El Salvador | Nummer 453 - März 2012

„Ohne die FMLN wäre Funes nicht Präsident geworden“

Interview mit Nidia Díaz aus El Salvador, Abgeordnete der früheren Befreiungsbewegung FMLN im Zentralamerikanischen Parlament

Im Jahr 1992 wurde der Bürgerkrieg in El Salvador beendet. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Nidia Díaz über zwanzig Jahre Friedensabkommen, die anstehenden Wahlen und die Politik von Präsident Mauricio Funes, der sich immer stärker von der FMLN distanziert.

Interview: Michael Krämer

Nach 70.000 Toten und zwölf Jahren Bürgerkrieg in El Salvador wurde dieser im Januar 1992 mit dem Friedensabkommen von Chapultepec beendet. Sie waren eine derjenigen, die das Abkommen für die FMLN ausgehandelt hat. Was ist heute, gut zwanzig Jahre später, die wichtigste Veränderung im Land?
Jahrzehnte der Militärdiktatur wurden beendet und politische Freiheiten und Grundrechte durchgesetzt, die es erst ermöglicht haben, sich politisch zu engagieren, ohne Angst haben zu müssen, verhaftet oder gar ermordet zu werden. Ohne diese politische Demokratisierung hätte die FMLN auch nicht vor knapp drei Jahren die rechte ARENA-Partei von der Regierung ablösen können.

Und worin sehen Sie die größten Probleme im Friedensprozess?
Das ist einerseits die enorme soziale Ungleichheit, die sich in den ersten 17 Jahren nach Unterzeichnung des Friedensabkommens noch weiter verschärft hat. Die rechte ARENA-Regierung hat mit ihrer neoliberalen Politik die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher gemacht. Andererseits wurde die Straffreiheit nicht beendet. Die Mächtigen haben bis heute verhindert, dass die unzähligen Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit des Bürgerkriegs aufgeklärt werden.

Und wie beurteilen Sie die Remilitarisierung der Sicherheitspolitik durch den derzeitigen Präsidenten Mauricio Funes?
Mit dem Friedensabkommen wurde eine zivile Polizei (PNC) aufgebaut und den Streitkräften ihre dominierende Rolle bei der öffentlichen Sicherheit genommen. Sie dürfen laut Verfassung nur noch in besonderen Ausnahmefällen im Inland eingesetzt werden, worüber der Präsident entscheiden kann. So ein Fall ist nach Meinung von Mauricio Funes nun eingetreten, weshalb er die Streitkräfte auf die Straße geschickt hat.

Das ist die formale Seite. Aber Präsident Funes lässt die Streitkräfte nun alleine patrouillieren, während sein rechter Amtsvorgänger diese wenigstens noch gemeinsam mit der Polizei losgeschickt hat. Vor allem aber hat er den General im Ruhestand David Munguía Payés zum Minister für öffentliche Sicherheit ernannt und nun auch noch einen Ex-Militär zum neuen Polizeichef gemacht. Laut Verfassung muss der Direktor der PNC ein Zivilist sein, das ist nach der jahrzehntelangen Repression durch das Militär eine der wichtigsten Errungenschaften des Friedensabkommens. Doch General Francisco Salinas ist gerade mal eine Stunde vor seiner Ernennung zum Polizeichef aus den Streitkräften ausgeschieden.
Als FMLN haben wir gegen diese Ernennung protestiert. Doch der Präsident findet es in Ordnung, dass die Streitkräfte wieder eine größere Rolle bekommen. Seit den Friedensabkommen hat die Gewalt immer mehr zugenommen. Die Polizei aber hat zu keiner Zeit die Unterstützung bekommen, die sie benötigt hätte.

Warum macht der Präsident das? Früher hat Funes immer von der Notwendigkeit gesprochen, die Gesellschaft zu entmilitarisieren.
Die hohe Kriminalität ist für die Menschen im Land derzeit das zentrale Problem. Der Präsident sagt, dass sich die Menschen besser fühlen, wenn das Militär auf den Straßen patrouilliert. Damit hat er vermutlich sogar Recht, aber besser wird die Lage dadurch nicht. Die Streitkräfte können Menschen festnehmen, sie sind aber nicht dazu ausgebildet, Verbrechen aufzuklären. Die Polizei müsste gestärkt und besser ausgebildet werden. Das ist es, was wir wirklich brauchen.

Ist der Präsident dem Druck der USA erlegen – und hat deshalb alle FMLN-Mitglieder aus dem sogenannten Sicherheitskabinett entlassen?
Für die USA spielt der Kampf gegen die Drogen eine zentrale Rolle. Und da setzen sie voll auf die militärische Karte. So wie sie schon in Kolumbien oder in Mexiko eine Militarisierung des Kampfes gegen die Drogen durchgesetzt haben, wollen sie diesen Kampf auch in Zentralamerika militarisieren, und da möchten sie El Salvador als Verbündten haben.
Was die FMLN-Mitglieder im Sicherheitskabinett angeht, so kann es gut sein, dass die USA dabei direkten Druck auf den Präsidenten ausgeübt haben. Sie wollen den Einfluss der FMLN in der Regierung verringern. Dass es Veränderungen im Sicherheitsbereich geben soll, steht schon in dem Partnerschaftsabkommen, das die USA im November mit El Salvador abgeschlossen haben. Deswegen haben die Militärs auch wieder eine größere Rolle in der Regierung.
Am 11. März finden Parlaments- und Kommunalwahlen statt (siehe Artikel S.14). Die FMLN ist stärkste Kraft im Parlament, steht aber einer rechten Mehrheit gegenüber. Wird die FMLN davon profitieren können, dass sie an der Regierung ist?
Das wird nicht leicht. Präsident Funes versucht leider alles, damit die Erfolge der Regierung nicht im Wahlkampf dargestellt werden. Er hat den Ministern der FMLN sogar verboten, in rot, also der Parteifarbe der FMLN, aufzutreten. Es ist unglaublich, wie sehr er sich von der Partei distanziert, die ihn ins Präsidentenamt gebracht hat. Nun sind wir als Partei es, die die Erfolge der Regierung präsentieren. Dabei gibt es gerade bei den von FMLN-Mitgliedern geleiteten Ministerien einige Erfolge, die sich sehr positiv auf die Bevölkerung ausgewirkt haben.

ARENA, die langjährige ultrarechte Regierungspartei, hatte sich nach den letzten Wahlen gespalten, die neue Partei GANA (Große Nationale Allianz) ist entstanden. Wie wird das Parlament nach den Wahlen aussehen? Gibt es wieder eine Polarisierung zwischen FMLN und ARENA, oder werden GANA und andere Parteien an Bedeutung gewinnen?
Es sieht alles danach aus, dass auf der Rechten neben ARENA vor allem GANA einiges Gewicht haben wird. Für die FMLN beziehungsweise die Regierung ist das etwas einfacher, weil wir mit den Stimmen von GANA manchmal eine parlamentarische Mehrheit bekommen haben. Aber für uns muss es natürlich darum gehen, die eigene Abgeordnetenzahl zu erhöhen.

Kommen wir noch einmal zurück zum Verhältnis zwischen Präsident Funes und der FMLN. Hätten Sie vor den Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren erwartet, dass es zu einer so großen Distanzierung zwischen der Partei und ihrem Kandidaten Mauricio Funes kommen würde?
Ich hatte erwartet, dass der Präsident sich stärker an das Wahlprogramm der FMLN halten würde. Mauricio Funes war der populäre Kandidat, der uns die nötigen Stimmen in der Mitte gebracht hat, um die Wahlen zu gewinnen. Aber ohne die FMLN wäre er auch nicht Präsident geworden. Das scheint er zu vergessen.

Kasten:

Nidia Díaz ist Anwältin und war während des Bürgerkriegs (1980 bis 1992) Kommandantin der FMLN. Sie nahm an den Friedensverhandlungen mit der Regierung teil. Heute sitzt sie als Abgeordnete der FMLN im Zentralamerikanischen Parlament Parlacen.

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