Musik | Nummer 294 - Dezember 1998

Gringo loco im Land der Vorväter

Interview mit Gringo loco, Schlagzeuger der mexikanischen Rockband Molotov

Die Gruppe Molotov ist seit einigen Wochen in aller Munde. (vgl. LN 293) Nach einer restlos ausverkauften Tournee durch Lateinamerika und Spanien gastierte das Latino-Quartett nun auch in Deutschland. LN traf sich mit dem US-amerikanischen Schlagzeuger Gringo loco vor dem Auftritt im Berliner SO36 am 29. Oktober 1998.

Oliver Haas

Molotov hat sich in kürzester Zeit von einem mexikanischen Geheimtip zum international etablierten Act gemausert. Hast Du eine plausible Erklärung für diesen rasanten Erfolg?

Natürlich nicht. Wir sind erst in Mexiko, in Monterrey, wo wir auch herkommen ein wenig bekannt gewesen. Plötzlich ging alles ganz schnell: Die Platte, Musikvideos, Tourneen, Preise. Und jetzt bin ich hier in Deutschland, im Land meiner Vorväter. Das ist schon verrückt.

Moment mal. Was heißt hier „Land Deiner Vorväter“, ich dachte Du seist US-Amerikaner?

Mein Urgroßvater ist Deutscher. Geboren bin ich aber in New Orleans, und später nach Michigan gezogen. Das war eine grauenhafte Zeit. In der Schule wollte niemand etwas mit mir zu tun haben. Da habe ich angefangen, Schlagzeug zu spielen. Ich habe mich jeden Tag in den Musikraum gesetzt und habe drauf los gespielt. Das hat mir geholfen, den ganzen Frust und die Unzufriedenheit, die ich in mir hatte, zu vergessen. Ich war also nie der basketballspielende US-Teenager.

Musik als Heilung – trifft das auch auf das zu, was Du mit Molotov machst?

In gewisser Weise schon. Unsere Konzerte sind wie ein Ventil für angestaute Emotionen, positiver wie negativer Art. In Mexiko begegnet man derzeit sehr viel Gewalt, die aus der angestauten Frustration über die Armut und die miserablen Lebensbedingungen herrührt. Nach einem Konzert fühle ich mich frei und erleichtert; so geht es den Besuchern hoffentlich auch.

Ihr seid zu Beginn Eurer Karriere aufgrund Eurer „anzüglichen“ Texte in vielen Ländern Lateinamerikas der Zensur zum Opfer gefallen, und das Album „Dónde jugarán las niñas?“ durfte offiziell nicht verkauft werden. War das eine große Promo-Aktion oder steckt mehr dahinter?

Wir sagen das, was wir mit unseren Texten ausdrücken wollen, so wie wir es für richtig halten. Als die Single „Puto“ herauskam, haben alle aufgeschrien. Mittlerweile läuft das Lied in den
Supermärkten. Promo war es auf jeden Fall nicht, da sich ja dadurch auch die Platte nicht verkaufen konnte. Auch haben wir festgestellt, daß viele Länder sehr viel toleranter mit uns umgegangen sind als Mexiko selbst. Jetzt wo wir bekannt sind, schmückt sich Mexiko mit unseren Lorbeeren, geholfen, dahin zu kommen, wo wir jetzt sind, hat es uns aber nicht, im
Gegenteil. Wie verkauft sich die Platte eigentlich in Deutschland?

Soweit ich weiß ganz gut. Ihr seid in den großen Musikkanälen präsent und auch die Printmedien haben Eure Platte gut besprochen. Von der Tour hat man aber so gut wie nichts gehört. Wie kommt das?

Nun ja, das liegt wohl einfach an mangelnder Werbung. Einige Leute kommen auch wegen der Vorgruppe (Anm. d. Red.: Keilerkopf), die im
Moment hier recht bekannt zu sein scheint. Aber trotzdem lief die Tour bisher besser als erwartet. Es kommen viele Latinos, die die Texte kennen, aber auch eine ganze Menge deutsches Publikum. Als nächstes spielen wir mit den Deftones eine Tour durch Österreich und die Schweiz. Darauf freue ich mich besonders.

Es gibt noch sehr viele andere Bands aus Lateinamerika, die Musik auf internationalem Standard machen, aber in Europa vollkommen unbekannt sind. Seht Ihr Euch diesbezüglich in einer Vorreiterrolle?

Wir sind vielleicht die lateinamerikanische Band, die hier in Europa im Moment am meisten von sich Reden macht, uns aber als Vorreiter zu bezeichnen halte ich für übertrieben. Es gibt so viele Künstler in Lateinamerika, die schon jahrelang gute Platten produzieren. Ich denke dabei an die „Fabulosos Cadillacs“ oder auch „Soda Stereo“. Sie hätten schon längst die Aufmerksamkeit des europäischen oder nordamerikanischen Marktes verdient. Ein Manko hierbei ist sicherlich die Sprache. Ich wünsche mir natürlich, daß durch uns das europäische Publikum auf all die anderen Bands aus Lateinamerika aufmerksam wird, doch sind wir nur ein ganz kleiner Teil der Bandbreite lateinamerikanischer Rockmusik.

Die meisten Newcomer, die mit ihrem Debütalbum sehr erfolgreich gewesen sind, haben Probleme, ein mindestens ebenso gutes Nachfolgewerk abzuliefern. Setzt Ihr Euch diesbezüglich unter Druck? Wann soll die neue Platte überhaupt erscheinen, und was kann man musikalisch erwarten?

Wir werden Anfang 1999 in Los Angeles mit der Produktion beginnen und hoffentlich gegen Ende des Jahres die neue Platte vorstellen. Der Druck ist natürlich da, was aber ganz normal ist. Wichtig ist, daß wir uns mit der Platte identifizieren können. Musikalisch wird es auf jeden Fall wieder ein hartes, aber melodiöses Rockalbum mit Latino-Sounds in spanischer und englischer Sprache, wobei wir aber sicherlich auch die Eindrücke der letzten Monate verarbeiten werden.

Das heißt, Ihr gönnt Euch auch keine größeren kreativen Pausen?

Wenn wir zurückkommen, werden wir u.a. mit den „Fabulosos Cadillacs“ sowie Enrique Bunbury (Anm.d.Red.: ehem. Sänger der Heroes del Silencio) auftreten und dann an neuem Material arbeiten. Bisher haben wir vier neue Stücke, die wir auch auf der jetzigen Tour spielen werden. Wir werden uns sicherlich nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, denn wie Du siehst, sind wir hier in Deutschland nicht bekannter als eine lokale Band.

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