Literatur | Nummer 583 - Januar 2023

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Ein Gedicht von Paulo Henriques Britto

Von Paulo Henriques Britto (Übersetzung: Valeska Brinkmann, Gesa Kasper & Stephanie Fernandes)

Illustration: Joan Farías Luan (www.cuadernoimaginario.cl)

Espiral

A noite é um morcego manso
sobrevoando uma cidade quase adormecida,
tomando cada rua, cada casa,

como um cheiro adocicado de fruta
quase apodrecida que penetrasse uma casa,
ganhasse cada quarto, cada sala,

como cheiro morno de coisa morta
ainda há pouco se espalhando
por uma cidade quase entorpecida,

como uma noite que descesse sobre casas
mortas, como uma peste, como se
nunca houvesse havido dia.

A noite é um morcego morto.

Spirale

Die Nacht ist eine Fledermaus,
die fast schlafende Stadt überkreisend.
Nimmt jede Straße, jedes dunkle Haus.

Wie der süßliche Duft einer fast verdorbenen
Frucht, er dränge in die Häuser ein,
gewänne jedes Zimmer, jeden Raum.

Wie der zarte Duft von etwas Totem,
gerade verstorben, der sich ausbreitet
in einer fast betäubten Stadt.

Wie eine Nacht, die auf die toten Häuser
hinabsänke, eine Pest,
als wenn es niemals Tag gewesen wäre.

Die Nacht ist eine tote Fledermaus.

Paulo Henriques Britto lehrt Übersetzung und Literatur an der Pontifícia Universidade Católica de Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zählen Erzählungen, Essays und Lyrik. Außerdem übersetzte er mehr als 110 Werke, z. B. von Jonathan Swift, William Faulkner, Byron und Elizabeth Bishop aus dem Englischen. Für sein literarisches Schaffen wurde er u. a. mit dem Prêmio Portugal Telecom (inzwischen umbenannt in Oceanos), dem_Prêmio Associação Paulista de Críticos de Arte_und dem Prêmio Biblioteca Nacional ausgezeichnet. 2022 wurde er im Rahmen des Projekts Translator’s Choice von der Übersetzerin Niki Graça zur Latinale nach Berlin eingeladen.

Valeska Brinkmann wurde in der brasilianischen Küstenstadt Santos geboren. Sie studierte TV-Radio-Journalismus in São Paulo, schreibt Gedichte und übersetzt aus dem Deutschen, u. a. Lioba Happel, Ronya Othmann und Oskar Pastior. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Gesa Kasper wurde 1972 in Oldenburg geboren. Als Schülerin verbrachte sie ein Jahr in Santos, Brasilien, und verliebte sich in die portugiesische Sprache. Nach einem Grundstudium in Linguistik, Soziologie und Portugiesisch wechselte sie in die Rechtswissenschaften und arbeitet seit 2005 als Richterin in Bremen.
Stephanie Fernandes ist eine brasilianische Übersetzerin (Englisch – Portugiesisch). Sie hat u.a. Werke von Virginia Woolf, Emily Brontë, Cristina Rossetti, Mary Berard übersetzt. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Die gemeinsame Übersetzung entstand im Rahmen des traditionellen Übersetzungsworkshops des Poesiefestivals Latinale. Mehr biografische Informationen, Gedichte und Übersetzungen auf: www.latinale.org

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