und marginalisiert diese anonymen Massen weiter. Zurück bleibt ein verwüstetes Land: 75 Prozent der Bevölkerung müssen heute in den Städten ums Überleben kämpfen. Exakt soviele haben vor 30 Jahren noch auf dem Land gelebt. Dieses ist zum politischen, militärischen und wirtschaftlichen Schlachtfeld geworden. Wer dort noch lebt, wird zum Ziel von Massakern der Paramilitärs. Diese versuchen, die soziale Basis der Guerilla auszulöschen und den enormen Reichtum Kolumbiens an Bodenschätzen und Biodiverstät in den Händen weniger zu konzentrieren. Mit fatalen Folgen: Millionen leben in Angst, sind extrem verarmt und werden aus ihrem sozialen Gefüge herausgerissen. Ein Pulverfaß, das jederzeit explodieren kann.
Nun sind die Konfliktparteien mehr denn je gefragt, eine politische Lösung zu finden, besonders die Regierung. Es ist zweifelhaft, ob das Land jemals wieder solch eine Chance bekommt, den alle Bereiche umfassenden Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. Das Säbelrasseln beider Seiten während des Dialogs – und nicht zuletzt auch der USA mit ihren Interventionsbestrebungen – läßt Böses erahnen. Die Regierung Pastrana muß bereit sein, dem Geist des Paramilitarismus abzuschwören. Nicht nur verbal, es müssen Taten folgen. Erst an einer strikten Bekämpfung dieses Übels wird sich der Friedenswille der Regierung zeigen. Doch dazu muß sie die eigenen Reihen von Mitverantwortlichen säubern, sowohl die intellektuellen Urheber als auch die Täter in den Reihen der Armee. Die Liste ist lang. Sollte es – mit viel Optimismus – in naher Zukunft zu einem Friedensschluß kommen, wird das Land noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, an den Folgen des Bürgerkriegs zu leiden haben. Die Schäden an der Gesellschaft werden nicht mit einer Unterschrift auf einem Friedensvertrag beseitigt.