Bewegung | Nummer 387/388 - Sept./Okt. 2006

Kämpfe um die Stadt der Zukunft

Der Masterplan von Fortaleza – Sein oder Schein?

Im Vergleich zu Modellen in den Hauptstädten anderer brasilianischer Bundesstaaten scheint das von der Stadtverwaltung Fortalezas gewährte Mitspracherecht der BürgerInnen vorbildlich. Aufgrund von Unzulänglichkeiten des städtischen Partizipationsmodells führen jedoch auch renommierte VertreterInnen der Zivilgesellschaft Fortbildungen und Workshops mit den BewohnerInnen der Stadt durch, um konkrete Vorschläge für den Masterplan zu erarbeiten. Der Partizipationsansatz in Fortaleza steht damit im Spannungsfeld zwischen den Interessen der Stadtverwaltung und denen zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Wera Bille

Fortaleza – Hauptstadt des Bundesstaates Ceará im Nordosten Brasiliens. Eine Stadt, in der zwei Drittel der Bebauung irregulär sind, ein Drittel der Bevölkerung in Favelas oder Problemvierteln lebt und das Stadtbild von sozialräumlicher Fragmentierung geprägt ist. Das auf der einen Seite unkontrollierte und auf der anderen Seite von kapitalistischen Interessen dominierte Wachstum der Stadt hat ein Fortaleza hervorgebracht, in dem soziale Ungerechtigkeit und die Ausgrenzung der armen Bevölkerung vorherrschen. Informelle Siedlungen stehen Luxushotels, geschlossenen Wohnanlagen und Hochhäusern der oberen Mittelschicht, die Hochsicherheitstrakten gleichen, gegenüber.

Der Masterplan

Schuld an solchen Fehlentwicklungen ist oft die ungenügende Planung. Fortaleza selbst besitzt seit 2002 keinen gültigen Masterplan zur Steuerung der Stadtentwicklung mehr.
Dem unkontrollierten Stadtwachstum brasilianischer Großstädte soll nun durch partizipativ erarbeitete Masterpläne Einhalt geboten werden. Das 2001 vom Städteministerium festgelegte Stadtstatut bietet eine Reihe innovativer Instrumente zur Umsetzung der avisierten Stadtreform, die auf dem Prinzip der gesellschaftlichen Funktion von Eigentum beruht und eine sozial gerechtere Stadtentwicklung anstrebt. Das Stadtstatut legt auch fest, dass Städte über 20.000 EinwohnerInnen bis Oktober 2006 ihren Plano Diretor zur Stadtentwicklung erarbeiten beziehungsweise erneuern müssen und zwar mit Beteiligung der BewohnerInnen. Dieser Masterplan hat eine Gültigkeit von zehn Jahren. Er legt die Nutzung und die Bebauungsdichte für die gesamte Stadt fest. Im Plano Diretor können auch sogenannte Sonderzonen Sozialen Interesses (ZEIS) ausgewiesen werden, die die BewohnerInnen informeller Siedlungen beispielsweise vor der Verdrängung durch Tourismusprojekte schützen sollen. Auch können in diesen Sonderzonen Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau vorbehalten bleiben.

Der Plano Diretor als Spielfeld politischer Machtkämpfe

In Fortaleza begann der Prozess zur Erstellung des Plano Diretor bereits im Jahr 2002 unter dem damaligen Bürgermeister Juraci Magalhães der konservativen Partei PMDB (Partido do Movimento Democrático Brasileiro). Der Plan wurde ohne Beteiligung der BewohnerInnen und eher im Sinne der Ausweitung des Tourismus und der Interessen der Bauindustrie denn einer sozial gerechten Stadtentwicklung erarbeitet.
Infolge einer massiven Kampagne des Netzwerkes für sozialen und umweltgerechten Städtebau NUHAB wurde der Plano Diretor von der 2004 gewählten volksnahen Bürgermeisterin der Arbeiterpartei PT, Luizianne Lins, allerdings vor der Abstimmung durch die Abgeordnetenkammer wieder zurückgezogen. Das führte bei sozialen AktivistInnen zu Hochstimmung. Ebenso hoch waren die Erwartungen der Bevölkerung, nun aktiv an der Erstellung des Plans teilhaben zu können. Doch zunächst geschah gar nichts. Erst im Februar 2006 wurde das Thema innerhalb der Stadtverwaltung wieder aufgenommen.
Nun wird der Prozess zur Erstellung des Plano Diretor von der Nichtregierungsorganisation Instituto Pólis aus São Paulo koordiniert und von einem Beratungskomitee, das allerdings keine Entscheidungsbefugnis hat, begleitet. Das Komitee besteht aus VertreterInnen der Zivilgesellschaft, der Architektenkammer, der Bauindustrie und des Immobiliensektors. Die unterschiedliche Vorstellung vom Partizipationsprozess innerhalb dieser Gruppe ist offensichtlich.

Von der gescheiten Theorie…

Nichtsdestotrotz scheint das vom Instituto Pólis entwickelte Verfahren auf eine aktive Beteiligung der BewohnerInnen Fortalezas abzuzielen. Durch Weiterbildungen sollen die BewohnerInnen über den Prozess, die Instrumente des Masterplans und Beteiligungsmöglichkeiten informiert werden. In 14 Workshops und in regionalen Anhörungen sollen sie die Möglichkeit haben, Prioritäten für die Entwicklung bestimmter Regionen zu diskutieren und ihre Vorschläge einzubringen. Abschließend soll auf einem Kongress im September über die Aufnahme der Vorschläge in den Plano Diretor entschieden werden. Hier werden unter anderem Nutzung, Bebauungsdichte und maximale Geschosshöhe festgelegt, die erwähnten Sonderzonen ZEIS ausgewiesen und über den Erhalt und die Ausweisung von Freiflächen diskutiert. Weiter können Vorschläge zu Infrastruktur und Versorgungsreinrichtungen eingereicht und konkrete städtebauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation der BewohnerInnen gefordert werden. Theoretisch sollen sich die BewohnerInnen also direkt an der Verbesserung ihres Wohnumfelds beteiligen können.

…zur scheiternden Umsetzung

Die bisherige Praxis gestaltete sich jedoch anders. Bei den diversen Veranstaltungen erschienen aufgrund der ungenügenden Mobilisierung nur wenige BewohnerInnen. Teilweise nahmen lediglich fünf BürgerInnen das Angebot wahr. Die angekündigte Medienkampagne wurde mit erheblicher Verspätung einen Tag vor der ersten Veranstaltung gestartet und enthielt keine handfesten Informationen über den Partizipationsprozess. Oft wurden die Veranstaltungsorte kurzfristig geändert. Von zivilgesellschaftlichen Organisationen bereitgestellte Busse voller beteiligungsfreudiger BürgerInnen fanden so nicht mehr ihr Ziel. Die Möglichkeiten zur Beteiligung waren erheblich eingeschränkt, da die BewohnerInnen keine genauen Informationen erhielten.
Deutlich wurde, dass die Bevölkerungsbeteiligung beim Erstellen des Plano Diretor keine Priorität für die Stadtverwaltung hat. Politischer Druck wird vehement von jenen AkteurInnen ausgeübt, die kaum Interesse an der Wahrung der Rechte der benachteiligten Bevölkerung haben dürften.
Bei den Versammlungen zum partizipativen Bürgerhaushalt, an dem die BewohnerInnen auch direkt mitbestimmen, funktioniert die Mobilisierung beispielsweise hervorragend. Hier wird jedoch nur über einen geringen Teil des Haushalts bestimmt. Die Festlegung der Nutzung Fortalezas, brasilianische Hauptstadt der Geldwäsche und inzwischen Hauptziel des Tourismus, bewegt ganz andere Summen in- und ausländischen Kapitals.
Ein weiterer Grund für das Scheitern des Partizipationsmodells der Stadtverwaltung ist das fehlende Bewusstsein der BewohnerInnen über die Macht, die ihnen die Beteiligung an der Erstellung des Plano Diretor gibt. Die Möglichkeit, ihre Lebenssituation konkret verändern zu können, erschließt sich ihnen beim kurzfristiger ausgerichteten Bürgerhaushalt deutlicher, beziehungsweise wird es ihnen deutlicher gemacht.
So ist beispielsweise auch José Meneleu, Sekretär für Planung in Fortaleza, der Meinung, dass bei einer langfristigen Planung die BürgerInnen die Stadtentwicklung nicht nur aus Sicht ihrer eigenen Wohn- und Lebensverhältnisse betrachten dürften. Der unzureichende BürgerInnenbezug ist also auch ihm bewusst. Zu bezweifeln ist daher, ob es den entsprechenden VertreterInnen der Stadtverwaltung gelingen wird mit Hilfe eines Masterplans, der die direkten Bedürfnisse der BürgerInnen nicht berücksichtigt, an einer sozial gerechteren Stadtentwicklung mitzuwirken.
Neben der schwachen Bürgerbeteiligung steht die Stadtverwaltung vor einem weiteren Problem: dem enormen Zeitdruck. Denn die Abgabefrist für den Masterplan ist im Oktober. Die Phase der Bestandsanalyse in den Stadtvierteln ist bereits abgeschlossen. Die regionalen Anhörungen, bei denen die Delegierten für den Kongress des partizipativen Masterplans im September gewählt werden, haben bereits begonnen. Die letzte Etappe findet einen Monat vor Ende der Frist statt.
Parallel zu den Aktivitäten der Stadtverwaltung initiierten die zivilgesellschaftliche Organisationen ein eigenes Programm in Sachen Plano Diretor. Dazu führten Nichtregierungsorganisationen des Netzwerks NUHAB einen einmonatigen Workshop durch. Ziel war, die BewohnerInnen und BürgerInnenbewegungen zur Beteiligung an der Erstellung des Masterplans zu befähigen. Zudem wurden konkrete Vorschläge zur Übernahme in den Plano Diretor erarbeitet.

Recht auf Stadt

An dem Workshop nahmen 100 bereits stadtpolitisch aktive BewohnerInnen teil, die sich in vier Gruppen mit besonders konfliktbelasteten Regionen der Stadt auseinander setzten. Während der ersten Woche fanden intensive Schulungen zum „Recht auf Stadt“, zu den Instrumenten des Plano Diretor und den Möglichkeiten ihres Einsatzes statt. In den folgenden zwei Wochen führten die Gruppen Bestandsaufnahmen und -analysen durch, auf deren Grundlage dann entsprechende Vorschläge zur Verbesserung der bestehenden Situation erarbeitet wurden. Anschließend tauschten sich die TeilnehmerInnen in einem zweitägigen Seminar aus und diskutierten die Vorschläge. Durch die Schulungen und die teilweise jahrelange Erfahrung im Kampf um eine sozial gerechtere Stadtentwicklung konnten die TeilnehmerInnen einige qualifizierte Vorschläge erarbeiten. Sie orientierten sich an den Bedürfnissen derjenigen, die in besonders großem Maß unter den Problemen der Stadt leiden.

Machtpolitik vs. BürgerInnenpartizipation

Eine Gruppe hat ihre Vorschläge bereits in einer öffentlichen Anhörung vorgestellt und dem Planungssekretär José Meneleu offiziell überreicht. Unter anderem schlug die Arbeitsgruppe vor, ein jahrelang brachliegendes Grundstück zur Sonderzone für Sozialen Wohnungsbau auszuweisen. Das entsprechende Grundstück befindet sich in einer Region die unter zunehmendem Spekulationsdruck steht und gehört einer der einflussreichsten Familien Fortalezas. Ob die Vorschläge tatsächlich in den Plano Diretor übernommen werden, ist nun eine rein machtpolitische Entscheidung.
Für Fortaleza und seine BewohnerInnen bleibt daher die Frage offen, ob die Stadtverwaltung die nötige Weitsicht und Durchsetzungskraft hat, wenigstens einige der erarbeiteten Vorschläge zu übernehmen. José Meneleu zumindest zeigte sich über die zahlreichen Vorschläge im Rahmen der ersten regionalen Anhörungen erfreut. Er geht davon aus, dass es in zehn Jahren, wenn der nächste Masterplan erarbeitet wird, bereits eine ausgeprägtere Partizipationskultur gibt.

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