Gender | Nummer 279/280 - Sept./Okt. 1997

Huren wissen, was sie wollen

Brasiliens Prostituierte organisieren sich

Rio de Janeiro, Porto Alegre, Belém, Fortaleza, Aracaju – überall haben sie sich einen Platz erobert: die Hurenorganisationen. Die einen sind offiziell als Verein registriert, die anderen treffen sich ohne bürokratische Legitimation. Doch da fangen die Probleme schon an. Da in Brasilien Prostitution nicht als Beruf anerkannt ist, existiert bis auf eine Ausnahme in der Stadt Ceará kein Verein mit dieser Bezeichnung. Nur in der Spalte “Fantasiename” in der Vereinsregistereintragung läßt sich sehen, wer dahintersteckt. Die Frauen können auch anders auf sich aufmerksam machen.

Friederike Strack

In Rio de Janeiro wirbelten bereits drei brasilienweite Prostituiertenkongresse viel Staub auf, nicht mitgerechnet die zahlreichen Treffen in den einzelnen Bundesländern, vor allem in Rio Grande do Sul und Pará. Im Juli 1987 fand das erste dieser aufsehenerregenden Ereignisse statt. Der Auftakt der brasilianischen Sexarbeiterinnenbewegung wurde unter dem Motto Mulher da Vida é Preciso Falar – ‘Frauen des Lebens’, es ist wichtig zu sprechen – veranstaltet, um Themen wie Polizeirepression, Diskriminierung bei der medizinischen Versorgung und Recht auf Erziehung zu diskutieren. Zum ersten Mal wurde die Stigmatisierung der Frauen sowie deren Kriminalisierung durch die Gesetzgebung breit in die Öffentlichkeit getragen.

Willkürliche Festnahmen

Prostitution ist in Brasilien zwar nicht verboten, aber die Polizei benutzt immer wieder einen in der Verfassung von 1988 abgeschafften Gesetzesparagraphen, um Personen, die sich des “Vagabundierens” verdächtig machen, willkürlich auf der Polizeiwache festzuhalten. In Porto Alegre wurden Frauen von Militärpolizeieinheiten verschleppt und auf den Flußinseln vor der Stadt ausgesetzt, nachdem sie vorher ausgeraubt und vergewaltigt worden waren. Die Prostituierten riefen PolitikerInnen, RechtsanwältInnen, JournalistInnen und Polizeichefs zusammen, um den ständigen Polizeiübergriffen ein Ende zu bereiten. Die Forderung nach Gesetzesveränderungen, die den Zuhälterparagraphen abschaffen und durch Legalisierung normale Arbeitsverhältnisse fördern, waren ein wichtiger Bestandteil auf allen nationalen wie bundestaatlichen Treffen, um die Gewalt und Diskriminierung einzuschränken.
Gleichzeitig wuchsen die Solidarität und ein neues Bewußtsein unter den Prostituierten. Die einzige Anlaufstelle der Frauen war früher die ‘katholische Pastorale der marginalisierten Frau’, die jedoch in ihren Grundfesten die Prostitution abschaffen wollte, anstatt die Frauen in ihren Forderungen nach besseren Arbeitsverhältnissen zu unterstützen.

Vila Mimosa – Kampf um Selbsbestimmung

Wie sich die Prostituierten selbst in der Öffentlichkeit für ihre Anliegen einzusetzen wußten, bewies der lange Kampf gegen die Vertreibung aus einem der traditionsreichen Rotlichtviertel Rio de Janeiros. Die Vila Mimosa war die letzte Straße des seit Anfang des Jahrhunderts existierenden Mangue – noch heute das Synonym für Bordellzone. In den fünfziger Jahren war hier der Schauplatz eines interessanten Experimentes der República do Mangue. Paradoxerweise ging die Initiative vom zuständigen Sittendezernat aus. Alle Puffmütter wurden aus den Bordellen verjagt, weil sie oft das fünffache von der an den Staat bezahlten Miete von den Prostituierten verlangten. In jedem Bordell wählten die Frauen eine Vertreterin, die die Geschäftsführung für eine befristete Zeit übernahm. Diese Sexkooperativen überlebten fünfzehn Jahre, bis sie, wie schon zuvor Stefan Zweig befürchtete, dem “zivilisatorischen Ehrgeiz und der Moral zum Opfer” fielen.
Die Vila Mimosa war von den Abrißbirnen der siebziger Jahre verschont geblieben, die den Weg für Bürohochhäuser und städtische Administrationszentren und die neue Metrostation Estácio ebneten. 1987 jedoch plante ein evangelikaler Pfarrer den Abriß für die Erweiterung seines Fernsehsenders. Die etwa 600 dort anschaffenden Frauen, donas-de-casa (Leiterinnen der Etablisements) und StraßenhändlerInnen setzten sich gemeinsam zur Wehr, so daß am 29. September 1987 die erste Prostituiertenorganisation Brasiliens, mit Maria Magdalena als Schutzheiliger im Emblem, gegründet wurde. Welche biblische Figur könnte besser passen, als die, die Christus’ Auferstehung beiwohnte, und als erste Apostelin nicht anerkannt wird, weil ihr eine freizügige Lebensweise nachgesagt wird.
Genaugenommen waren die ersten Organisationen schon 1906 in Rio de Janeiro und 1924 in Sâo Paulo von jüdischen Prostituierten gegründet worden, um altgewordene und kranke Kolleginnen zu unterstützen. Sie besaßen sogar eigene Synagogen und Friedhöfe, da ihnen der Zugang zu denen der jüdische Gemeinde versperrt blieb.
Die Proteste gegen den Abriß der Vila Mimosa 1987, die von von Prominenten wie Jorge Amado unterstützt worden, waren erfolgreich. Nach einer Unterredung mit dem Oberbürgermeister übergab dieser das Nutzungsrecht für die stadteigenen Immobilien an die Prostituiertenorganisation. Zusammen mit den donas-de-casa wurden die 44 Häuser renoviert, und mit städtischer Unterstützung die Strassenbeleuchtung installiert, die Kanalisation instandgesetzt und die Straße asphaltiert.

Erneute Vertreibung

1994 begann die letzte Folge der Vertreibung der Vila Mimosa. Nun wurde der Bau eines der größten Telekommunikationszentren Lateinamerikas geplant, obwohl bisher auf dem Gelände nur Grünflächen angelegt wurden. Auch wenn die Klientel der Bürohochhäuser oftmals mit dem der Vila Mimosa übereinstimmt, werden derlei Plätze nicht gerne nahe des neuen modernen Stadtmodells gesehen. Die räumliche Verdrängung ist bloß die Konsequenz der gesellschaftlichen Marginalisierung der Prostitution.
Trotz des Abrisses gaben die Frauen der Vila Mimosa nicht nach. Zwar wurde das Entschädigungsgeld von der Stadtregierung durch die ehemalige Vereinsvorsitzende veruntreut, doch kauften sie von ihrem eigenen Geld eine ehemalige Lagerhalle des Milchproduktekonzerns Parmalat am Praía Bandeira. Während des Ausbaus arbeiteten die Frauen unter erschwerten Bedingungen in wenigen Zimmern. Dieses Jahr wurden die kleinen Bars, an einem U-förmigen Gang gelegen, fertiggestellt. Der Name Vila Mimosa wurde aus Nostalgie übernommen, obwohl die hygienischen Verhältnisse besser sind und die kleinen, aber sauberen mit Klimaanlage bzw. Ventilator ausgestatteten Zimmer nicht mehr mit den alten vergleichbar sind. Auch der mittlerweile in Amocavim (Associaçâo de Moradores do Condomínio e Amigos da Vila Mimosa) umbenannte Verein hat am neuen Ort seinen Platz gefunden.
Neben der Verdrängung prägt auch die Stigmatisierung der Huren als mögliche Verantwortliche für die Ausbreitung von Aids die Situation der brasilianischen Prostituierten. Seitdem sie ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen, zeigen sich aber Erfolge bei den in Eigenregie durchgeführten Aufklärungskampagnen über Geschlechtskrankheiten und Aids. Kondome und Infobroschüren wurden verteilt, Kunden erhielten Rabatt, wenn sie mindestens fünf Kondome mitbrachten. Außerdem wurde das Radio Mimosa gegründet Im April 1991 ging das Programm in Eigeninitiative zum ersten Mal über den Äther. Täglich sendeten die Radiomacherinnen Musik, Grüße, Reklame und Spots mit der Aufforderung zum Gebrauch von camisinhas, Kondome – in Brasilien “Hemdchen” genannt -, bis das Radio 1992 geschlossen werden mußte, nachdem die Sendeanlage gestohlen worden war. Neben der Gesundheitsprävention wurden zur besseren Versorgung von HIV-Positiven und Kranken Abkommen mit Krankenhäusern, die auch anonyme Aidstests durchführen, abgeschlossen. Da es keinen Sozialversicherungsnachweis für Sexarbeiterinnen gibt, mit der die Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung wenigstens zu einem Bruchteil gewährleistet wäre, müssen sich die Frauen unter einer anderen Berufsbezeichnung eintragen, oder ihnen bleiben nur die völlig überlasteten öffentlichen Gesundheitsposten, bei denen sie oft wegen ihrer Tätigkeit diskriminiert werden.
Die Prostituierten setzen sich nun zur Wehr und sprechen selber, anstatt daß über sie gesprochen wird. Allen voran Gabriela Silva Leite, die seit Anfang der achtziger Jahre im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, als sie die ersten Demonstrationen gegen Polizeigewalt in Sâo Paulo mitinitiierte: “Wir haben gesehen, wie Prostituierte sprechen lernen. Sie entdecken, daß sie die Stimme einer Gesellschaft sind, die bei der Konfrontation mit Sexualität zu Tode erschreckt. Die Prostituierte muß aus dem Ghetto geholt werden, um sie in die brasilianische Realität zu plazieren.” Um diesen Schritt voranzutreiben, berät sie in dem 1992 gegründeten Verein Davida zu juristischen Fragen, organisiert Kongresse und koordiniert das brasilianische Netzwerk der Sex-Professionellen, dessen Bezeichnung auch die männlichen Sexarbeiter und Transvestiten miteinbeziehen soll. Auf dem Gelände in Estacio – “der Wiege des Sambas und der Prostitution” -, werden auch Karnevalsworkshops für Kinder angeboten und nicht zuletzt der seit 1988 erscheinende Beijo da Rua – Kuß der Straße, die einzige Prostituiertenzeitung Brasiliens, herausgegeben. Jede Ausgabe hat andere Schwerpunkte wie Transvestie, Gefängnis, Polizei sowie Gedichte und Berichte von der Straße und aus den Clubs.
“Wir sind politische Huren; Huren, die wissen was sie wollen; Huren mit Rechten und Pflichten in dieser Gesellschaft” sagt Lourdes Barreto von GEMPAC, Belém. Doch darüber wie diese aussehen sollen, ob z.B. mit oder ohne regelmäßige Gesundheitskontrolle darüber, gibt es noch unterschiedliche Vorstellungen. Mit Spannung kann erwartet werden, ob die Probleme der lateinamerikanischen Kolleginnen vergleichbar sind. Vom 1. bis 3. Oktober diesen Jahres findet in San José, Costa Rica, der erste lateinamerikanische und karibische SexarbeiterInnenkongress statt.

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