El Salvador | Nummer 231/232 - Sept./Okt. 1993

“In einem Land, dessen Wahlen vom Ausland überwacht werden, gibt es keine Demokratie”

Interview mit Dr. Héctor Dada Hirezi, Direktor des sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts FLACSO in San Salvador

Anfang 1980 war Héctor Dada Hirezi neben dem späteren Präsidenten Duarte der zweite Repräsentant der Christdemokratischen Partei (PDC) in der zweiten Regierungsjunta nach dem Militärputsch junger Offiziere vom 15.10.1979. Für die Volksbewegung und die fünf revolutionären Organisationen, die wenig später die FMLN bildeten, war er damit ein Gegner. Nach nur etwas mehr als zwei Monaten verließ er die Junta, da er das Aufstandsbekämpfungsbündnis von PDC, US-Botschaft und Streitkräften nicht mehr länger mittragen wollte: die Repression hatte enorme Ausmaße angenommen, der Weg für einen Dialog mit der Opposition war versperrt, alle Zeichen standen auf Krieg. Dada Hirezi verließ die PDC und – um nicht selbst von der Rechten ermordet zu werden – El Salvador, wohin er erst vor zwei Jahren zurückkehrte. Im Juni wollte die FMLN den einstigen Gegner zu ihrem Präsidentschaftskandidaten machen, doch der heute parteilose Dada Hirezi lehnte ab. Er zieht es vor, im Hintergrund zu bleiben. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen am 18. August in San Salvador mit ihm über die Veränderungen bei der Linken und der Rechten, die Probleme des gesellschaftlichen Transformationsprozesses und die Chancen für die Demokratie in El Salvador.

Interview und Übersetzung: Michael Krämer

LN: Die ARENA-Regierung macht seit vier Jahren eine Politik, die sich gegen die Armen im Land richtet. Wieso gibt es nicht mehr Proteste gegen diese neoliberale Politik?
Dada Hirezi: Weil die Auswirkungen der Regierungspolitik durch andere Faktoren abgefedert werden. Vor allem durch das ganze Geld, das aus dem Ausland kommt. Nach offiziellen Zahlen überweisen die SalvadorianerInnen, die im Ausland leben, jedes Jahr über 900 Millionen Dollar an ihre Familien. Dazu kommt das Geld der Nichtregierungsorganisationen, internationale Hilfsgelder für den Wiederaufbau und die Dollars, die hier “gewaschen” werden. Außerdem erwarten die Menschen eh nichts mehr von der Regierung, die Ermüdung von dem langen Krieg ist ein weiterer Faktor.

Aber während des Krieges war die soziale Bewegung doch auch sehr stark. Die Menschen gingen auf die Straße, obwohl es gefährlich war…
Sie war gar nicht so stark an sich, der Krieg hat ihr Stärke gegeben. Heute fehlt ihr die Orientierung, sie weiß nicht mehr, wer Freund und wer Feind ist. Und in der FMLN gibt es Leute, die neoliberaler als die Privatunternehmer auftreten. Joaquín [Villalobos, Chef der FMLN-Organisation ERP; die Red.] hat bei einer Rede fast wörtlich gesagt, “Neoliberalismus und Sozialismus sind fast das gleiche”. Da weiß auch die soziale Bewegung nicht mehr, wohin.

Auch die FMLN scheint wie gelähmt. Weshalb?
Die FMLN hat ihr großes historisches Projekt verloren: den Triumph der Revolution. Es ist sehr schwierig für sie, ihren Platz in der neuen Gesellschaft zu finden. Dazu kommt, daß es fünf Organisationen mit unterschiedlichen ideologischen Positionen sind. Die FMLN muß sich von einer militärisch-politischen Organisation in eine politische Partei verwandeln und sich ein neues historisches Projekt suchen. Beide Prozesse gleichzeitig zu durchlaufen, ist enorm schwierig – noch dazu in so kurzer Zeit.

Würde dieser Prozeß der FMLN leichter fallen, wenn die Wahlen nicht schon im März 1994 wären?
Das weiß ich nicht. Die ganzen Zeiträume des Friedensprozesses sind zu abrupt. Ein Beispiel dafür sind die Waffen [die von Mai bis Juli in Managua und an anderen Orten entdeckt wurden; die Red.]. Der Zeitplan war einfach zu kurz gehalten. Niemand kann von einer Guerilla, die aus Mißtrauen gegenüber bestimmten Leuten zu den Waffen gegriffen hatte, erwarten, daß sie so einfach alle Waffen abgibt, wenn die gleichen Leute wie damals noch an der Macht sind. Wobei die Frage der Waffen auch ein gutes Bild der FMLN zeigt: sie hat den Krieg beendet, weil sie zu der Überzeugung kam, daß der Krieg beendet werden muß, und nicht etwa, weil sie keine Waffen mehr gehabt hat.

Glauben Sie nicht, daß die FMLN in der Frage der Waffen zu defensiv reagiert hat?
Zweifelsohne. Die FMLN ist in die Defensive geraten, weil alle über sie hergefallen sind. Wie zum Beispiel der UN-Generalsekretär, der eine Ungeheuerlichkeit (barbaridad) gesagt hat: “Der Waffenfund ist die bisher schlimmste Verletzung des Friedensvertrages”. Auch das Verhalten von General Humberto Ortega ist für mich ziemlich unverständlich. Jetzt ist die FMLN in eine tragische Situation geraten, aber sie hat sich in dieser Frage auch nicht sehr klug verhalten.

Wie schätzen Sie die Chancen der Linken bei den Wahlen ein ?
Noch vor einem halben Jahr hätte ich gesagt, daß die Linke in diesem Moment eine große Chance hat. Heute bin ich mir da schon nicht mehr so sicher. Die Gefahr besteht, daß die Linke, wie schon öfter in der Geschichte El Salvadors und auch anderer Länder, diesen großen historischen Augenblick nicht nutzen kann. Die FMLN hat ihr Projekt verloren und glaubt, daß sie auch keine Ideologie mehr hat. Es gibt Leute in der FMLN, die meinen, die FMLN dürfe nicht mehr links sein, um die Unternehmerkreise, die heute auf Seiten von ARENA stehen, zu gewinnen. Das ist falsch. Um glaubwürdig zu sein, muß die Linke bei den Wahlen auch als Linke auftreten. Niemand, der sich selbst verstellt, kann Vertrauen erwecken. Außerdem kann sie mit linken Positionen besser mit der Rechten verhandeln.

Ist Rubén Zamora der richtige Kandidat für die Linke?
Ich denke, Rubén ist der richtige Kandidat. Ein Präsidentschaftskandidat muß Macht haben wollen, das ist auch völlig legitim. Und Rubén Zamora will an die Macht. Problematisch ist die Form, wie es zu seiner Kandidatur kam. Aber auch wenn es in den FMLN-Spitzen einige Leute gibt, die ihm nicht vertrauen, so hat er doch den Rückhalt der Basis der FMLN.

Und wie steht es um die Rechte, da gibt es doch auch wichtige Veränderungen. Bedeutet die Kandidatur des ARENA-Vorsitzenden Calderon Sol das Ende des Modernisierungsprozesses der salvadorianischen Rechten?
Das Projekt der Rechten ist noch nicht klar definiert. Aber daß mit der wirtschaftlichen Modernisierung auch die Demokratisierung einhergeht, war noch nie das Projekt der Rechten, weder von ARENA, noch von Cristiani. Viele Leute meinen, Cristiani sei ein Demokrat. Für mich ist Cristiani ein autoritärer Politiker mit gutem Benehmen (buenas modales) und einer großen Fähigkeit, im richtigen Augenblick zu verhandeln und Zugeständnisse zum geeigneten Zeitpunkt wieder zurückzunehmen.

Aber Calderon Sol ist doch noch weniger demokratisch…
Der Unterschied zu Cristiani ist, daß Calderon Sol kein gutes Benehmen hat. Aber es darf nicht vergessen werden, daß Cristiani die Kandidatur von Calderon Sol durchgesetzt hat. Er hat ihn vorgeschlagen, als ARENA Anfang Februar eine Statue von Roberto d’Aubuisson [dem Gründer von ARENA und langjährigen Organisator der Todesschwadronen in El Salvador; die Red.] einweihte. Cristiani sagte bei dieser Feier, Calderon Sol sei der einzige bei ARENA, der das Erbe von d’Aubuisson verwalten könne und deshalb neuer Präsident des Landes werden solle. Calderon Sol ist ein Kompromiß zwischen den verschiedenen Fraktionen, die es innnerhalb von ARENA gibt.

Hat die Demokratie eine Chance in El Salvador, wenn Calderon Sol die Wahlen gewinnt?
Das hängt davon ab, wie die Zivilgesellschaft auf die Regierung von Calderon Sol reagiert. Er glaubt nicht an die Demokratie. Aber er hat auch einen Vorteil: selbst die Rechte vertraut ihm nicht, sie hätte lieber einen anderen Präsidenten. Aber vieles ist einfach noch zu unklar. Dieses Land befindet sich in einem enormen Veränderungsprozeß. Die meisten Menschen meinten, daß es jetzt bereits Demokratie gebe und es vor allem darum ginge, die Einhaltung des Zeitplans des Friedensvertrages zu überwachen. Und es wurde vergessen, die Zivilgesellschaft zu stärken und ihre Organisationen untereinander zu vernetzen, um einen Gegenpol zur herrschenden Politik zu bilden.

Der Begriff Zivilgesellschaft ist ziemlich in Mode in El Salvador. Alle reden von der Zivilgesellschaft, dabei ist es ziemlich konfus, was damit gemeint wird…
Richtig. Es wird übersehen, daß die Menschen sich auch in der Zivilgesellschaft nach ihren eigenen Interessen gruppieren. Also die ArbeiterInnen gegen die Interessen der Unternehmen und umgekehrt und so weiter. Ein Problem ist, daß die Institutionen der Zivilgesellschaft noch sehr schwach sind, zuviel hängt noch von der Intervention internationaler Organisationen ab, deren Rolle aber immer schwächer wird, ohne daß es bereits salvadorianische Institutionen gäbe, die ihre Aufgaben übernehmen können. Es gibt mittlerweile einen Staatsanwalt für die Überwachung der Menschenrechte, aber nach wie vor ist ONUSAL [die UNO-Organisation, die den Friedensprozeß überwachen soll; die Red.] in diesem Bereich viel wichtiger. ONUSAL soll auch die Wahlen überwachen. Wir haben noch keine Institutionen, die wie in anderen Ländern dafür sorgen, daß die demokratischen Spielregeln eingehalten werden. In einem Land, dessen Wahlen vom Ausland überwacht werden, gibt es keine Demokratie. Es gibt in El Salvador einen Demokratisierungsprozeß, aber noch keine Demokratie. Die Zukunft der Demokratie in El Salvador ist ungewiß. Eine Rechtsregierung nach den Wahlen im nächsten Jahr würde fast sicher eine Rückkehr zum Autoritarismus bedeuten.

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