Kommandos, Freunde und Drogenhandel
Interview mit dem Journalisten und Schriftsteller Julio Ludemir über die organisierte Drogenkriminalität in Rio de Janeiro
Herr Ludemir, um die Entstehung der Kommandos kursieren verschiedene Legenden. Sicher ist nur, dass sich das „Rote Kommando“ in den 1970er Jahren im Gefängnis auf der Ilha Grande zusammenschloss. Wie kam es dazu?
Die brasilianischen Militärs betrachteten nicht nur politische Gefangene, sondern auch Bankräuber als Subversive, was dazu führte, dass beide Gruppen dem Gesetz zur nationalen Sicherheit unterstellt wurden. Dies ist der Grund dafür, dass es 1971 zur Zusammenlegung von politischen Gefangenen und einigen der bekanntesten Bankräuber von Rio de Janeiro in dem auf der Ilha Grande gelegenen Gefängnis Candido Mendes kam. Die Haftbedingungen, unter denen die Insassen zu leiden hatten, waren äußerst prekär. Erschwerend kam hinzu, dass sich in den Gefängnissen von Brasilien und insbesondere Rio de Janeiro Bandenstrukturen gebildet hatten, Mitgefangene erpresst, beraubt und sogar ermordet worden sind. Die politischen Gefangenen begannen nun, die anderen Häftlinge zu organisieren und zu politisieren. Sie entwickelten gemeinsame Ziele und setzten diese durch verschiedene Maßnahmen, wie beispielsweise Hungerstreiks, auch durch. Unter dem Motto „Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit“ zogen die politisierten Gefangenen im Laufe der Jahre immer mehr Häftlinge auf ihre Seite. Ende der 1970er Jahre war die Gruppe stark genug, um diesen Banden den Garaus zu machen. Nach ihrem Sieg gab sich die Gruppe den Namen „Rotes Kommando“. Ihre Ideologie von der Gleichheit aller Gefangenen verbreitete sich schnell in den Gefängnissen von Rio. Nach und nach übernahm das „Rote Kommando“ die Kontrolle über das gesamte Gefängnissystem der Stadt. Anfang der 1980er Jahre erließen die Militärs die ersten Amnestiegesetze, wodurch zahlreiche Mitglieder des Roten Kommandos auf freien Fuß kamen – andere flohen. Einer der führenden Köpfe wurde in einer spektakulären Hubschrauberaktion von der Ilha Grande befreit; gleichzeitig schlossen sich mehrere Drogenchefs aus verschiedenen Favelas dem Roten Kommando an. Die Parole „Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit“ findet man auch heute noch in jeder vom Roten Kommando beherrschten Favela.
Wie kam es zur Gründung des „Dritten Kommandos“?
Es dauerte nicht lange, und das Rote Kommando nutzte seine unbestrittene Machtstellung in den Gefängnissen und seinen wachsenden Einfluß in den Favelas immer mehr zu seinem eigenen Nutzen aus. Das „Rote Kommando“ begann, autoritäre Strukturen zu entwickeln und die Gefangenen, die sich ihm nicht unterordnen wollten, zu unterdrücken und auszubeuten, also genau das zu tun, wogegen sie sich ehemals vehement gewehrt hatten. Einige Inhaftierte aus dem dritten Pavillon des Gefängnisses der Ilha Grande gründeten schließlich 1983 eine eigene Gruppe, das nach ihrem Pavillon benannte „Dritte Kommando“. Ihr Motto „Leben und leben lassen“ hatte einige Jahre zuvor noch zu den Bekenntnissen des „Roten Kommandos“ gehört. In relativer kurzer Zeit konnte das „Dritte Kommando“ seinen Einfluss in anderen Gefängnissen und Favelas ausweiten. Heutzutage sind beide Kommandos etwa gleich stark.
Entstand die Fraktion der „Freunde der Freunde“ auch auf der Ilha Grande?
Nein, bei ihnen handelt es sich um eine spätere Abspaltung. Aufgrund seines hierarchischen und autoritären Stils sagten sich seit Beginn der 1990er Jahre immer mehr Mitglieder vom „Roten Kommando“ los. Da es ihnen aufgrund ihrer Vergangenheit nicht möglich war, sich dem „Dritten Kommando“ anzuschließen, gründeten sie ein eigenes, neues Kommando: die „Freunde der Freunde“. Die 90er Jahre waren durch die Bekämpfung des „Roten Kommandos“ von den anderen beiden Drogenfraktionen geprägt, wodurch es seine eindeutige Vormachtstellung in Rio einbüßte. Mittlerweile sind diese Konfliktlinien aber nicht mehr so eindeutig. Es gibt inzwischen auch zahlreiche Kämpfe zwischen dem „Dritten Kommando“ und den „Freunden der Freunde“. Die Gefängnisse von Rio de Janeiro sind heute fein säuberlich zwischen den Fraktionen aufgeteilt. Das heißt, ein Gefängnis ist entweder in der Hand des einen oder des anderen Kommandos. Bereits bei der Festnahme eines Tatverdächtigen wird festgestellt zu welchem Kommando er gehört. Fühlt er sich keinem zugehörig, wird er der Fraktion zugeteilt, welche die Kontrolle über seine Favela hat.
Drogen und Favelas scheinen mittlerweile so zusammenzugehören wie Pech und Schwefel. Seit wann ist das so?
Es wird immer behauptet, die Drogenkommandos hätten während der letzten 20 Jahre in den Armenvierteln einen Parallelstaat errichtet, um sich bewusst dem Zugriff der staatlichen Ordnungskräfte und damit dem Rechtsstaat zu entziehen. In Wahrheit musste sich aufgrund der Abwesenheit des Staates eine parallele Gesellschaft entwickeln, die versucht, ihre eigenen Lebensverhältnisse zu ordnen. Die Drogenbosse haben dieses Vakuum des Staates zum Auf- und Ausbau ihrer Macht ausgenutzt. Bereits in den 1950ern Jahren wurden in den Favelas Drogen verkauft, wenn auch in sehr viel kleinerem Stil als heute. Wichtiger aber als die Quantität des Drogenumsatzes ist der Umstand, dass schon damals die Drogenbosse eine recht umfassende Macht in den Favelas besaßen. Der Staat scherte sich einen Dreck darum, wie es den Menschen in den Favelas ging. Die Drogenbosse nutzten ihre Machtstellung aus und übernahmen die Schaltstellen vieler infrastruktureller Einrichtungen wie Gasversorgung, Zugang zu Strom und Wasser, etc.. Bis heute geht ein Teil der Einnahmen aus Gas- und Stromverbrauch direkt in die Hände der Dealer.
Was hat sich im Vergleich zu damals geändert?
Im Gegensatz zu den heute agierenden Drogenfraktionen, die ja etwa die Hälfte aller Favelas von Rio unter sich aufgeteilt haben, kontrollierten die damaligen Drogenbosse lediglich ihre „eigene“ Favela. Die Dealer haben also heutzutage ihren Einzugsbereich und damit ihre Machtstellung erheblich ausgeweitet. Vor 50 Jahren standen sie nicht im Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Die Polizei ließ sie gewähren, und die Medien erwähnten sie nicht mit einem einzigen Wort. Die brasilianische Mittel- und Oberschicht war mit sich selbst beschäftigt, und bis Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre lebten Armenviertel und Wohnbezirke in friedlicher Koexistenz nebeneinander. Da interessierte es niemanden, dass die Drogendealer langsam aber sicher die Macht in den Favelas übernahmen.
Hinzu kommt noch, dass der Drogenhandel in den 1980er und 1990er Jahre stark zunahm. Das Drogengeschäft erlebte einen wahren Boom und Rio integrierte sich mit Hilfe der Kommandos in den internationalen Drogenhandel. Zunächst über Bolivien, später dann auch über Kolumbien und andere Länder, wurde Kokain im großen Stil eingeführt. Die Playboys von Rio frequentierten nun regelmäßig die Favelas. Die Drogenverkaufsplätze wurden in die Nähe der Ein- und Ausgänge der Favelas verlegt, um so leichter an die immer umfangreicher werdende Klientel aus der Mittel- und Oberschicht verkaufen zu können.
Sie haben in unterschiedlichsten Favelas recherchiert.
Nach allgemeiner Ansicht ist das Betreten einer Favela für Fremde/Außenstehende lebensgefährlich. In der Regel kann man aber eine Favela betreten, ohne befürchten zu müssen, dass einem etwas zustößt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Person ein bestimmtes Ziel in der Favela anstrebt. Sei es, dass sie jemanden besuchen oder Drogen kaufen möchte, oder an einem der berühmten Funkkonzerte teilnehmen will. Grundsätzlich muss man vorab nicht um Erlaubnis bitten. Der Historiker Marcos Alvito, der seit vielen Jahren zu den Favelas in Rio forscht, sagt: „Die Favela hat 1000 Augen“. Nichts bleibt unbeobachtet. Nur in seltenen Fällen wird man beim Betreten einer Favela angesprochen. Man wird vielmehr solange beobachtet bis klar ist, wohin man will. Geht der Fremde zum Drogenumschlagplatz oder läßt ihn ein Favela-Bewohner in seine Wohnung, dann heißt es, er sei „angekommen“. Von nun an interessiert man sich (erst einmal) nicht mehr für ihn.
Oft wird berichtet, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche im Drogenhandel verstrickt sind. Was ist ihr Eindruck? Welche Aufgaben übernehmen sie?
Die Anzahl der für den Drogenhandel arbeitenden Kinder und Jugendlichen ist in den vergangen Jahren stark angestiegen. Mittlerweile gibt es mehr Kinder und Jugendliche, die für Dealer arbeiten wollen, als letztere an Helfern benötigen. An einem der Drogenverkaufsplätze hing ein Schild, auf dem stand: „Wir haben keine Arbeit! Nachfragen zwecklos!“. Es sind also nicht etwa die Dealer, welche die Kinder und Jugendlichen zum Drogenhandel verführen, sondern es gibt genügend Kinder und Jugendliche, die an den Türen der Drogenbosse Schlange stehen. Mit anderen Worten: Heutzutage produziert Rio mehr Kriminelle als der Drogenhandel absorbieren kann. Dies ist auch ein wesentlicher Grund für die neue Expansion der Drogenkommandos im Umland von Rio de Janeiro. Wenn einer aus dem Knast entlassen wird, dann hätte er ein leichtes Spiel, wenn er in einem kleinen Ort im Hinterland von Rio einen Drogenhandel aufbauen wollte. An interessierten Helfern würde es ihm nicht fehlen.
Woher kommt dieses Interesse, im Drogenhandel zu arbeiten? Hat das wirtschaftliche Ursachen?
Ich glaube nicht, dass wirtschaftliche Gründe dafür verantwortlich sind. Die US-amerikanische Anthropologin Janice Perlmann („Der Mythos der Marginalität“) kam nach einer vergleichenden Studie von Daten aus dem Jahr 1969 mit Daten aus dem Jahr 1999 zu dem Ergebnis, dass sich die Lebensverhältnisse in den Favelas verbessert haben. Wo früher Bretterbuden standen, stehen nun Häuser, und auch im Bildungsbereich sind Verbesserungen zu verzeichnen. Aber selbst wenn man nicht von einer Verbesserung der Lebensverhältnisse ausgehen würde, wäre es zu einfach anzunehmen, dass junge Menschen keinen anderen Ausweg sähen, als durch den Drogenhandel zu überleben. Es sind ja lediglich etwa zwei Prozent der Favelabewohner im Drogenhandel tätig. Der Rest kommt mehr schlecht als recht über die Runden. Es ist vielmehr eine regelrechte „Kultur des Banditentums“ entstanden oder im Begriff des Entstehens. Für viele junge Menschen in den Favelas ist es schlichtweg attraktiver als Dealer sein Geld zu verdienen, statt einer ehrlichen Arbeit nachzugehen. Wenn man es bis ganz nach oben in der Banditenhierarchie schafft, dann kann man – aus ihrer Sicht – regelrecht berühmt werden. Große Dealer kommen in die Medien. Sie machen Schlagzeilen. Favelas, deren Namen niemand in Rio kannte, werden durch ihre Drogenbosse bekannt. Oft hängen sie sich den Namen der Favela sozusagen als Beinamen an. Der berühmteste Chef des Roten Kommandos Fernandinho Beira-Mar heißt eigentlich nicht Beira-Mar, sondern stammt aus der gleichnamigen, vorher unbekannten Favela. Meine 14-jährige Romanfigur Lembrancinho will unbedingt berühmt werden. Er sieht zwei Wege, um diesen Traum zu realisieren: Entweder wird er Dealer oder er engagiert sich bei der Gruppe Afro-Reggae, die jeder in der Stadt und darüber hinaus kennt.
Haben sich die Favela-Bewohner mit der Dominanz der Drogendealer abgefunden, oder gibt es welche, die sich gegen sie auflehnen?
Wie ich bereits schilderte, haben die Drogendealer ein Machtvakuum ausgefüllt. In nicht wenigen Favelas haben sie nicht nur die Kontrolle über die Infrastruktureinrichtungen übernommen, sondern unterstützen auch die weitere Installierung von Gas- und Stromleitungen. Der gezielte Einstieg in das Kokaingeschäft und der bewusste Verkauf an die Mittel- und Oberschicht erhöhte die Einnahmen der Drogendealer beträchtlich, was den allgemeinen Konsum in den Favelas steigerte. Letztendlich profitierten auch die Verkäufer und Barbesitzer von den Drogeneinnahmen. Ein Real verläßt nicht die Favela, sondern zirkuliert nur innerhalb von ihr.
Selbst wenn sich die Einkommensverhältnisse durch den Drogenhandel verbessert haben sollten, leiden die Favela-Bewohner nicht doch unter dem Terror?
Laut der von Medien, Politikern und Polizei geformten öffentlichen Meinung terrorisieren die Drogenkommandos die Favela-Bewohner, aber das stimmt nicht. In den Favelas, die ich kenne, sorgen sich die Dealer vielmehr um die Einhaltung der öffentlichen Sicherheit – zumindest entsprechend ihren Vorstellungen davon. In den Favelas müssen drei Regeln eingehalten werden: Es ist verboten, jemanden zu vergewaltigen, zu stehlen und jemanden zu verpfeifen. Wer dagegen verstößt, wird von den Dealern zur Rechenschaft gezogen. Von der Polizei haben die Opfer von Diebstählen keine Hilfe zu erwarten. Die brasilianische Justiz wird eine Vergewaltigung einer Favelabewohnerin nicht untersuchen, geschweige denn ahnden. Der Staat glänzt auch hier durch Abwesenheit. Die Favelados/as haben Angst vor der Polizei. Sie bevorzugen ein Durchgreifen der Dealer. Denn die Dealer wissen wenigstens genau, wer der Täter war und bestrafen nur denjenigen, der es verdient hat. Durch die Polizeikugeln kommen dagegen viele unschuldige Menschen um. Hinter Massakern steht immer die Polizei.
Aber es gibt doch genug Klagen von Favela-Bewohnern über Bandenkriege. Das jüngste Beispiel sind die Schießereien in den Favelas Vidigal und Rocinha.
Natürlich leiden die Menschen während der Bandenkriege, und es gibt auch immer wieder äußerst gewalttätige Dealer, wie der frühere Rocinha-Boss Dudu, der völlig verhasst war. Am Begräbnis seines Nachfolgers Lulu nahmen hingegen Tausende aus der Rocinha teil. Lulu hatte in Rocinha Theatergruppen, Capoeira-Kurse, Kindertagesstätten und andere soziale Projekte gestartet. Da das Hauptinteresse dem funktionierenden Drogenverkauf gilt, sind die Drogenbosse in der Regel an Ruhe und Ordnung interessiert. Schießereien und Großeinsätze der Polizei sind aus ihrer Sicht nicht willkommen. Die vielen nichtorganisierten Menschen, die ihr Geld im Drogengeschäft verdienen wollen, schaden damit letztendlich den etablierten Drogenfraktionen. Diese Menschen agieren auf eigene Faust, sie bestehlen und überfallen die Bewohner der Bezirke und die Touristen. Dies ist der Hauptgrund für die Zunahme der Straßenkriminalität in den vergangenen Jahren. Diese neue Welle der Gewalt ruft dann – angefeuert von der Presse – die Polizei auf den Plan, deren Einsätze in den Favelas dann aber das organisierte Drogengeschäft stören.
Wie geht es weiter in Rio – sehen Sie einen politischen Willen zur Lösung der bestehenden Probleme um Drogenhandel und Gewalt?
Aus den eben beschriebenen Gründen steuert Rio, meiner Ansicht nach, auf ein Chaos zu. Natürlich gäbe es Alternativen zur derzeitigen Politik. Eine solche Alternative wäre die Legalisierung der Drogen. Eine andere wäre die tatsächliche Bekämpfung des Drogenhandels. Es hat sich gezeigt, dass es der Polizei durchaus gelingt, die Bosse der Kommandos festzunehmen. Sie muss es nur wirklich wollen. Da die Polizei aber durch Schmiergelder sehr gut am Drogenhandel mitverdient, gibt es kein Interesse an einer wirksamen Bekämpfung des Drogenhandels und ihrer Kartelle. Die lediglich symbolhafte Bekämpfung der Dealer hat für die staatlichen Sicherheitskräfte eher den positiven Begleiteffekt steigender Einnahmen durch höhere Bestechungsgelder. Dadurch sind die Chancen einer politischen Lösung meiner Ansicht nach gering. Die Drogenkommandos werden eher auf illegale Weise bekämpft, zum Beispiel durch Todesschwadrone. Hierfür gibt es konkrete Anzeichen.
Es ist interessant zu beobachten, dass alle von den Gefahren und dem Terror der Drogenkartelle sprechen. Niemand interessiert sich jedoch für die Todesschwadrone, die nach wie vor die Peripherie von Rio de Janeiro, die so genannte Baixada Fluminense, kontrollieren, und das bereits seit gut 60 Jahren. In der Baixada Fluminense haben diese selbst ernannten Sheriffs mafiaähnliche Strukturen aufgebaut. Nach und nach besetzten sie die öffentlichen Ämter. Zahlreiche Killer wurden als Abgeordnete und Bürgermeister in die dortigen Bezirksämter gewählt, gerade weil die Wähler wissen, dass sie morden.
Bei den letzten Wahlen wurde einer der Anführer, Nadinho, als Abgeordneter mit den meisten Stimmen in den Landtag von Rio gewählt. Nadinhos Todesschwadron kontrolliert eine große Favela im östlichen Teil der Stadt. Keine Zeitung berichtete über diesen Skandal. Was auch nicht verwunderlich ist, da Nadinho von der Polizei, den örtlichen Unternehmern und dem Bürgermeister von Rio unterstützt wird. Letzterer ernannte ihn sogar zum stellvertretenden Bürgermeister der Region.
Sven Hilbig ist Mitarbeiter der brasilianischen Menschrechtsorganisation Justiça Global und Mitglied im FDCL.
KASTEN
Lembrancinha und Lambreto
In seinem neuesten Roman („Lembrancinha aus Adeus“, Rio de Janeiro, 2005, 230 Seiten) lässt Julio Ludemir seine Protagonisten, den 14-jährigen Lembrancinha aus der Favela Adeus und den Bankräuber Lambreto, in einem Wassertank zusammentreffen, in dem sie sich vor dem Krieg zwischen dem „Roten Kommando“ und den „Freunden der Freunde“ in Sicherheit gebracht hatten. Auf den 230 Seiten des Buches entspinnt sich ein Gespräch zwischen den beiden, die verschiedener nicht sein könnten. Lembrancinha, der noch nie in seinem Leben einen Fuß aus seiner Favela gesetzt hat, will unbedingt für das Drogenkartell arbeiten, das derzeit die Favela Adeus kontrolliert. Gespannt hört er den Erzählungen des alten Veteranen zu, der ihm aus einer Zeit erzählt, als die Kriminellen sich noch nicht in den Drogenfraktionen ein- und unterordnen mussten, sondern auf eigene Faust Autos stahlen und Banken ausraubten. Der Bankräuber Lambreta ist keine irreale Figur des Autors, er hat fast 30 Jahre seines Lebens in Haftanstalten verbracht. Die meiste Zeit davon saß er im Gefängnis Candido Mendes, auf der Insel Ilha Grande, dem Ort, wo sowohl das „Rote Kommando“ als auch später das „Dritte Kommando“ gegründet wurde.