Friedliche Perspektive
Politische Praxis in El Salvador ändert sich vor den Präsidentschaftswahlen
Weiß leuchten die Strommasten und Laternenpfähle in den Straßen San Salvadors, fast wie Friedensflaggen in einem Schlachtfeld riesiger LED-Tafeln und Werbeschildern, die den Konsum von Fastfood und Handys steigern sollen. Das ist ungewöhnlich für die Zeit des Wahlkampfes, in der häufig der gesamte öffentliche Raum – Mauern, Pfosten, selbst der letzte Kieselstein am Wegesrand – zur Fläche für Pinta y Pega (Malen und Kleben von Parteienwerbung) mutiert.
Es geht tatsächlich friedlicher zu in der aktuellen Kampagne, sowohl in der Form als auch inhaltlich. Einige interpretieren das neue Ambiente als Apathie, sie vermissen die Kampfstimmung, doch im allgemeinen wird die aktuelle Praxis positiv aufgenommen. Die Parteilogos werden diesmal als bunte Fähnchen an den Pfosten befestigt, meist ohne die des politischen Gegners zu entfernen, so dass in vielen Straßenzügen eine bunte Mischung herrscht.
Am 2. Februar müssen sich die 4.955.107 wahlberechtigten Salvadorianer_innen in 1.591 Wahllokalen zwischen fünf Kandidatenteams für die Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft entscheiden. Etwas mehr als 10.000 im Ausland lebende Salvadorianer_innen nehmen an der Wahl teil. Der siegreiche Kandidat benötigt die absolute Mehrheit. Erreicht dies keiner der Kandidaten, kommt es zur Stichwahl. Koalitionsverhandlungen sind in dem mittelamerikanischen Land nur vor und nicht wie in Deutschland nach den Wahlen zugelassen.
Werbespots, Hausbesuche und die sozialen Netzwerke vermitteln Botschaften. Tatsächlich geht es um Inhalte. Der Schwerpunkt liegt erstmals nicht darauf, den politischen Gegner allgemein zu diffamieren. Es steht vorerst offen, ob das einem allgemeinen politischen Entwicklungsprozess 22 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges zuzuschreiben ist, oder vor allem der Kontrolle des obersten Wahlgerichts, das von seiner Sanktionsmacht im neuen Wahlgesetz Gebrauch macht und alle unlauteren Spots unmittelbar aus dem Verkehr zieht.
Während die Linke mit einer Kandidatur ins Rennen geht, ist das rechte Lager in verschiedene Optionen zersplittert. Die Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN), ehemalige Guerrillabewegung und seit der letzten Legislaturperiode das erste Mal an der Regierung, schlägt den aktuellen Vizepräsidenten und ehemaligen Bildungsminister Salvador Sánchez Cerén als neuen Präsidenten vor. Der Exguerrillero und Grundschullehrer gehört zur alten Garde der FMLN. Als Mitglied der ehemaligen Kommandantur und Unterzeichner der Friedensverträge von 1992 gilt er als Ikone der Partei und integre Persönlichkeit. Kritische Stimmen bezweifeln, ob er angesichts seines fortgeschrittenen Alters und seiner Identifikation mit der althergebrachten Parteiendoktrin der ideale Kandidat ist. Dem Ideengeber steht ein Pragmatiker zur Seite: Óscar Ortiz, langjähriger Bürgermeister von Santa Tecla, einer wichtigen, an San Salvador grenzenden Metropole, gilt als Macher. Er konnte in seinem Regierungsbezirk mit symbolträchtigen Projekten glänzen: Nach dem Erdrutsch der „Colinas“, bei dem nach dem Erdbeben 2001 mehr als 700 Personen starben, ehrten die Vereinten Nationen Ortiz für seine Nothilfemaßnahmen. Ein altes Gässchen machte er zur Ausgehmeile und steigerte nicht nur Handel und Grundstückswerte, sondern die Attraktivität seiner Stadt. Wirtschaftswachstum und Innovation gelten als seine Stärken. Die sozialdemokratische Partei (PSD) mit knapp über 70.000 Mitgliedern unterstützt die FMLN.
Das rechte Lager ist weniger einig. Zwar dominiert eine traditionsreiche Oligarchie, die über Jahrzehnte das Land und seine Ressourcen beherrschte, heute noch einen Großteil Macht und Ressourcen, doch bei den Wahlen treten vier unterschiedliche Gruppen an: Zum einen stellt sich die klassisch konservative Republikanische Nationalistische Allianz (ARENA) zur Wahl, die das Land 20 Jahre regierte und die aktuelle Legislaturperiode erstmals in der für sie ungewöhnlichen Rolle als Opposition bestreiten musste. Diese Rolle bestärkte die Partei nicht unbedingt. Ihr Kandidat Norman Quijano, von Beruf Zahnarzt und zuletzt Bürgermeister der Hauptstadt, hatte wenig Glück im Wahlkampf und patzte bereits vor seinem Eintrag als Kandidat beim obersten Wahlgericht: Unregelmäßigkeiten in der Finanzabteilung seiner Stadtverwaltung machten es bis zuletzt spannend, ob der Rechnungshof ihm bis zum erforderlichen Termin die obligatorische Solvenzbestätigung ausstellen würde. Letztlich konnte er seine Kandidatur rechtmäßig eintragen. Doch auf seine Schelte an „verschwenderischen“ Sozialprogrammen der FMLN reagierte die Bevölkerung irritiert, etwa seine Kritik am täglichen Glas Milch, Schulsachen und Uniform für alle Grundschüler_innen, die so erstmals Zugang zum öffentlichen Bildungssystem erhielten. Quijano musste sich korrigieren und versprach letztendlich nicht nur ein Glas Milch, sondern eine ganze Mahlzeit.
Um das Wahlversprechen zu halten, das er als Bürgermeister San Salvadors gegeben hatte, dem Verkehrschaos der Hauptstadt ein komfortables Verkehrssystem entgegenzusetzen, besorgte er in letzter Minute mehrere gebrauchte Linienbusse aus Spanien. Die Busse wiesen allerdings schon beim ersten Einsatz Pannen auf. Momentan erhält aber Quijanos Kampagnenberater, Expräsident Francisco Flores, mehr Aufmerksamkeit als der Kandidat selbst, denn Flores ist wegen Unterschlagung von mindestens 10 Mio. US-Dollar angeklagt, die er nach dem Erdbeben 2001 vom taiwanesischen Präsidenten für den Katastropheneinsatz erhalten hatte. Quijano hält an seinem Berater fest: Flores‘ Schuld sei nicht nachgewiesen.
Die ARENA-Splitterpartei Große Allianz der Nationalen Einheit (GANA), die Partei der Nationalen Konzertation (PCN) und die Partei der Demokratischen Christen (PDC/PEZ) haben sich vor kurzem um den ehemaligen Präsidenten Elias Antonio Saca zum Bündnis UNIDAD zusammengefunden. Saca, damals noch Mitglied ARENAs, war Präsident El Salvadors von 2004–2009. Francisco Lainez, Kanzler unter Sacas Präsidentschaft und noch vor ein paar Monaten Quijanos Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur von ARENA, unterstützt ihn als Vize. Medienmogul Saca beruft sich in seiner Kampagne auf seine Erfahrung als Präsident und schreibt eine Menge Errungenschaften der jetzigen Regierung seiner Vorarbeit zu. Er erwähnt nicht, dass die Krankenhäuser, die seine Regierung geplant hatte, von der FMLN fertiggestellt wurden und derzeit etliche diesbezügliche Korruptionsfälle seiner Amtsperiode untersucht werden. Sacas Stromlinienförmigkeit nimmt bisweilen skurrile Ausmaße an. So konstatierte er, ehemals klarer Verfechter der Politik der harten Hand gegen Jugendkriminalität, man könne Gewalt nicht mit Gewalt bekämpfen, und brauche einen starken Staat, der Alternativen zur Illegalität bereithalte. Damit punktete er gegen Quijano, der in Sicherheitsfragen auf die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit setzt und sich somit außerhalb der salvadorianischen Verfassung bewegt. Diese verordnete nach den Friedensverträgen eine strikte Trennung der zivilen und militärischen Sphäre.
Für die Salvadorianische Patriotische Bruderschaft (FPS) kandidiert Oscar Lemus, die Salvadorianische Progressive Partei (PSP) vertreten Rene Rodriguez Hurtado und die einzige Frau unter den Kandidat_innen als Vize, Adriana Bonilla. Beide Parteien werden es laut Umfragen schwer haben, über 1 Prozent zu kommen, doch zumindest sorgte Lemus von der FPS mit dem Vorschlag, Algen und Perlen zu kultivieren, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln, in sozialen Netzwerken für Stimmung.
Vier Themen – Bildung, Gesundheit, Wirtschaft und öffentliche Sicherheit – prägen die politische Diskussion in El Salvador und damit das Interesse der Bevölkerung daran, wie sich die Kandidaten positionieren. Doch die mit Spannung erwartete öffentliche Fernsehdebatte zwischen den 5 Kandidaten enttäuschte: Das Format ließ keine wirkliche Auseinandersetzung zu und reihte letztlich Vorträge der Kandidaten zu ihren Parteiprogrammen aneinander.
In den Sektoren Bildung und Gesundheit sind die Erfolge recht klar: Hier hat die FMLN-Regierung der letzten Legislaturperiode viel Anerkennung erhalten, denn sie hat den Zugang der Bevölkerung durch Gratisausrüstung für die Schule oder dezentrale Gesundheitsstationen faktisch verbessert. In Krankenhäusern wurde die technische Ausstattung modernisiert. Die anderen Kandidaten taten sich schwer, dem etwas entgegenzusetzen.
In Fragen der öffentlichen Sicherheit teilen sich die Kandidaten in zwei Lager: FMLN und das Rechtsbündnis UNIDAD setzen neben stringenter Bekämpfung der Straflosigkeit auf gesellschaftliche Kohäsion, während die restlichen Kandidaten eine Militarisierung des öffentlichen Raumes (ARENA, FPS) anstreben und in besonders konfliktreichen Vierteln sogar den Ausnahmezustand ausrufen wollen. Damit geraten sie selbst in Konflikt mit der Verfassung.
Wirtschaftspolitisch kann die FMLN argumentieren, dass El Salvador zu Beginn ihrer Regierungsperiode ein Negativwachstum von -3,1 Prozent hatte und ihre Regierung für das jetzige Wachstum +2 Prozent gesorgt hat. Sie setzt weiter darauf, die Landwirtschaft anzukurbeln und die Produktivität allgemein zu steigern. UNIDAD verspricht Arbeit für alle, ARENA setzt auf Anreize für Privatinvestitionen. In der Fernsehdebatte konnte keiner der Kandidaten erklären, wie diese Wahlversprechen zu finanzieren seien.
Auf die Wahlabsichten der Salvadorianer_innen hat diese Debatte wohl kaum Einfluss. Am 15. Januar wurden die letzten 3 Umfragen veröffentlicht, nach denen UNIDAD zwischen 14 und 14,7 Prozent erhält, ARENA zwischen 36,7 und 37,7 Prozent und die FMLN bei 48,6-49 Prozent liegt – nur noch rund 50.000 Stimmen von der absoluten Mehrheit entfernt. Weitere Umfragen sind nicht mehr vorgesehen.
Obwohl El Salvador nach den Wahlen diesmal keinen Generalanstrich braucht, um die Parteienwerbung zu übertünchen, und 62,8 Prozent der Bevölkerung der Ansicht ist, dass das Land von der aktuellen Regierung profitiert hat, gibt es noch eine Menge ungelöster Aufgaben in dem kleinen mittelamerikanischen Staat. Einige große Korruptionsfälle wurden in der letzten Legislaturperiode aufgedeckt, doch die meisten Verantwortlichen entkamen einer Anklage. Trotz des neuen Gesetzes gegen Gewalt an Frauen werden die meisten Frauenmorde nicht verfolgt. Die allgemeine Straflosigkeit bleibt ein zentrales Problem. Sozialprogramme weitete die Regierung der FMLN aus. Doch die dringend notwendige Jugendpolitik lässt weiterhin zu wünschen übrig. Migration, ob wegen Gewalt oder der wirtschaftlichen Situation, reißt tausende Familien auseinander. Der fortschreitenden Umweltzerstörung und den Auswirkungen des Klimawandels setzte die FMLN nur wenig entgegen. Im identitätsstiftenden kulturellen Sektor mangelt es an einem strategischen Plan.
Diese zentralen Themen waren bislang nicht einmal Teil der politischen Auseinandersetzung. Wie die kommende Regierung mit ihnen umgehen will, wird sich erst nach den Wahlen zeigen.