Kreuzchen zu Ehren Schafiks
Der Tod des Fraktionsvorsitzenden der linken Oppositionspartei FMLN fällt mitten in den Wahlkampf
Weiß-rot oder blau-weiß-rot. Es gibt kaum einen Laternenpfosten, Strommast oder Baum an einer Straße in El Salvador, der nicht in den Parteifarben der linken FMLN (Nationale Berfreiungsfront Farabundo Martí) oder der rechten ARENA (Republikanisch-Nationalistische Allianz) bemalt wäre. Im Fernsehen wechselt sich die Wahlwerbung der verschiedenen Parteien mit dem Spot des Obersten Wahltribunals ab, in dem fröhlich Fähnchen schwenkende Menschen dafür werben, wählen zu gehen. Der salvadorianische Präsident Elías Antonio Saca macht für seine Partei ARENA Wahlkampf, obwohl ihm dies die Verfassung verbietet. Und die Menschen stehen Schlange, um von der kostenlosen medizinischen Versorgung zu profitieren, die die Ärztin und FMLN-Bürgermeisterkandidatin für San Salvador, Violeta Menjívar, organisiert hat. El Salvador ist in die heiße Phase des Wahlkampfs eingetreten. Am 12. März werden nicht nur die 84 Abgeordneten des Parlaments und die 20 salvadorianischen Abgeordneten des Zentralamerikanischen Parlaments PARLACEN gewählt, sondern auch die BürgermeisterInnen der 262 Kommunen des Landes.
Trauerfeiern für Schafik
Drei Tage stand der Wahlkampf still. Das Parlament verhängte offizielle Trauer für den am 24. Januar an einem Herzinfarkt gestorbenen Fraktionsvorsitzenden der linken Oppositionspartei FMLN Schafik Handal (siehe Nachruf auf Seite 7). Angesichts der großen Anteilnahme, die Schafiks Tod in der Bevölkerung auslöste, ließen selbst ARENA-Angehörige öffentlich versöhnliche Worte über Handal verlauten, der stets das Hauptziel ihrer antikommunistischen Angriffe gewesen war. Die FMLN bemühte sich, jeglichen Anschein von interner Uneinigkeit nach Handals Tod zu verrneiden. Die Partei verkündete, dessen „orthodoxe” Linie fortzuführen, und wählte umgehend Salvador Sánchez Cerén zum neuen Fraktionsvorsitzenden. Trotzdem nahmen ARENA-Angehörige die Situation zum Anlass, um vor einem großen Chaos in der FMLN zu warnen. Die Woche nach Schafiks Begräbnis am 29. Januar fing entsprechend mit Schlagzeilen in der rechten Zeitung El Diario der Hoy an, die linke Oppositionspartei gefährde die Stabilität des Landes. Zahlreiche soziale Organisationen, StudentInnen, GewerkschafterInnen sowie im informellen Sektor Beschäftigte hatten in San Salvador massiv gegen CAFTA protestiert. Das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Zentralamerika und der Dominikanischen Republik soll nach mehrmaliger Verschiebung nun am 1. März in Kraft treten.
Wie bei sozialen Protesten jeglicher Art üblich, beschuldigte die Führung der Regierungspartei ARENA postwendend die linke Opposition, im Hintergrund die Fäden zu ziehen. „Schuldig an allem was passiert ist, ist die FMLN“, behauptete Staatspräsident Tony Saca. Der ARENA-Politiker warf der ehemaligen Befreiungsbewegung gar vor, sich mit den gefürchteten Jugendbanden, den so genannten maras, verbündet zu haben. Während ARENA-PolitikerInnen ihre verbalen Angriffe in früheren Wahlkämpfen häufig direkt an das FMLN-Aushängeschild Schafik Handal adressierten, richten sich diese nun gegen die gesamte Partei.
Waren ARENA und FMLN schon zuvor in der öffentlichen Wahrnehmung dominant, so hat sich diese Tendenz seit dem Todesfall noch verstärkt. Die kleineren Parteien PCN (Partei der Nationalen Versöhnung, rechts), PDC (Christlich-Demokratische Partei, Zentrum) sowie das Mitte-Links Bündnis von CD (Demokratischer Wechsel) und PNL (National-Liberale Partei) gehen zwischen linkem und rechtem Extrem nahezu unter.
Die wichtigsten Wahlthemen sind vor allem die ausufernde Gewalt sowie der wirtschaftspolitische Kurs des Landes. Vor allem ARENA setzt auf das Thema Sicherheit. Dabei hat das harte Vorgehen der ARENA-Regierungen gegen die maras in den vergangenen Jahren keineswegs zum Rückgang der Kriminalität, sondern im Gegenteil zu einem Anstieg der Mordrate und einer Häufung von Menschenrechtsverletzungen geführt. Das Jahr 2005 schloss mit einem Durchschnitt von zehn begangen Morden pro Tag und auch im Januar dieses Jahres wurde diese beängstigende Zahl erreicht.
Ökonomische Differenzen
In puncto Wirtschaftspolitik tun sich zwischen den beiden dominanten Parteien tiefe Gräben auf. ARENA steht für freien Markt, und CAFTA, das Anstreben ähnlicher Freihandelsverträge mit anderen Staaten sowie die Privatisierung der noch staatlichen Dienstleistungen wie Gesundheit, Wasser und Bildung. Die FMLN hingegen wendet sich weiterhin scharf gegen CAFTA und fordet die Wiedereinführung der alten Währung Colón, die seit der Dollarisierung 2001 verschwunden ist. Der wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber den USA soll ein Ausbau der Beziehungen zu Venezuela entgegengesetzt werden. Außerdem fordern die FMLN-AnhängerInnen eine Anhebung des Mindestlohns sowie Preiskontrollen für bestimmte Grundgüter und lehnen weitere Privatisierungen strikt ab.
Noch ist unklar, wie sich der Tod Schafiks auf die Wahlchancen der FMLN auswirken wird. Der Soziologe und Politologe Antonio Martínez-Uribe rechnet vor, dass mindestens 250.000 Menschen an Schafiks Begräbnis teilgenommen haben und insgesamt über eine Million an den zahlreichen Feiern zu dessen Ehren anwesend waren. Dies, so Martínez-Uribe, ist ein „außergewöhnliches soziales und politisches Phänomen angesichts der Tatsache, dass es sich um einen linken Oppositionsführer handelt.“
Der Schafik-Effekt
Die Anteilnahme, die der Tod Schafiks ausgelöst hat, könnte also eine Stärkung der linken Partei bedeuten, wenn diese es schafft, die Unterstützung für den FMLN-Führer in Wählerstimmen umzuwandeln. Entsprechend wirbt die FMLN mit dem Gedenken an das Vermächtnis ihres Fraktionsvorsitzenden um Stimmen zu „Ehren Schafiks “. Die Rechnung könnte aufgehen. Umfragen zufolge legte die FMLN seit Handals Tod in der WählerInnengunst deutlich zu. Lag ARENA seit Monaten in den Umfragen vorn, scheinen der Kampf ums Abgeordnetenhaus und um das symbolträchtige Bürgermeisteramt in San Salvador wieder offen zu sein. Einige sprechen bereits vom „Schafik-Effekt“.
Traditonell ist das Abschneiden der FMLN bei Parlaments- und Kommunalwahlen besser als beim Kampf um das Präsidentenamt. Zwar verfügte die Rechte des Landes in Form von ARENA und PCN im Parlament stets über die absolute Mehrheit. Jedoch erreichte die linke Partei bei den vergangenen beiden Parlamentswahlen jeweils die relative Mehrheit und gewann dreimal in Folge das Bürgermeisteramt der Hauptstadt.
Andererseits ist unsicher, inwieweit sich der Tod des zum traditionellen Flügel der FMLN gehörenden Handals auf die internen Kämpfe in der FMLN auswirken wird. Seit ihrer Gründung als Partei 1992 verzeichnete die ehemalige Befreiungsbewegung zahlreiche Austritte von Abgeordneten, BürgermeisterInnen und Mitgliedern. Der jüngste Parteiaustritt von sozialdemokratisch orientierten Abgeordneten, die die Revolutionäre Demokratische Front (FDR) gründeten, ließ die FMLN mit nur 24 der 31 Parlamentssitze zurück, die sie bei den vergangenen Wahlen im März 2003 gewonnen hatte. Wie sich die Kräfteverhältnisse zwischen „Orthodoxen“ und „Reformisten“ in der FMLN nach Schafiks Tod entwickeln, wird sich nach der Wahl zeigen.
Kasten:
Vergessene Opfer der Naturkatastrophen
Hurrikan Stan? War da was? Schaut man heute in die salvadorianische Tagespresse, findet man nur noch vereinzelt Nachrichten über die Folgen des Hurrikans, der Anfang Oktober letzten Jahres große Teile des Landes verwüstete.
Immerhin liegt seit November 2005 der umfangreiche Schadensbericht des Wirtschaftsrats der Vereinten Nationen für Lateinamerika (CEPAL) über die jüngsten Naturkatastrophen in El Salvador vor. Quantitativ betrachtet ist dem Bericht zufolge der soziale Schaden am größten, vor allem in den bereits benachteiligten und geschwächten sozialen Schichten: der ländlichen Bevölkerung, den Landfrauen und den KleinhändlerInnen. Die Schäden an ihren „Hinterhofwirtschaften“ seien zwar wenig sichtbar, hätten aber erhebliche negative Folgen für das Wohlergehen dieser Bevölkerungsteile. Insgesamt schätzt die CEPAL den Schaden auf 355 Millionen US-Dollar – wesentlich mehr als die 230 Millionen US-Dollar, welche die salvadorianische Regierung unmittelbar nach dem Hurrikan Ende Oktober 2005 bekannt gab. Gelder für den Wiederaufbau werden von der Regierung nicht eingesetzt oder für recht zweifelhafte Studien und Voruntersuchungen verschwendet. Bis zu zwei Drittel aller von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) für Mittelamerika bewilligten Gelder sind für Beratungsleistungen drauf gegangen, noch ehe auch nur ein Damm oder eine Stützmauer gebaut oder eine Drainage freigelegt wurde.
Bei Betrachtung früherer Erfahrungen mit der internationalen Katastrophen- und Wiederaufbauhilfe ist es nicht verwunderlich, dass es nach dem Hurrikan Stan keine größeren Lobbying-Anstrengungen aus der NRO-Welt gegeben hat, um aus dem Wiederaufbau zugleich eine strukturelle Transformation zu machen. Hurrikan Mitch forderte 1998 in Mittelamerika 26.000 Menschenleben, vertrieb 2,5 Millionen Menschen und verursachte einen Schaden von fast sieben Milliarden US-Dollar. Damals gab es in Stockholm und Madrid große, von der Weltbank ausgerichtete Geberkonferenzen für deren Vorbereitungen NROen in Mittelamerika hart arbeiteten. Einen Wiederaufbau mit strukturellen Veränderungen hat es dennoch bekanntlich nicht gegeben.
Ulf Baumgärtner
Der CEPAL-Bericht „Efectos en El Salvador de las lluvias torrenciales, tormenta tropical Stan y erupción del volcán Ilamatepec (Santa Ana), Octubre del 2005“ ist abrufbar unter www.cepal.org.mx