Hip-Hop mit Hindernissen
Junge RapperInnen auf Kuba
Musik erschallt auf dem Malecon, der Strandpromenade in Havanna: Stimmen, ein Beat, eine eingängige Melodie. TouristInnen bleiben neugierig stehen und betrachten die drei jungen Männer, die ein paar hundert Meter der berühmten kubanischen Strandpromenade mit ihren Tönen füllen: Doanto und Toño rappen mit kräftigen, vollen Stimmen, und Alberto, zurückhaltend im Hintergrund, ist das lebende Schlagzeug. Mit Lippen und Zwerchfell formt er immer neue Rhythmen. Reggae-Singsang wechselt sich mit aggressivem Rap und kunstvollem Zungenbrecher-Sprechgesang ab. Mit großer Leichtigkeit spult Donato blitzschnell ein paar Sätze ab, jedes Wort ist zu verstehen.
Ist die Vorstellung zu Ende, preisen die drei ihre CD an. Auf dem Cover: Donato und Toño mit Sonnenbrillen, weiten Shirts und Tüchern um den Kopf, die Arme verschränkt und die Köpfe gelangweilt schief gelegt, als ginge sie das alles nichts an. Die TouristInnen sind beeindruckt und machen Fotos. Da kommt ein Polizist herbeigeschlendert und fordert die beiden jungen Musiker auf, sich zu identifizieren. Sofort haben sie ihre Ausweise einer staatlichen Künstlervereinigung bereit. Nach einem kurzen, misstrauischen Gespräch ist der Beamte zufrieden und zieht ab. Doch auch die TouristInnen sind inzwischen weitergeschlendert. „Ist nicht leicht“, meint Toño lakonisch. Ein typischer Ausspruch, der zugleich Resignation und Trotz ausdrückt.
Der Staat rappt mit
Donato und Toño sind zwei von vielen: Um die 500 Rappergruppen soll es in Kuba geben. Die wenigsten schaffen es, von der Insel wegzukommen und sich international einen Namen zu machen. Der kubanische Staat reglementiert die Musikproduktion, und ohne Unterstützung einer staatlichen Behörde geht gar nichts. Zudem müssen die SprechkünstlerInnen immer aufpassen, was sie sagen: Nur „gesunde Inhalte“ sind erlaubt.
Auch um aufzutreten brauchen die RapperInnen die staatliche Einwilligung. Donato und Toño sind Mitglieder der staatlichen Künstlervereinigung UNEAC. Ohne ihre Ausweise dürfen sie offiziell nicht auftreten.
„Wir müssen raus aus Kuba“, seufzt Toño. Wie die Orishas, die sich 1998 in Paris neu gründeten und es weltweit zu Ruhm gebracht haben. Um Kuba verlassen zu können, hätten sie sich angepasst, meint der Malecon-Rapper. Die Band hieß ursprünglich La Amenaza (Die Drohung). Damals seien ihre Texte noch kritischer gewesen, so Toño. Um berühmt zu werden, hätten sie ihre Worte und ihren Namen geglättet: Orishas sind die Heiligen der Santeria, der afro-kubanischen Religion. Traditionsbewusst, aber nicht kritisch. Das hatte Erfolg.
Hoffen auf Unterstützung
Auch die drei Jungs von Habana 100%, Yassel, Juliet und Cesar, sollen ihren Namen ändern. Sie kommen aus Santiago de Cuba im Osten der Insel und wollen Mitglied der Asociacion Hermanos Saiz (AHS) in Habana werden. Die Nichtregierungsorganisation, die vom kubanischen Kulturministerium unterstützt wird, hilft kubanischen KünstlerInnen, die jünger als 35 sind mit Studios, Kontakten und Auftritten. In allen 14 Provinzen Kubas hat die AHS Büros; etwa 3500 KünstlerInnen – MusikerInnen ebenso wie SchriftstellerInnen und MalerInnen – sind Mitglieder. Yassel und seine Kollegen hoffen, mit ihrem Stilmix gut anzukommen: Sie mischen in ihren Songs Hip Hop, tanzbaren Merengue und kräftigen Reggaeton. Das erste Vorstellungsgespräch der drei bei der AHS verlief vielversprechend: Supermusik, hieß es. Nur der Name solle bitte geändert werden, er sei nicht kubanisch genug. Die drei grübeln. Lange. Etwas noch kubanischeres als Habana 100% will ihnen nicht recht einfallen. Sie verwerfen die Namensdiskussion zunächst, Wichtigeres steht an: Der Termin in einem unabhängigen Studio, um ein paar Songs aufzunehmen.
Seit etwa sechs Jahren stehen den RapperInnen in Kuba viel bessere technische Möglichkeiten zur Verfügung: Das Internet hat neue Spielräume eröffnet. Ist es auch teuer und daher für Kubaner schwer zugänglich, bietet es doch Möglichkeiten zum Austausch. Zum Schneiden ist nur noch ein Computer notwendig, auch die Beats kommen aus dem Rechner. Vorher griffen viele der Rapper auf Karaoke zurück um nicht ganz a capella singen zu müssen. Und die Stücke mussten sie mühsam mit der Schere zusammenschnippeln.
Yassel und Julie haben ihre Musik schon in Santiago auf eine CD gebrannt, nur ihre Stimmen fehlen noch. Die beiden sind aufgeregt, als sie sich früh am Morgen an der Eisdiele treffen. Sie waren noch nie in dem Studio, und es liegt etwas außerhalb der Stadt. Tatsächlich ist es eine Odyssee, bis sie gegen Mittag ankommen: Zwei Busse und ein Sammeltaxi bringen sie an den Stadtrand Havannas. Unterwegs an der Bushaltestelle denkt sich Juliet ein neues Lied aus: „Wenn Du wüsstest, was ich gerade durchmache, verstündest Du vielleicht, wovon ich singe.“ „Ist nicht leicht“, sagt auch Yassel.
Das erste Studio
Im Vorort sind die Straßen nicht mehr geteert, kleine Häuser reihen sich aneinander, Palmen wachsen am Straßenrand. Nach vielen Nachfragen ist schließlich das Studio gefunden: Zuerst in einen Hof, an einem Haus vorbei, vor dem die Wäsche trocknet. Dann um den Stall herum, durch einen weiteren kleinen Hof, in dem Windeln in einem Pott weichen, über eine wackelige Eisenstiege aufs Dach. Ein kleiner Betonraum mit Wellblechdach, nicht größer als acht Quadratmeter, das ist das Studio. Die Einrichtung: Zwei Stühle hinter einem Computer und einer Anlage, davor ein Mikro und eine Bank.
Hinter dem Computer sitzt Yoeslan Pérez und mixt blitzschnell zusammen, was vor ihm ins Mikro gerappt wird. Er spielt überall mit, wo Kuba Musik macht: Als Sprecher beim staatlichen Radiosender Cadena Habana, ebenso wie bei einer spanischen Produktionsfirma und als DJ. Nebenbei produziert er auf seinem Hausdach Musik. Ob das legal ist, weiß er nicht, aber: „Ich kenne viele Leute, die das machen, und bis jetzt hat noch keiner Probleme gehabt.“ Eine Grauzone also. Aber nicht billig: Eine Stunde Produktion kostet 10 Dollar. Das ist für viele KubanerInnen, die etwa soviel im Monat verdienen, unerschwinglich. Auch Yassel und Julie tut die große Ausgabe weh, aber es ist eine Investition in ihre Zukunft.
„Gesunde Inhalte“
Zappelig positioniert Yassel sich vor dem Mikrofon. Der Traum, berühmt zu werden, blitzt aus seinen Augen und macht ihn nervös. Der Refrain wird zuerst aufgenommen: „Sie will mehr Sex, Yassel!“ Obwohl das kein politischer Text ist, bewegt er sich an der Grenze des in Kuba Erlaubten. Produzent Pérez erzählt, dass er Reggaeton mit seinen häufig doppeldeutigen Texten im Radio nicht mehr spielen dürfe. „Haben sie mir einfach verboten“, sagt er spöttisch grinsend. Damit ist für viele MusikerInnen in Kuba der Traum vom Erfolg vorbei. Ist ein Lied weder im Radio noch im Fernsehen zu hören, ist es schwer, es bekannt zu machen. Manche suchen daher ihr Glück via Internet in Übersee: Die Reggaetonband Los tres gatos (Die drei Katzen) hören vor allem US-AmerikanerInnen in Miami über Internetradio. Für Kuba sind die Texte der drei zu deftig.
Harmlos genug
Yassell und Juliet denken, dass ihr „Sie will mehr Sex“ harmlos genug ist. Yoeslan Pérez mischt den Refrain ab und der nächste Teil des Liedes kommt: Jetzt rappt Juliet. Seine Stimme ist viel tiefer als Yassels und wie Samt, nachdrücklich artikuliert er die Worte ins Mikrofon. Am Schluss müssen alle noch ihre Namen rappen, das ist sehr wichtig beim Reggaeton, erklärt Pérez. Die Sänger identifizieren sich in jedem Lied.
So erkennen die ZuhörerInnen die Gruppen wieder. „Wir wollen Musik machen, die sich gut verkaufen lässt“, sagt Yassel. Er ist noch nicht zufrieden mit der Aufnahme, würde sie am Liebsten gleich noch mal machen. Aber das muss bis zum nächsten Tag warten, denn jetzt ist eine weitere Gruppe dran. Bis zu fünf Gruppen produzieren an manchen Tagen in dem Dachstudio, die meisten machen Reggaeton und Hip Hop.
Wenn sie erstmal Mitglieder der AHS sind, werden Yassel und Julie diese Organisationsprobleme nicht mehr haben: Die Vereinigung stellt ein Studio zur Verfügung und dreht Videoclips mit den Bands. Aber das Wichtigste ist: Sie schickt sie ins Ausland. Wegzukommen aus Kuba, möglichst, wie die Orishas, eine ausländische Produktionsfirma zu finden, das ist der Traum aller jungen RapperInnen in Habana. Produziert eine ausländische Firma eine kubanische Band, fordert der kubanische Staat Abgaben. Deshalb behaupten böse Zungen, es sei sehr gerne gesehen, wenn die jungen MusikerInnen außerhalb Kubas Alben aufnehmen.
Donato und Toño scheint das Ausland unerreichbar fern. Donato hat die Reise schon einmal angetreten: Auf einem Floß gelangte er in die USA. Ein Freund starb auf dem Weg; er selbst landete in den Vereinigten Staaten schließlich im Knast. So will er es nicht noch einmal versuchen. Lieber arbeitet er auf Kuba weiter an seinem zungenbrecherischen Sprechgesang. Inspiration sei den beiden jede Musik, sind sie sich einig: Von Mariachi-Gesängen, die sie hervorragend nachahmen können, über Popmusik zur klassischen Trova Kubas. Aus dem Stand geben sie ein Ständchen mit zwei Gitarristen, indem sie den berühmten „Chan Chan“ mit Rap vermischen. Und es klingt gut: Die Melodie, die alle Welt aus dem Buena Vista Social Club kennt, harmoniert mit Toños kernigem Rap. Donato hat schon mit der erfolgreichen Reggaeton-Gruppe Kadima zusammen gearbeitet. Und sich mit ihr überworfen. Donato und Toño seien viel zu sehr „underground“, heißt es in der Szene, um von Kuba wegzukommen. Die beiden Rapper bestreiten das. „Wir machen nicht solche Schmuddeltexte wie die US-Rapper“, ereifert sich Toño, „hier auf Kuba sind wir gut erzogen“.
Neue Zeiten – neue Töne
Abgrenzung von den USA war ein wichtiger Schritt in der Geschichte des kubanischen Raps. Erst in den 90er Jahren, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Beginn der entbehrungsreichen „Spezialperiode“ in Kuba, begann sich eine eigene Szene herauszubilden. So weit die Zensur es zuließ, dichteten die WortkünstlerInnen Texte über ihre alltäglichen Probleme. Oder sie reimten leise für sich, im heimischen Wohnzimmer. Zum Beispiel über Erfahrungen mit der Polizei: „Einmal wurden wir festgenommen, einfach so, weil wir uns einen halben Block von unserer Wohnung entfernt nicht ausweisen konnten“, sagt ein Musiker. „Darüber haben wir ein Lied gemacht. Aber nur für uns. Denn wenn du so was laut singst, bleibst du für den Rest deiner Tage im Knast.“
Trotz der Zensur akzeptierte der kubanische Staat die neue Musikform im Laufe der neunziger Jahre immer mehr. 1995 rief die AHS zusammen mit dem Kulturzentrum Osthavannas das Rapfestival Alamar ins Leben. Der eher arme Bezirk Alamar im Osten Havannas gilt als Geburtsstätte des kubanischen Rap. Seither ist das jährlich stattfindende Festival ein Muss für alle RapperInnen: Sie können die Konkurrenz besichtigen und treffen internationale Gäste, in der Hoffnung, gute Kontakte zu schließen.
Erfolgsgeschichte aus Guantánamo
Während Toño und Donato diese Kontakte noch immer fehlen und Yassel und Juliet sie durch die AHS zu finden hoffen, hat Skiudys es geschafft: Er kann im Herbst zum ersten Mal in Mexiko auftreten. Skiudys ist aus Guantánamo und dort seit vier Jahren Mitglied der AHS.
Die Künstlervereinigung unterstützt laut eigener Aussage „Musiker, die gesunde Musik machen und Alternativen bieten“. Skiudys will jedoch an seinem Stil und seiner Musik keine Abstriche machen. „Ich mache keinen Reggaeton, das ist mir zu kommerziell“, betont er. Sein Stil ist unverfälschter Rap, und überraschend ehrlich sind auch seine Texte: „Bildung auf einem hohen Niveau, aber das wirkliche Problem ist das soziale Niveau, Armenviertel, Kinder, die Rotz spucken, aufgeblähte Bäuche, Unterernährung…“ Vielleicht kann Skiudys all das sagen, weil er es innerhalb der Revolution verortet. Denn die will er umgesetzt sehen: „Wenn du meine Lieder hörst, wirst du merken: Hasta la victoria siempre ist nicht mehr nur ein Spruch.“ Mit seinem ehrlichen Stil ist er erfolgreich: Er ist schon oft aufgetreten und wurde dafür gut bezahlt. Über 1000 kubanische Pesos hat er für einen Gig bekommen, das fünffache des durchschnittlichen Monatslohns – und dennoch nur rund 35 Euro wert. Trotz des vergleichbar guten Lohns verortet Skiudys sich auf der Seite der Armen, Ausgeschlossenen: „Die gibt es nämlich auch auf Kuba.“ Das erste Album, das er zusammen mit seinem Kollegen Abel aufgenommen hat, heißt dem entsprechend Los Marginados – die Marginalisierten.
Wollen auch viele Skiudys Songs hören, so ist doch der Erfolg des kommerzielleren Reggaeton größer. Die 2002 auf Initiative der AHS gegründete kubanische Rapagentur unterstützt heute fast nur noch Reggaeton. Der Beat ist in ganz Lateinamerika in und verkauft sich besser als Rap.
Dass er dennoch auf Radio Cadena Habana, wo Yoeslan Pérez die Ansagen macht, nicht gespielt werden darf, ist einer der vielen Widersprüche des kubanischen Systems.
Papa Fidel
Und der steckt auch in den RapperInnen selbst. Denn so eingeschlossen sie sich fühlen in ihrem System, so sehr wissen sie es zu schätzen. „Sozial ist Kuba das beste Land der Welt, aber politisch und ökonomisch nicht“, wiegt Skiudys ab. Und Donato und Toño haben ein Lied über die Revolution gemacht: „Auch wenn viele mich kritisieren oder verfluchen, werde ich kämpfen bis zum Tod, denn (die Revolution) schickte mich in die Schule und gab mir Perspektiven….“
Präsident Castro nennen Donato und Toño „Vater Fidel“. Was wird aus Kuba ohne ihn werden? Donato wird sehr nachdenklich: „Was ist das Besondere hier?“ fragt er und beantwortet gleich seine Frage: „Die Solidarität. Die Sicherheit. Der Zusammenhalt. Das alles wird verschwinden, wenn Fidel nicht mehr da ist.“ Skiudys sagt, er sei „auf alles vorbereitet“. Denn: „Die Kubaner interessieren sich nicht für Politik. Sie sind keine Kommunisten, sondern Fidelisten.“ Und seiner Meinung nach kann es keinen neuen Fidel geben. Mit seinem Kollegen Abel gerät Skiudys in eine Diskussion, denn Abel meint, es gebe sehr wohl einen Nachfolger. Den habe Fidel sich schon herangezüchtet. Er wünscht sich eine „kooperativistischen Staat“ nach Fidel, und für sich selber das, was alle wollen: Ausreisen. Allerdings ohne seine Familie, denn seine Tochter soll in Kuba zur Schule gehen.
„Ist nicht leicht“, sagt Toño abschließend. Er blickt über die Mauer des Malecon in die schwarze Nacht. Am Horizont verschmelzen Meer und Himmel in der Dunkelheit. Toño dreht sich um, trinkt noch einen Schluck Rum und setzt zu einer neuen Strophe an.