„Kultur ist doch auch politisch“
Die LN-Redakteur*innen Laura Haber, Elena von Ohlen und Illustrator Joan Farías Luan berichten über den Kulturteil
Bücher verschlingen Lieblingshobby mancher LNies (Illustration: Joan Farías Luan)
Ihr drei habt die LN zu unterschiedlichen Zeitpunkten kennengelernt. Wie sah das Heft damals aus, gab es einen Kulturteil?
Joan: Mein erstes Exemplar der Lateinamerika Nachrichten habe ich 2016 im Instituto Cervantes gesehen. Ich dachte: Das Magazin hat auch Poesie, wie schön!
Elena: Als ich 2012 zu LN kam, gab es zwar auch schon einen Kulturteil, aber der war sehr abhängig davon, wer Lust hatte und sich gerade mit kulturellen Themen beschäftigt hat. Es haben sich zum Beispiel nur sporadisch Leute gemeldet, um eine Rezension zu schreiben. Daher war es eher Zufall, wie groß der Kulturteil war und manchmal wirkte es auch so, als wäre das der weniger relevante Teil des Hefts.
Laura: Ich habe im Jahr 2010 in der LN-Redaktion angefangen. Da gab es auch das Gedicht noch nicht. Und genau, das Gefühl war immer: Schön, wenn man einen Kulturteil hat, aber auch nicht schlimm, wenn nicht. Als wäre das nur ein Bonus. Das ist auch okay, es ist ja eine politische Zeitschrift. Aber Kultur ist doch auch politisch!
Und deshalb habt ihr dann die Literaturredaktion gegründet?
Laura: Ja, das war der Versuch, den Kulturteil mehr zu strukturieren und viel regelmäßiger aktuelle Rezensionen im Heft zu haben. Dann haben wir eine Liste von Verlagen zusammengestellt, die lateinamerikanische Autor*innen herausbringen, und eine neue Rezensionsliste erstellt, in die sich alle Redaktionsmitglieder eintragen konnten.
Elena: Zu dieser Zeit gab es auch einen Boom von Übersetzungen. Lange Zeit wurde nur ganz wenig Literatur aus Lateinamerika ins Deutsche übersetzt. In der Mitte des Jahrzehnts hat sich das ein bisschen verändert. Auf einmal wurden viele Autor*innen übersetzt, die im Original teils schon Jahre vorher veröffentlicht wurden. Teilweise wurden auch ganz alte Klassiker übersetzt. Es gab dann in den LN auch eine eigene Rubrik, in der wir echte Klassiker lateinamerikanischer Kultur neu rezensiert haben. Vielleicht nicht in jedem Heft, aber auf jeden Fall mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Das Kriterium war, dass es das Werk in deutscher Übersetzung geben musste, aber da waren auch Sachen dabei, die man fast nicht bekommen hat oder nur antiquarisch. Der Gedanke dahinter war, dass das vielleicht zu einer neuen Aufwertung dieser Werke führen oder auch zu neuen Übersetzungen motivieren könnte.
Laura: Da sehe ich heute wirklich ein Problem: Es gibt so viele schöne, interessante Literatur aus Lateinamerika. Aber es ist so wahnsinnig schwer, lateinamerikanische Autor*innen auf dem deutschen Buchmarkt unterzubringen. Vielleicht müssen wir doch noch unseren eigenen Verlag gründen. (Elena lacht)
Elena: Auf jeden Fall hatten wir immer tausende Ideen und viele haben sich nicht gehalten – zum Beispiel die der Klassikerrezensionen. Das Gedicht gibt es aber noch.
Genau, seit April 2015 ist in jeder Ausgabe der LN ein Gedicht erschienen. Wie kam es dazu?
Laura: Zwischen 2015 und 2016 habe ich in München das mobile lateinamerikanische Poesiefestival Latinale mitorganisiert. Dort habe ich unseren Abonnenten Timo Berger kennengelernt, der sich super in der lateinamerikanischen Literaturszene auskennt. Er ist für Ideen wie eine Gedichteseite immer sehr offen. Seit dem Treffen damals erscheinen in den LN Gedichte, die zuvor meist noch nicht auf Deutsch publiziert worden waren. Ich freue mich total, dass es diese Poesieseite bis heute gibt – und das in einem politischen Magazin.
Ein Gedicht pro Heft klingt erstmal nach wenig Arbeit, ist es aber wahrscheinlich nicht…
Laura: Man glaubt gar nicht, wie viel Koordination daran hängt: Es sind etliche E-Mails, die da geschrieben werden müssen, an Autor*in und Übersetzer*in, dann braucht es noch die Bios. Dann muss dieses übersetzt und jenes erledigt werden, die Adressen für die Belegexemplare organisiert werden. Das sind lauter Kleinigkeiten, und das jeden Monat.
Joan, seit einigen Jahren werden die Gedichte von deinen schönen Illustrationen bebildert. Wie kam es dazu?
Joan: Als ich die Zeitschrift zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Wenn mein Deutsch besser wird, frage ich diese Leute, ob sie Interesse an meinen Bildern haben. 2018 war ich dann zum ersten Mal mit meinen Skizzen in der Redaktion und alle waren supernett.
Wie entstehen deine Illustrationen?
Joan: Die Bilder entstehen aus dem Kontrast von Licht und Schatten. Ich versuche immer, die Figuren und Formen theatralisch und spielerisch darzustellen. Jedes Motiv enthält dann Elemente, die im Gedicht vorkommen. Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass ich durch die Gedichte, meine Bilder und die Redaktionssitzungen bei LN einen ganz neuen Freundeskreis kennengelernt habe. Das schätze ich sehr.
DIE INTERVIEWTEN
Laura Haber ist Übersetzerin aus dem Spanischen, Portugiesischen und Französischen. Seit 2010 ist sie bei den LN aktiv. Von 2015 bis 2022 koordinierte sie die Gedichtseite der Zeitschrift. Als Redaktionsmitglied des Literaturmagazins alba.lateinamerika lesen war sie zuletzt Co-Koordinatorin der im Juni 2023 erschienenen alba14. 2022 koordinierte sie zusammen mit Timo Berger die 16. Latinale mit dem Fokus Translator’s Choice II.
Elena von Ohlen hat an der Freien Universität Berlin zu Feminiziden in Recht und Literatur promoviert. Zur Zeit arbeitet sie an der Universität Duisburg-Essen an einem Postdoc-Projekt zu den Inquisitionstribunalen von Cartagena und Mexiko-Stadt.
Joan Farías Luan ist bildender Künstler und hat in Genua und Santiago de Chile studiert. Seine Interessens- und Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der pädagogischen Arbeit in informellen Lernräumen und der Verwendung von Kunst als Lehrmethode. Seit 2018 ist er als Illustrator in der LN-Redaktion aktiv, seitdem schmücken seine Illustrationen die Gedichteseite. Mehr Infos: www.cuadernoimaginario.cl / Instagram: @joan_farias_luan_art