“Ich teile den Diskurs der Guerilla, aber nicht ihre Mittel”
Interview mit Bischof Múnera aus San Vicente del Caguán
Wie stellt sich die Lage in San Vicente und der entmilitarisierten Zone im Moment dar?
Am Anfang war die Anwesenheit der Guerilla zumindest in den Städten etwas Neues. Sie luden die Bevölkerung wiederholt zu Informationsversammlungen über den Friedensprozeß und ihre Stationierung ein. Außerdem mußten die Geschäfte am Samstagnachmittag und Sonntagvormittag geschlossen bleiben. Das führte zu Unmut, im Gegenzug weigerten sich die Betroffenen, an Versammlungen teilzunehmen. Ende April folgte eine Phase der Bedrohung durch Paramilitärs, als Händler und einige andere Leute Drohanrufe erhielten. Und zuletzt gab es heftige Polemik, nachdem die FARC junge Leute unter dem Vorwurf festnahm, Verbindung zu Paramilitärs zu unterhalten. Das führte zu großer Sorge, auch zu Wut und Entrüstung.
Sind diese Vorwürfe begründet?
In der Logik der FARC üben sie die Justiz im Sinne ihrer eigenen Sicherheit aus. Es ist also von unabhängiger Seite überaus schwierig, die Unschuld nachzuweisen. Von unserer und der Position der Bevölkerung aus gesehen mußten wir feststellen, daß wir dem ziemlich wehrlos ausgeliefert sind. Die einzige Instanz, an die man sich wenden kann, ist die staatliche Defensoría del Pueblo, die tatsächlich in dieser kritischsten Phase ihre Stimme gegenüber den FARC erhob und mit genauen Daten Angaben über diese Menschen verlangte.
Welche Auswirkungen hatte dieses Vorgehen auf das Verhältnis zwischen Guerilla und Bevölkerung?
Es war schwer herauszufinden, ob die Anklagen berechtigt waren oder ob es sich nur um persönliche Racheakte an den Festgenommenen handelte. Die letzten drei Monate waren daher durch eine große Unsicherheit geprägt, zumal die Friedensgespräche lange nicht aufgenommen wurden. Gleichzeitig stigmatisierte die kolumbianische Öffentlichkeit San Vicente als Ort, wo die Guerilla tun und lassen kann, was sie will. Es gab aber auch konkrete Drohungen der Paramilitärs gegen den Bürgermeister von San Vicente, Omar García.
Wie reagiert die Bevölkerung in der Entspannungszone auf solche Drohungen und die nationale Ausgrenzung?
Es gab zuletzt drei oder vier Friedensmärsche der Bevölkerung in San Vicente. Dabei ging es nicht nur um Unterstützung für den Bürgermeister. Es waren vor allem Demonstrationen für den Friedensprozeß, für ein Ende der Entführungen, der Gewalt und vor allem für eine Wiederaufnahme der Gespräche.
In der Berichterstattung in Kolumbien und auch in Europa wurde immer wieder von Zwangsmaßnahmen der Guerillaberichtet. Gibt es dazu konkrete Vorfälle?
In den fünf Kommunen der Entspannungszone sind teils einschneidende Einschränkungen durchgesetzt worden. In San Vicente ließen die FARC in verschiedenen Siedlungen Gemeinschaftsarbeiten zum Asphaltieren der Straßen durchführen. Damit übernahmen sie Funktionen, die eigentlich zum Aufgabenbereich des Bürgermeisters und der Behörden gehören. Ziel war es dabei, Kontrolle über öffentliche Angelegenheiten zu erlangen und die gegenseitige Furcht zwischen der Bevölkerung und ihnen abzubauen. In den anderen Dörfern der Entspannungszone war die Präsenz der Guerilla schon vorher bedeutsam, so daß ich nicht glaube, daß sich die Lage sehr geändert hat. Mit der Ausnahme vielleicht, daß nun überhaupt keine staatliche Ordnungsmacht mehr dort ist, keine Polizei, keine Armee.
Wie beurteilen Sie die politische Linie der FARC?
Wenn Du mit ihren Sprechern redest, weißt Du natürlich, das Du Dich mit ihren Botschaftern unterhältst. Sie verkaufen, und das meine ich nicht negativ, ihre Motive, ihren Kampf, ihre Revolution für eine Veränderung der Strukturen und für mehr soziale Gerechtigkeit. Sie berufen sich auf ihre Nähe zur Soziallehre der katholischen Kirche und zu kirchlichen wie gesellschaftlichen Kreisen, die ebenfalls gegen die Hauptursache der Gewalt kämpfen: gegen die Korruption auf allen Ebenen unseres Staates und gegen die riesigen Ungerechtigkeiten in unserem Land. Ich persönlich und viele andere teilen diesen Diskurs, auch wenn wir natürlich nicht mit den Mitteln einverstanden sind. Aus kirchlicher Sicht können wir keine gewaltsame Lösung des Konflikts akzeptieren.
Wie würden Sie im Moment die Rolle der katholischen Kirche in der Entspannungszone beschreiben? Welche sind ihre wichtigsten Aufgaben?
Unsere Rolle muß es sein, Vertrauen zwischen den Konfliktparteien aufzubauen. Wenn jeder davon ausgeht, daß die andere Seite lügt, muß das Mißtrauen abgebaut werden. Außerdem haben wir klarer zum Friedensprozeß Stellung zu beziehen, und zu den beteiligten Gruppen, insbesondere unserem wichtigsten Gesprächspartner vor Ort, den FARC. Wir haben uns bisher so bewegt, daß wir eine gewisse Autonomie und Unabhängigkeit bewahren konnten. Aber keine Neutralität, diesen Begriff würde ich nicht gebrauchen, weil wir in keiner Situation neutral sind. Wir können aber, und ich halte das für notwendig, Autonomieräume behaupten und verteidigen, die sich aus unserer Arbeit in den Gemeinden und unserer fünfzigjährigen Präsenz in diesem Gebiet ergeben. Dabei müssen wir klar machen, daß bestimmte grundlegende Werte nicht verhandelt werden können: Respekt vor dem Leben, der Freiheit, den Menschen, vor einem mit größtmöglicher Gerechtigkeit gefällten Urteil, sei es durch die Institution des legitimen Staates oder durch diesen Nebenstaat, der durch seine Stärke und seine Zukunft einen bestimmten Grad von Legitimität erobert.
Sie sind erst im Februar zum Bischof ernannt worden. Finden Sie in der kolumbianischen Bischofskonferenz Unterstützung für das Vorgehen der Kirche in San Vicente? Und wie würden Sie die grundsätzliche Haltung der Bischofskonferenz in der Frage des Friedensprozesses beurteilen?
Es herrscht innerhalb der Bischofskonferenz eine tiefe Akzeptanz gegenüber dem Vorgehen und der Haltung jedes einzelnen Bischofs. Jeder Bischof ist der Verantwortliche für seine Diözese, für sein Vikariat, und das bringt auch bestimmte politische Positionen und Einstellungen gegenüber den Konfliktparteien in den jeweiligen Regionen mit sich. Eine bedeutende Instanz im Friedensprozeß stellt im Moment der Konferenzvorsitz dar, besonders Alberto Giraldo Jaramillo, der die Nationale Versöhnungskommission geschaffen hat, eine Gruppe von Laien, die den Friedensprozeß kontinuierlich beobachten. Das erlaubt uns, auf dem Laufenden zu bleiben und Stellung zu beziehen. In diesem Sinne habe ich große Unterstützung und viel Rückhalt erfahren.
Sind die politischen Positionen innerhalb der Bischofskonferenz einhellig?
Natürlich nicht. Wir Bischöfe sind zuallererst Kolumbianer und jeder hat aufgrund seiner persönlichen, familiären sowie pastoralen Erfahrungen und durch seinen ideologischen, politischen Standort eine eigene vorgefaßte Meinung. Manche sind eher einem sozial geprägten Diskurs zugeneigt, andere betrachten dies vielleicht wegen seiner dogmatischen marxistischen Auswirkungen mit größerer Furcht. Das spürt man natürlich. Manch einer schätzt den guten Willen der Regierung. Wir anderen erkennen zwar an, das diese Regierung alles auf den Friedensprozeß setzt, sehen aber, daß sie noch völlig taub gegenüber der sozialen Problematik des Landes ist und sich sehr entschieden zeigt, die Politik fortzusetzen, die IWF und Weltbank von ihr verlangen. Solange die wirtschaftliche und soziale Lage in unserem Land so schlecht ist, ist es sehr schwierig, den Frieden aufzubauen.