Nummer 414 - Dezember 2008 | Queer

„Kein Mann wird als Gewalttäter oder Macho geboren“

Interview mit dem Gender-Aktivisten Ebén Díaz aus Nicaragua

Ebén Díaz engagiert sich in der nicaraguanischen Vereinigung Männer gegen Gewalt (AHCV) sowie im landesweiten Netzwerk für sexuelle Vielfalt. Das Netzwerk besteht aus Gruppen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Ebén Díaz über Homophobie, Machismus und die Einstellungen von Regierung, Opposition und Kirche.

Sebastian Henning

Bei der Reform des Strafgesetzbuchs im November letzten Jahres wurde der Homo-Paragraph 204 abgeschafft, der für offen gelebte Homosexualität Gefängnisstrafen von ein bis drei Jahren vorsah. Der 1992 eingeführte Paragraph wurde zwar nie angewendet, war allerdings als Drohung jederzeit präsent. Wer hat eure Forderungen nach der Abschaffung auf nationaler Ebene unterstützt?
Bereits als das neue Strafgesetzbuch erarbeitet wurde, informierten uns darüber Abgeordnete des linken Bündnisses Alianza MRS. Schon während der Debatte konnten wir dadurch beginnen, Straßenproteste zu organisieren und uns auf parlamentarischer Ebene einzumischen. Dabei unterstützte uns vor allem die Frauenbewegung, namentlich das Frauennetzwerk gegen Gewalt und die Feministische Bewegung Nicaraguas. Im Parlament halfen uns neben Linken sogar einige konservative Politiker, wie der Abgeordnete José Pallais der Liberal-Konstitutionalistischen Partei (PLC). Am besten haben wir aber von Anfang an mit Mónica Baltodano und Víctor Hugo Tinoco von der MRS-Allianz zusammengearbeitet, die ganz selbstverständlich auch zu unseren Aktionen kamen.

Im krassen Gegensatz zu diesem Erfolg steht das Verbot der therapeutischen Abtreibung, das 2006 eingeführt wurde und nun unverändert weiter besteht. Welche Perspektiven siehst du für eine Lockerung?
Das ist im Moment extrem schwierig. Die Frauenorganisationen versuchen jetzt erneut, über eine Verfassungsklage gegen das Verbot vorzugehen, wobei wir sie natürlich unterstützen. Es ist aber zu befürchten, dass der Oberste Gerichtshof die Sache zurückweist. Das Leben der betroffenen Frauen ist den Verfassungsrichtern doch völlig egal. Letztlich werden solche Dinge in Nicaragua politisch verhandelt. Und das ist recht schwer, solange sich die Katholische Kirche in Bereiche einmischt, in denen sie eigentlich nichts zu suchen hat.

Die Katholische Kirche und zunehmend auch evangelikale Gruppen treten dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vehement entgegen. Gibt es in Nicaragua auch religiöse Strömungen, die in dieser Frage liberaler sind?
Da wäre zunächst die Metropolitan Community Church (MCC) zu nennen, die bereits seit vielen Jahren in Managua präsent ist. Es handelt sich dabei um eine ökumenische Gruppe, die offen für Personen jeder sexuellen Orientierung ist. Es besteht auch eine gewisse Nähe zur Theologie der Befreiung, deren Grundlage der Respekt voreinander ist. Die Anglikanische Kirche, Presbyterianer und Methodisten haben sich ebenfalls etwas geöffnet.

Rosario Murillo, die Ehefrau des Präsidenten Daniel Ortega, bezieht sich immer wieder auf traditionelle religiöse Werte. Wie positioniert sich die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) in Bezug auf sexuelle Vielfalt?
Der FSLN ist meiner Meinung nach wirklich nicht mehr zu helfen. Vor einigen Wochen ließ Rosario Murillo fallen, dass in Nicaragua gleichgeschlechtliche Ehen abzulehnen seien. Wir wussten ja schon, dass die Regierung so denkt, jetzt ist es aber offenkundig. Den revolutionären Anspruch hat die FSLN schon lange verloren. Ich würde sogar sagen, in der Frage der Emanzipation hat sie ihn nie wirklich gehabt. Bei der Befreiung der Frauen und der Homosexuellen wurden die mit der Revolution verknüpften Hoffnungen letztlich enttäuscht.

Während der derzeitigen Amtszeit Daniel Ortegas wurde das kostenlose Gesundheitssystem wieder eingeführt. Konnte dadurch die Behandlung von AIDS-Kranken verbessert werden?
Das sehe ich nicht. Zwar ist das staatliche Gesundheitswesen jetzt kostenlos, aber die Versorgung ist absolut mangelhaft. Die Betroffenen werden sich selbst überlassen. Wer überleben will, wendet sich an eine der wenigen nichtstaatlichen Hilfsorganisationen oder geht nach Costa Rica, um dort zu arbeiten und sich behandeln zu lassen. Abgesehen von der Aufnahme in die Statistik gibt es in Nicaragua staatliche Hilfe für HIV-Positive nur auf dem Papier.

Ein anderes Problem, das vor allem in Mexiko und Brasilien verstärkt auftritt, sind homo- und transphobe Morde. Gibt es solche Gewalttaten in Nicaragua auch?
Ja, ich weiß von zwei Morden an Transvestiten in Ocotal, einer Stadt an der honduranischen Grenze, die vom nicaraguanischen Trans-Netz dokumentiert wurden. Es gab auch eine polizeiliche Anzeige, aber die Ermittlungen in solchen Fällen verlaufen meistens im Sande. Nach Jahren wird dann der Fall eingestellt – aus Mangel an Beweisen, weil es keine Zeugen gibt. Es existiert auch keine juristische Handhabe für diese Art von Hassverbrechen. Da gibt es noch viele Leerstellen.

Was macht die Vereinigung Männer gegen Gewalt (AHCV) als Antwort auf diese Taten?
Wir wollen in Nicaragua die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern verändern. In erster Linie arbeiten wir dabei mit Männern, denen wir ihr machistisches Verhalten bewusst machen und die wir zu einem Umdenken bewegen wollen. Gewalt von Männern entlädt sich traditionell an Frauen, Kindern und anderen diskriminierten Menschen wie Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen, Transvestiten, Transgendern, Intersexuellen. Es wird aber kein Mann als Gewalttäter oder Macho geboren. Solche falschen Vorstellungen von Männlichkeit werden gesellschaftlich konditioniert.

Wo seht ihr die Ursachen des Machismus in Nicaragua?
Meiner Meinung nach wurde er von den spanischen Eroberern mitgebracht. Erst durch das Beispiel der Konquistadoren begannen die indigenen Männer damit, die Frauen und andere vermeintlich weniger Mächtige zu unterdrücken. Auch die Kirche hat natürlich ihren Anteil an der Geschlechterungerechtigkeit. Ein weiterer Grund ist ganz klar die Tatsache, dass die nicaraguanische Gesellschaft noch sehr vom Bürgerkrieg gezeichnet ist. Die Gewalt setzt sich auch heute im Alltag fort. Das zieht sich durch alle gesellschaftliche Schichten. Diese Einstellungen lassen sich aber verändern, davon bin ich überzeugt.
// Interview: Sebastian Henning
Weitere Infos: www.hirschfeld-eddy-stiftung.de

EBÉN DÍAZ & LA RED DE DIVERSIDAD SEXUAL

Ebén Díaz ist seit einigen Jahren bei der Organisation Red de Diversidad Sexual (Netzwerk für sexuelle Vielfalt) in Managua aktiv. Unter anderem hat die Organisation jahrelang und letztlich erfolgreich für die Abschaffung des Artikels 204 des nicaraguanischen Strafgesetzbuches gekämpft, welcher homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellte. Seit 9. Juli 2008 gibt es den Artikel nicht mehr. Mit Unterstützung der Berliner Hirschfeld-Eddy-Stiftung konnte das Netzwerk in diesem Jahr an der Gay Pride Parade in Managua teilnehmen und eine Infobroschüre zum Thema Homosexualität herstellen.

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