Krieg ist nicht mehr Verhandlungssache
Präsident Andrés Pastrana kündigte am 20. Februar den Friedensprozess auf und ließ die Armee in die entmilitarisierte Zone einmarschieren
Den Süden Bogotás mit seinen Armenvierteln versteht die Guerilla als ihre Basis. Wie weit man sich von dieser mittlerweile entfernt hat, zeigten deren Bewohner offen. In einigen Kneipen begossen die Stammbesucher das Ende der Friedensverhandlungen und äußerten unverhohlen, dass die Armee die Rebellen platt machen solle. Feierstimmung in einem kriegstrunkenen Land, das an seinem Konflikt zu ertrinken scheint. Seit dem 11. September werden die FARC medial nur noch Terroristen genannt. Dies ist ein Produkt der weltpolitischen Neubestimmung von bewaffneten Akteuren, aber auch der Taten der Guerilla, die sich in den letzten Wochen immer weiter von ihrem Status als politische Gruppierung entfremdet hatte. Innerhalb eines Monats verübten die FARC Dutzende Anschläge auf die Infrastruktur des Landes, legten Bomben in Städten und versuchten mit einer Sprengladung, die Wasserversorgung der Hauptstadt zu zerstören.
„117 Anschläge in nur 30 Tagen“, empörte sich Präsident Pastrana an die Bevölkerung gewandt, und untermalte seine Anklagen mit einem Video von zerstörten Strommasten und toten Zivilisten. „Heuchelei“ und „Arroganz“ warf er der Guerilla vor, die sich noch einen Monat zuvor zu verbindlichen Verhandlungen mit der Regierung verpflichtet hatte. Ziel war die Ausarbeitung eines temporären Waffenstillstands bis zum 7. April 2002 (siehe LN 332), die letzten Offensiven und Anschläge offenbarten hingegen andere Absichten. Beobachter spekulierten, dass es die FARC vorsätzlich darauf angelegt habe, den Friedensprozess zum Scheitern zu bringen.
Politischer Status aufgehoben
Auslöser des Verhandlungsendes war die Entführung einer Linienmaschine am Morgen des 20. Februar, bei der der Senator Jorge Eduardo Gechem Turbay verschleppt wurde. Er ist Mitglied der Senatsfriedenskommission und gehört zu einer politisch einflussreichen Familie, die bereits zuvor Ziel der Guerilla wurde. Vier Entführer ließen das Flugzeug auf einer Straße landen, nachdem zuvor Dutzende Rebellen generalstabsmäßig angrenzende Bäume gefällt hatten, um eine Landepiste zu improvisieren. Alle anderen 36 Passagiere wurden nach der riskanten Landung freigelassen, die Entführer verschwanden mit dem Senator in die Berge.
Die Reaktion folgte auf dem Fuße und fiel überraschend scharf aus. Pastrana verwies mit Fotomaterial von Luftaufnahmen darauf, dass es sich bei dem seit drei Jahren entmilitarisierten Gebiet im Süden des Landes um eine „Kriegszone handelt, in der Koka angebaut wird, Entführte fest gehalten und Beziehungen zu internationalen Terroristen gepflegt werden.“ Letzter Punkt bezieht sich auf die Festnahme von drei ehemaligen IRA-Mitgliedern Ende letzten Jahres, denen Ausbildung im Bombenbau für die FARC vorgeworfen wird und die derzeit in kolumbianischer Haft sitzen. Pastrana entzog der Guerilla umgehend den Status einer politischen Gruppierung und erneuerte die Haftbefehle für die noch zuvor am Verhandlungstisch sitzenden Rebellenchefs. Für die Nacht zum 21. Februar kündigte er die Bombardierung und Wiederbesetzung der Verhandlungszone durch die Armee an.
„Wir machen unsere Arbeit“, sagte ein Pilot der kolumbianischen Luftwaffe nach einem Einsatz über der entmilitarisierten Zone am Tage darauf. Zuvor hatte die Armee innerhalb weniger Stunden über 200 Bomben mit einem Zerstörungsradius von bis zu 100 Metern über 85 strategisch wichtigen Punkten abgeworfen. Darunter befanden sich von den FARC gebaute Straßen, Militärstützpunkte und 25 Landepisten, die laut Armee hauptsächlich für Waffentransporte und Drogenhandel benutzt wurden.
13.000 Soldaten begannen zu Redaktionsschluss in der „Operation Thanatos“ – benannt nach dem griechischen Totengott – auf dem Landweg in die Zone einzumarschieren, um schätzungsweise 8.000 Guerilleros zu bekämpfen, die in der Zone vermutet werden. Ziele der Bombardierungen waren Treibstofflager und Fahrzeuge der Guerilla. Ein Kampfflugzeug und drei Hubschrauber mussten beschädigt wieder zurückkehren, nachdem sie beschossen wurden.
Bereits am 21. Februar wurden erste zivile Opfer gemeldet. So sollen zwei Kinder und ein Erwachsener ums Leben gekommen sein. Die Luftwaffe bestritt jedoch zunächst, dass dies die Schuld der Bombardierungen sei. Nach Aussage der kolumbianischen Volksvertretungsbehörde in San Vicente del Caguán werden jedoch mehr Tote erwartet. „Bisher kamen 30 Flüchtlinge zu Fuß nach San Vicente, sie berichteten von weiteren Opfern auf Grund der Bombardierungen“, erklärte eine Vertreterin gegenüber den LN. „Mehrere Menschengruppen mit Verletzten sind auf dem Weg hierher.“ Wie viele Tote es in den ersten zwei Tagen der Bombardierungen gab, konnte sie nicht sagen. Die medizinische Versorgung sei schwierig, da es keinen Strom gebe. Die Guerilla sprengte in der Nacht zuvor mehrere Strommasten, so dass die südlichen Provinzen Caquetá und Huila komplett ohne Energieversorgung blieben.
Nach Berichten aus San Vicente kursierten bereits kurz nach Ende der Verhandlungen Todesdrohungen der Paramilitärs gegen Anwohner der ehemaligen FARC-Zone, die in den letzten Jahren in Kontakt mit der Guerilla gestanden haben sollen. 30 Personen wurden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Menschenrechtsorganisationen warnten vor Übergriffen rechter Milizen gegen die Bevölkerung, die mit der Armee in das Gebiet vordringen könnten. Para-Chef Carlos Castaño gab in einem Interview an, 3000 Milizionäre seiner Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen AUC einzusetzen, um gegen die Guerilla vorzugehen.
Internationale Reaktionen
Noch einen Monat zuvor konnten internationale Vermittler unter Leitung der UNO eine Reaktivierung des krisengeschüttelten Friedensprozesses erreichen. Geplant war die Aushandlung eines temporären Waffenstillstandes bis zum 7. April, der nun der Realität weicht. In einer Erklärung machte UN-Generalsekretär Kofi Annan die Rebellen für das endgültige Scheitern der Gespräche verantwortlich und forderte alle Seiten auf, das Leben der Zivilbevölkerung zu achten. Die FARC ihrerseits gaben Pastrana in einer inoffiziellen Stellungnahme und der „Intoleranz der Oligarchie mit ihrer Zweiparteiendominanz“ die Schuld. Nach ihrer Einschätzung ließ die Regierung die Gespräche platzen, als es um „die großen Themen“ bei den Verhandlungen ging: Bekämpfungsstrategie gegen die Paramilitärs, Alternativen zum Kokaanbau und politische Reformen.
Die EU unter dem Vorsitz Spaniens sandte eine Note an Präsident Pastrana, in der sie ihm „volle Unterstützung“ zusicherte und die Flugzeugentführung als „intolerante Provokation“ bezeichnete. Der spanische Außenminister Josep Piqué kündigte eine Überprüfung der EU-Position gegenüber den bewaffneten Gruppen Kolumbiens an, die „mit keiner Bereitschaft zum Frieden ihren terroristischen Charakter bewiesen haben“. Und setzte nach: „Der Plan Colombia ist wichtiger denn je.“
Dissenz weggewischt
Eine Wendung um 180 Grad, nachdem sich mehrere EU-Länder zuvor noch ungewöhnlich stark um eine diplomatische Lösung des Konflikts bemüht hatten und den USA das politische Terrain in Kolumbien streitig machten. „Falls vor kurzem noch Dissenz über diese Hilfe bestanden hatte, sollte dieser jetzt weggewischt sein“, ließ das State Department verlauten. Laut dem Ex-Sekretär des Departments für die westliche Hemisphäre, Bernard Aronson, sind eine verstärkte US-Unterstützung für das kolumbianische Militär und Anti-Terrorismusmissionen absehbar. In den letzten Jahren wurden im Zuge des Plan Colombia über 1,7 Milliarden US-Dollar überwiegend an Rüstungshilfe gezahlt. „Kolumbien wird zu einem Fokus in den Plänen der Bush-Administration beim Antiterrorkampf werden“, so Aronson.
Auf der Welle des 11. September
Der Friedensforscher Marco Romero von der Nationalen Universität in Bogotá kritisierte die einseitige Haltung von Pastrana, der „auf der Welle des 11. Septembers schwimmt, um größeren internationalen Rückhalt zu gewinnen”. So wurden die Rebellen seitdem nur noch Terroristen genannt und bewusst marginalisiert. Mit Erfolg. Politisch befinden sich die FARC – nicht zuletzt wegen ihrer eigenen Strategie – nun auf dem Nullpunkt und mit ihren Verbindungen im Drogenhandel auf der US-Liste terroristischer Gruppen.
Auch innenpolitisch hatte das Ganze Folgen. Die rechte Stimmung in Kolumbien vor einer Parlaments- und Präsidentschaftswahl sucht in der Vergangenheit seinesgleichen. Der unabhängige Rechtsliberale Kandidat Alvaro Uribe Vélez könnte bereits beim ersten Wahlgang Ende Mai die absolute Mehrheit einfahren und die Zielrichtung der kommenden vier Jahre vorgeben: Militarisierung des Landes, autoritärer Führungsstil und die Anrufung internationaler militärischer Unterstützung im Kampf gegen die Guerilla.
Am 22. Februar übergab ein laut Presse „ziviler Guerillero der FARC” einigen Journalisten in einem Park von San Vicente eine 13-Punkte-Mitteilung, in der sich die Rebellen erstmals öffentlich zu dem Verhandlungsende äußerten. Darin machten die FARC das ziemlich aussichtslose Angebot, mit dem kommenden Präsidenten verhandeln zu wollen. Die umfangreichen infrastrukturellen Baumaßnahmen in der Zone, die „über 1.000 Kilometer asphaltierte Straßen beinhalten, zu deren Bau die Regierung in 36 Jahren nicht in der Lage war,“ galten laut Kommuniqué der Verbesserung der Lebensgrundlage der Bauern und nicht dem Drogenhandel. Pastrana und reformunwillige Sektoren hätten bewusst alte Beweise benutzt, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Zu den Anschlägen der letzten Wochen gab die FARC-Kommandantur aber keine Stellungnahme ab. So rollen jetzt Schützenpanzer der Armee über die neuen Straßen
Wie die kolumbianische Geschichte zeigt, gab es einen periodischen Wechsel von Krieg und Friedensverhandlungen. Jetzt, und noch mehr unter einem Präsidenten Uribe Velez, ist offenbar wieder der Krieg an der Reihe. „Früher oder später werden FARC und Regierung wieder verhandeln. Wenn es Tausende Tote mehr in diesem Land gibt”, meint der linke Präsidentschaftskandidat Lucho Garzón. „Dem unperfekten Friedensprozess folgt jetzt aber der perfekte Krieg.”