In elf Geschichten um die Welt
Von Leuten, die nicht genau wissen, wo sie hin gehören
Grenzgängerbeatz, so heißt die neue Veröffentlichung des in Berlin lebenden Autors und Journalisten Raul Zelik. In diesem Buch bringt er elf sehr unterschiedliche Kurzgeschichten zusammen, die in der ganzen Welt spielen, und die alle etwas mit dem Thema ‘Grenzenüberschreiten’ beziehungsweise ‘zwischen zwei Fronten stehen’ zu tun haben.
Die Grenzgänger in den Erzählungen Zeliks, das sind auf der einen Seite Einwandererkinder der zweiten oder dritten Generation, die sich genau auf der Grenzlinie zwischen heimatländischer Tradition und deutscher Stadtkultur bewegen. Auf der anderen Seite sind dies Reisende, die sich weit von den ausgetretenen Touristenrouten entfernt haben und auf ihrer Reise die sonderbarsten Personen treffen, wie zum Beispiel furchtlose kolumbianische Gewerkschafter, einen Sammler rostiger Gegenstände aus der Sahara, einen venezolanischen Clint Eastwood und ähnliche Kaliber.
Beatz bedeutet, dass die Geschichten sehr nah an der Realität – sozusagen am Puls der Zeit – geschrieben sind: es handelt sich meist um eine kurze Periode aus dem Leben des Helden/der Heldin, in denen er/sie ein kleineres oder größeres Abenteuer bestehen muss. Diese Episoden sind gleichzeitig eine Art Fokus auf einen kurzen Moment des Lebens der ProtagonistInnen, der aber auch auf die normalen Lebensumstände und die Weltsicht der selbigen schließen lässt.
Eine Geschichte ist zum Beispiel „Erik, der Zoowärter”, in der drei dieser Grenzgänger in einem tristen Ort an der brasilianisch-guayanischen Grenze aufeinandertreffen, um dort auf eine Transportmöglichkeit nach Georgetown, der Hauptstadt Guayanas, zu warten. Diese drei Personen sind der reisemüde Ich-Erzähler auf dem Rückweg nach Deutschland, Paul, ein guayanischer Schmuggler, der gerade dabei ist, brasilianische Konsumgüter in seine runtergewirtschaftete Heimat zu bringen, und der schon im Titel der Erzählung erwähnte Erik. Erik ist ein Draufgänger, der sich nicht all zu viele Gedanken macht, und der sich einfach, ohne zu wissen was auf ihn zukommt, auf den Weg von Mexiko nach Surinam gemacht hat. In Surinam befindet sich nämlich der einzige Zoo auf der Welt, der ihm einen Ausbildungsplatz als Tierpfleger, seinem Traumjob, zugesagt hat.
Von der Absurdität in die Normalität
Zunächst muss er jedoch, wie die beiden anderen auch, in Lethem, dem Grenzort, auf seine Weiterfahrt warten. Dieses Warten zieht sich länger und länger und wird zur unerträglichen Prozedur, weil es seit Tagen regnet und somit kein Flugzeug die Lehmlandebahn des Ortes anfliegen kann. In Lethem passiert nämlich rein gar nichts, es ist schwül, die Matratzen sind schlecht und ein Tag gleicht hier dem anderen.
Als das Flugzeug dann endlich kommt, schafft es aber nur der Ich-erzählende Rucksacktourist die Stadt zu verlassen und aus einer absurden Situation in die Normalität zu flüchten. Was mit den anderen beiden passiert weiß man nicht und zumindest der Ich-Erzähler ist froh darüber, sie vergessen zu können.
Eine andere Geschichte ist „Gül, die Rose”. Gül ist eine junge Bewohnerin des Berlin-Kreuzberger Wrangel-Kiezes. Dort ist sie nicht nur bekannt wegen ihrer enormen Nase, „the nose of the rose”, sondern auch als Anführerin ihrer Mädchen-Gang, den „Ghetto Sistas”. Sie ist launenhaft und großmäulig und „eine, die den Kartoffeln, Klugscheißern und Klassenstrebern nicht über den Weg traut”. Ernste Schwierigkeiten bekommt sie, als ihre Eltern sie mit ihrem in der Türkei lebenden Cousin verheiraten wollen, um diesem die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Für Gül ist dabei von Anfang an klar, dass die Heirat zwar unumgänglich ist, aber sie danach nichts mehr mit diesem „Provinz-Mustafa“ zu tun haben will. Es wird also in der Türkei geheiratet und der Cousin bleibt erstmal da, bis der Papierkram erledigt ist. Während dessen reist Gül zurück nach Deutschland und es sieht erst einmal so aus, als ob sie sich dem Willen der Eltern beugen würde. Zwei Monate später gibt sie aber vor ihrer entgeisterten Verwandtschaft – trotz Morddrohung ihres Bruders, Hassan dem Metzger – bekannt, dass sie mit ihrem Cousin nicht ihr Leben verbringen werde. Als sie diesen Satz ausgesprochen hat, begreift sie, dass ihr nur noch die Flucht bleibt und so beginnt ihr Abenteuer.
Was bei Raul Zelik immer wieder ins Auge fällt, ist, wie gut er sich in den verschiedensten Kulturkreisen auskennt – sei es in Kolumbien, im Baskenland oder einfach nur im Beton einer deutschen Großstadt. Unterstrichen wird dies durch seinen sehr lockeren, unkonventionellen Sprachstil und das Benutzen der dem jeweiligen Gebiet eigenen Umgangssprache, die dazu beiträgt, das Umfeld und das Lebensgefühl der einzelnen Charaktere besser zur Geltung zu bringen.
Die Begriffe, mit denen er „Deutschländer“ (in Deutschland lebende Türken) nachahmt reichen so beispielsweise von „Gelbkopf“ für Deutschen über „Außengeländer“ für Ausländer bis zu „voll das Gefährt-Jungmänner“ für Spielautomaten fütternde, Karten spielende Goldkettchentypen.
Insgesamt kann man sagen, dass Raul Zelik in Grenzgängerbeatz bunte Bilder und interessante Menschen aus der ganzen Welt präsentiert, die jeweils ihre eigene Geschichte und ihre ganz eigenen Probleme haben. Die zwei oder drei schwächeren Geschichten werden dabei von den sehr unterhaltsamen und gewitzten anderen Erzählungen mehr als gut kompensiert. So lädt das Buch ein zu einer lesenswerten Reise in eine mal mehr, mal weniger bekannte Welt, bei der man nebenbei noch einiges über Kulturen und Lebensweisen lernen kann, sei es hier oder am anderen Ende der Welt.
Raul Zelik: Grenzgängerbeatz, Verlag Assoziation A, Berlin, Hamburg, Göttingen 2001, 201 S., 29,80 DM (ca. 16 Euro)