Kolumbien | Nummer 487 - Januar 2015

Lösung der Krise stärkt den Friedensprozess

Interview mit dem Konfliktforscher Ariel Ávila nach Freilassung des entführten Generals

Seit November 2012 laufen in Kubas Hauptstadt Havanna die Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und den Bewaffneten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC). Mitte November wurden sie von Präsident Juan Manuel Santos einseitig suspendiert, nachdem Brigadegeneral Rubén Darío Alzate unter dubiosen Umständen in die Hände der FARC geriet. Nach 14 Tagen im Dschungel der westkolumbianischen Pazifikprovinz Chocó kamen der General, der bisher ranghöchste Militär in Händen der FARC, und seine zwei Begleiter*innen wieder frei. Die Operation ging dank des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und den Garant*innen der Verhandlungen aus Norwegen und Kuba zügig und ohne Zwischenfälle über die Bühne. Die Friedensgespräche gehen seit dem 10. Dezember weiter. Zu dem Vorfall und seinen Folgen befragten die LN Politikwissenschaftler Ariel Ávila von der Stiftung „Frieden und Versöhnung“.

Interview: David Graaff

Nach seiner Freilassung hat General Rubén Alzate nun seinen Rücktritt erklärt. Er habe durch sein Verhalten ­– ohne Bodyguards und in Zivil in ein Konfliktgebiet zu fahren – seine Soldatenehre verletzt. Ist dieser Fall damit erledigt?
Das halbe Land ist mit der Erklärung des Generals über das, was sich vor zwei Wochen in der Siedlung Las Mercedes abgespielt hat, nicht zufrieden. Aber der genaue Hergang wird zunächst Spekulation bleiben. Präsident Juan Manuel Santos ist in jedem Fall verärgert über den General. Denn durch seinen fahrlässigen Fehler hat er die Friedensverhandlungen ernsthaft in Gefahr gebracht.

War es eine kluge Entscheidung von Präsident Santos, die Gespräche auszusetzen, nachdem die Gefangennahme des Generals bekannt wurde?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Regierung damit eines der wichtigsten Prinzipien der Verhandlungen verletzt hat. Nämlich jenes, dass die Gespräche in Havanna nicht von den andauernden Kämpfen zwischen beiden Seiten in Kolumbien beeinflusst werden dürfen.

Auch die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) haben sich im Januar 2014 nicht vom Verhandlungstisch in Havanna erhoben, als das Militär das Camp eines hohen FARC-Kommandanten bombardierte und es drei Tote gab.
Santos’ Entscheidung kam wohl maßgeblich auf Druck des Militärs zustande und er hatte politisch wohl auch keine andere Wahl. Es zeigt aber, dass der Präsident Probleme damit hat, im Militär Unterstützung für seinen Friedenskurs zu finden. Derjenige, der während der vergangenen zwei Wochen immer als Erster Details über die Situation des Generals twitterte, war nicht Santos oder sein Verteidigungsminister, sondern der rechte Senator und Ex-Präsident Álvaro Uribe, der noch immer einen guten Draht zu den Militärs hat.

Wie wird sich der Vorfall auf den weiteren Velauf der Gespräche auswirken?
Es wird den Friedensprozess stärken, weil beide Seiten gezeigt haben, dass sie willens sind, die Krise so schnell wie möglich zu lösen. Das zeigt unter anderem die recht schnell getroffene Vereinbarung, ab dem 10. Dezember wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Dieser Zwischenfall war ja keine Krise der Gespräche selbst, sondern wurde durch einen externen Vorfall ausgelöst.

Die FARC und viele Aktivist*innen haben in den vergangenen Wochen verstärkt einen beidseitigen Waffenstillstand gefordert, was die Regierung bisher immer ablehnt. Besteht jetzt eine Chance darauf?
Ein Waffenstillstand wäre der vernünftigste und wünschenswerteste Schritt. Doch er ist für die Regierung politisch nicht durchsetzbar, weil die Opposition und das Militär sie zerreißen würden. Außerdem steht das schwierigste Thema noch auf der Verhandlungsagenda: die Frage nach der Übergangsjustiz, also ob und wie lange die Guerilleros für ihre Verbrechen ins Gefängnis müssen.

Wenn schon kein Waffenstillstand durchsetzbar scheint, welche Deeskalationsmaßnahme ist dann denkbar?
Machbar wäre eine stufenweise Deeskalation der Kämpfe, die schließlich in einen Waffenstillstand mündet. Beide Seiten könnten beispielsweise vereinbaren, dass das Militär zeitweise die Bombardements von Guerilla-Camps und die Besprühung von Koka-Feldern aussetzt und die FARC im Gegenzug keine Anschläge mehr auf die Infrastruktur, also Stromnetze, Pipelines und Überlandlandstraßen mehr verüben. Diese Maßnahmen könnten für Vertrauen sorgen und das Feld für ein endgültiges Schweigen der Waffen bereiten.

Ariel Ávila
Der Politik- und Sozialwissenschaftler Ariel Ávila arbeitet für die Stiftung Paz y Reconciliación („Frieden und Versöhnung“) in Bogotá, die von León Valencia, einem ehemaligen Mitglied der Nationalen Befreiungsarmee ELN, gegründet wurde. Die Mitglieder der Stiftung forschen unter anderem zu den Themen Frieden, bewaffneter Konflikt und mafiöse Strukturen. Nach scharfer Kritik an Ex-Präsident Álvaro Uribe und dem Skandal der parapolítica, bei dem hohen politischen Funktionären Verbindungen zu paramilitärischen Todesschwadronen nachgewiesen worden waren, musste Ávila das Land 2011 aufgrund von Morddrohungen kurzzeitig verlassen. Der 31-Jährige gilt in Kolumbien als einer der angesehensten Expert*innen rund um die Friedensverhandlungen mit der FARC-Guerilla. Außerdem berät er staatliche Institutionen, darunter die Stadtverwaltung von Bogotá.

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