Konflikt um Waldschutz fürs Klima
Das „Suruí Forest Carbon“-Projekt: Risse im harmonischen Bild vom indigenen Modell für Waldschutz durch Handel mit Emissionsgutschriften
Die Botschaft war unmissverständlich. „Wir sind auf ein irreführendes Angebot reingefallen. Wir sind hier, um die Annullierung des Projekts zu fordern“, ließen die aus dem brasilianischen Bundesstaat Rondônia nach Brasília angereisten zwölf Indigenen vom Volk der Paiter den Präsidenten der Indigenenbehörde FUNAI und die Vertreterin der Bundesstaatsanwaltschaft Ende Februar dieses Jahres wissen. Vertreter*innen verschiedener Gruppen der Paiter wiederholten die Forderung, das „Suruí Forest Carbon“-Projekt außer Kraft zu setzen: „Wir sind hier, um die Annullierung des Projekts zu fordern, das auch von der FUNAI bewilligt wurde. Wir treten hier vor den Präsidenten der FUNAI, um ihn aufzufordern, seine Verantwortung uns gegenüber wahrzunehmen. Wir wollen dieses Projekt nicht mehr“.
Ungefähr 1.800 Menschen zählen sich zur indigenen Gruppe der Paiter, die oft auch als Suruí bezeichnet werden. „Surui ist der bekannteste Name für unser Volk. Er wurde uns von Anthropologen gegeben, aber unser wirklicher Name ist Paiter, was in unserer Sprache heißt: das wahre Volk, wir selbst“. So beschreiben die Indigenen sich selbst. Den ersten Kontakt mit Nicht-Indigenen hatten die Paiter erst 1969. Sie bewohnen 25 Dörfer im westlichen Amazonas-Regenwald in Brasilien. Ein 248.000 Hektar großes Territorium, das teilweise im Bundesstaat Rondônia und teilweise in Mato Grosso liegt, wurde Ende der 1970er Jahre demarkiert und als traditionell von den Paiter bewohntes Gebiet anerkannt. Seit 2010 haben sie ein eigenes Parlament in ihrem Territorium eingerichtet, um demokratisch über alle Belange zu reden. Und nun liegen diese Indigenen vom kleinen Fluss Rio Branco in Rondônia im Clinch untereinander und mit einem Konzern in São Paulo, der Firma Natura, die laut eigener Darstellung „eine der zehn innovativsten Firmen weltweit“ sei und Kosmetikartikel „auf Naturbasis“ herstelle.
Dabei hatte alles so verheissungsvoll geklungen. „Brasilianischer Kosmetikkonzern kauft weltweit erste indigene Emissionsgutschriften aus Waldschutz“, titelte im September 2013 das Online-Newsportal Ecosystem Marketplace. Die Rede war vom „Suruí Forest Carbon“-Projekt in Rondônia, das eine „neue Ökonomie“ mit der Natur propagiert. Dieses wird von der US-amerikanischen Organisation Forest Trends und anderen vermarktet als Modell für Wald- und Klimaschutz in einem: Das Vermeiden von Waldzerstörung sollte finanziert werden mittels des Verkaufs von Emissionsgutschriften. Ähnliche Initiativen für die nationale oder regionale Ebene werden seit 2007 auch im Rahmen der Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen unter der Bezeichnung REDD – nach der englischen Abkürzung für „Reducing Emissions from Deforestation and Degradation“ – diskutiert. Ziel des REDD-Konzepts ist es, mittels finanzieller Anreize Waldverluste zu verringern – genauer gesagt, die durch Waldzerstörung verursachten Treibhausgasemissionen. Kommt die Rettung von Klima und Wald (siehe LN 414) also durch den Markt?
Wer auf diese Weise Klimagase einspart, soll unter REDD dafür bezahlt werden. Inwieweit solche Initiativen von vermeintlichem Waldschutz – durch angeblich vermiedene Waldzerstörung – auch als Lieferant für Emissionsgutschriften in ein zukünftiges internationales Klimaabkommen eingebunden werden, soll im Dezember 2015 auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris entschieden werden.
Es gibt für solche REDD-Projekte noch keine endgültigen Regelungen in internationalen Klimaabkommen. Aber auf freiwilliger Basis wird dieser Ansatz bereits seit längerem umgesetzt, und auch das „Suruí Forest Carbon“-Projekt bedient diesen freiwilligen Handel mit Emissionsgutschriften. Im September 2013 unterzeichneten Vertreter*innen des Projekts einen Vertrag mit Brasiliens größter Kosmetikfirma, Natura. Medienberichten zufolge ging es um 1,2 Millionen Reais, umgerechnet rund 340.000 Euro, die die indigene Gruppe erhalten sollte. Der Konzern Natura hätte im Gegenzug für den angeblich reduzierten Waldverlust auf dem indigenen Territorium und die dadurch errechnet eingesparten Emissionen an Kohlendioxid Gutschriften über 120.000 Tonnen CO2 erworben. Diese Gutschriften wiederum kann Natura benutzen, um die vom Kosmetikunternehmen verursachten Treibhausgasemissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu kompensieren, also gegenzurechnen – und so die wachsende Produktion seiner Produkte als klimafreundlich zu vermarkten.
Für eine solche Vermarktung sind Emissionsgutschriften aus imageträchtigen REDD-Projekten – wie dem „Suruí Forest Carbon“-Projekt – besonders attraktiv. Über Jahre hin hatten die Unterstützer*innen des Projekts das Image eines beispielhaft umgesetzten, von einem indigenen Volk konzipierten und kontrollierten REDD-Projekts aufgebaut – und somit auch den Marktwert der Gutschriften verbessert. Eine win-win-Situation für die Indigenen, den Konzern Natura und für den Wald?
Bald jedoch bekam das Bild der heilen Welt Risse. Im September 2014 gab ein Vertreter der Paiter dem Magazin Porantim der brasilianischen Unterstützerorganisation indigener Völker, CIMI. ein Interview. Es offenbarte, dass das Bild eines problem- und konfliktfrei verlaufenden REDD-Projekts konstruiert war und in Wahrheit vieles anders lief. Henrique Iabaday Suruí berichtete in dem Interview von den Konflikten innerhalb der Paiter, die das REDD-Projekt ausgelöst oder verschärft hat.
Henrique Iabaday Suruí erzählte von dem Versprechen von einem besserem Leben, und wie dies zu Anfang dem REDD-Projekt eine breite Zustimmung zusicherte. Der Großteil der Wälder, die das Territorium der Paiter einst umgaben, war in den vergangenen Jahrzehnten für Ackerland oder Viehweiden abgeholzt worden. Damit wuchs auch der Druck auf den Wald innerhalb des Paiter-Territoriums. Ende der 1980er Jahre propagierte zudem die Indigenenbehörde FUNAI Kooperationsabkommen der Paiter mit Holzunternehmen in der Umgebung, durch die Einkommen für die indigenen Gemeinden generiert werden sollte. Kaum jemand Offizielles störte sich damals daran, dass ein solcher Handel mit Holz aus indigenen Territorien eigentlich illegal ist. Finanzielle Not, fehlende Alternativen zur Erwirtschaftung von Einkommen, sowie das Fehlen von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen in den Dörfern der Paiter führten dazu, dass auch für einige Paiter-Familien illegaler Holzeinschlag auf dem eigenen Land zur einzig verfügbaren Einkommensquelle wurde. Dennoch: Im Vergleich zur großflächigen Rodung der Regenwälder in Rondônia für industriellen Ackerbau und Weidewirtschaft waren die durch Holznutzung degradierten Flächen auf dem Land der Paiter verschwindend gering.
In diesem Kontext wurde das mit Unterstützung der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID, der Washingtoner Organisation Forest Trends sowie mehreren brasilianischen Nichtregierungsorganisationen entwickelte „Suruí Forest Carbon“-Projekt im Jahr 2009 durch ein Memorandum aller vier indigenen Gruppen der Paiter ins Leben gerufen. Verbunden damit war auch der Beschluss, den illegalen Holzeinschlag innerhalb des Paiter-Territoriums einzustellen. Studien, die für die Konzeption des REDD-Projekts und für die Berechung der eingesparten Emissionen angefertigt wurden, beschreiben diese „Waldzerstörung“ durch illegalen Holzeinschlag durch die Paiter selbst gar als Hauptursache für Emissionen aus Waldverlust im Paiter Territorium. Die Dokumente sagten zudem, allerdings ohne plausible Begründung, einen rasanten Anstieg dieser Emissionen für die kommenden Jahre voraus. Das war Kalkül. Denn je höher die vorhergesagten zukünftigen Emissionen, desto höher die vermeintlichen Einsparungen durch ihre Vermeidung, wodurch sich wiederum die Anzahl der erzeugten Emissionsgutschriften später erhöhen würde.
Am Projekt waren anfangs 20 der 25 Dörfer beteiligt, und die Zustimmung innerhalb der Paiter war groß. Dies auch deshalb, weil diese hofften, dadurch den eigenen illegalen Holzeinschlag zu beenden. Dies geschah unter der Annahme, dass die Einkünfte aus dem Verkauf der Emissionsgutschriften den Einkommensverlust der Familien ausgleichen werden, die zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zuvor vom Holzverkauf abhängig waren. „Es gab Versprechungen, dass das Leben für unser Volk sich verbessern wird, dass Familien ein monatliches Einkommen haben werden, dass jedes Familienmitglied profitieren wird, dass wir Unternehmer werden“, erklärten Vertreter*innen der Paiter in einer öffentlichen Erläuterung im Dezember 2014 zu den seit September 2014 öffentlichen Kontroversen um das „Suruí Forest Carbon“-Projekt. „Zu dem Zeitpunkt verkauften einige unserer Leute Holz, um zu überleben. 2009 stellten sie diese unzulässigen Verkäufe ein im Vertrauen, dass sich ihr Leben [durch das REDD Projekt] verbessern werde“.
Dies sei aber nicht geschehen. Die Realität von REDD holte auch das „Suruí Forest Carbon“-Projekt ein. Bereits ein Jahr nach Unterzeichnung des Memorandums begann die Zustimmung zu bröckeln. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Einige Konflikte hätten sich vermutlich durch eine umsichtigere Umsetzung des Projekts vermeiden lassen. So konzentrierten sich öffentliche Darstellung und internationale Vermarktung des Projekts auf eine einzige Person. Offenbar wurden Absprachen nicht eingehalten über die Aufgabenverteilung und Zuteilung von Geldern zwischen den Organisationen, die von den unterschiedlichen indigenen Gruppen kontrolliert werden. Auch hier fand eine Konzentration auf die Organisation statt, die vom öffentlich sichtbaren Vertreter des „Suruí Forest Carbon“-Projekts kontrolliert wird. Gleichzeitig blieben die versprochenen Zahlungen lange Zeit aus, da sich der Verkauf der Emissionsgutschriften schwieriger gestaltete als erwartet. Es profitierten anfangs somit nur diejenigen Paiter, die direkt an der Umsetzung des Projekts beteiligt waren und aus Projektmitteln bezahlt wurden, nicht aber die Familien, die für die Sicherung ihrer Grundbedürfnisse zuvor auf den Holzverkauf angewiesen waren. Sie sahen sich bei Ausbleiben der versprochenen alternativen Einkommensquellen extremer finanzieller Not ausgesetzt.
Andere Konflikte liegen in der Natur des REDD-Konzepts selbst. REDD-Aktivitäten zielen in der Regel darauf ab, die durch kleinbäuerliche Landwirtschaft oder durch traditionelle Nutzung durch Waldvölker verursachten Emissionen zu reduzieren, anstatt zu versuchen, die großflächige Waldzerstörung zu beenden. Dies verdeutlicht auch eine kürzlich erschienene Sammlung der internationalen Nichtregierungsorganisation World Rainforest Movement mit Sitz in Montevideo, Uruguay. Die Sammlung von Berichten über 24 REDD-Projekte und -Programme weltweit machte das dem REDD-Konzept innewohnende Konfliktpotential offenbar: Weil die Erzeugung der Emissionsgutschriften an die Einschränkung der traditionellen Nutzung des Waldes durch die indigenen Gruppen geknüpft ist, beinhalten alle REDD-Projekte mehr oder minder ausgeprägte Kontrollen – die regelmäßig zu Konflikten führen. So auch im Falle des „Suruí Forest Carbon“-Projekts.
Kurz nach Beginn des Projekts begann die Kriminalisierung derer, die weiterhin Holz aus den Wäldern für traditionellen Bau von Kanu oder Haus nutzen, Wanderfeldbau betrieben oder Waldgärten für die Subsistenzproduktion von Nahrungsmitteln anlegten. „Die Freiheit auf unserem eigenen Land war zu Ende,“ beschreibt Henrique Iabaday Suruí die Situation im Interview mit Porantim im September 2014: „Die Bundespolizei kommt in unsere Dörfer und kontrolliert, ob wir Índios die Regeln des Projekts einhalten“.
Dies rief nach dem Erscheinen des Interviews mit Henrique Iabaday Suruí auch die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft und die für Wahrung der indigenen Rechte zuständige brasilianische Bundesbehörde FUNAI auf den Plan. Diese untersuchen nun den Fall, aber die Vertreterin der Bundesstaatsanwaltschaft versetzte den Paiter einen Dämpfer, die die Aussetzung des Suruí-Carbon-Projekts fordern: „Ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein. Es gibt ein sehr schwerwiegendes Problem mit dem Suruí Projekt“, sagte sie. Denn „der Vertrag [mit Natura] wurde unterschrieben und ist deshalb weiterhin gültig. Um den Fall vor Gericht zu bringen, muss ein Nachweis erbracht werden, dass das, was vertraglich vereinbart wurde, nicht eingehalten worden ist”. Das allerdings ist leichter gesagt als getan.
Vertraglich vereinbart wurden Zahlungen an die Paiter, die sich im Gegenzug verpflichteten, aktuelle und vorausgesagte Emissionen durch Waldnutzung („Waldzerstörung“) zu verhindern, indem sie für die 30-jährige Laufzeit des Vertrags auf Holzeinschlag und eine Reihe anderer Aktivitäten im Wald verzichten. Der Grund für die Forderung, das Projekt zu beenden, liegt nicht primär im Ausbleiben der Zahlungen. Natura hat die vertraglich zugesicherten Zahlungen bisher geleistet, auch wenn nicht alle Gruppen der Paiter die versprochenen Zahlungen erhalten haben. Die Forderung, das Projekt zu beenden, begründen die Paiter damit, dass sich bei ihnen zunehmend der Eindruck durchsetzt, auf leere Versprechungen hereingefallen zu sein und das Ausmaß der Nutzungseinschränkungen unterschätzt zu haben. Mangelnde Information vor Vertragsabschluß und gebrochene Versprechen sind jedoch nicht einfach nachweisbar. Und da beim Handel mit solchen Emissionsgutschriften kein Land oder Nutzungsrechte verkauft oder verpachtet werden – das verbietet die Verfassung in indigenen Territorien in Brasilien –, sondern lediglich das Recht abgetreten wird, über die Nutzung des Waldes, die Emissionen verursacht, zu entscheiden, bedienen sich solche Verträge einer rechtlichen Lücke. Die vertragliche Einschränkung von Landnutzung durch Dritte wird somit auf indigenem Territorium möglich, und die damit verbundenen Riskien solcher REDD-Verträge im Falle des „Suruí Forest Carbon“-Projekts offenbar.
Während Natura nun seine Kosmetikprodukte als klimafreundlich erzeugt vermarktet, sehen sich die Paiter mit verschärften internen Konflikten um das REDD-Projekt just zu dem Zeitpunkt konfrontiert, als die Agrarlobby im brasilianischen Parlament eine Offensive unternimmt, die Rechte indigener Völker in Brasilien in Frage zu stellen (siehe LN 467 und 468). Die für die Paiter zweifelsohne schmerzhafte öffentliche Auseinandersetzung um das „Suruí Forest Carbon“-Projekt schwächt somit auch ihren Widerstand gegen die Bedrohung ihrer Rechte. Und während die großflächige Waldzerstörung für industrielle Landwirtschaft, Großstaudämme oder Viehwirtschaft unvermindert weiter geht, zeigt sich am „Suruí Forest Carbon“-Projekt ein grundlegendes Charakteristikum von REDD: Der Ansatz taugt weder als Instrument für Wald- noch Klimaschutz. Und für die indigene Bevölkerung bedeutet REDD vor allem mehr Konflikte.