Literatur | Nummer 237 - März 1994

Mal was Gutes für die Schule

“Bloß nix mit Problemen!” ist meist als Antwort dabei, wenn wir LehrerInnen unsere SchülerInnen fragen, was sie im (z.B. Englisch-)Unterricht demnächst gerne lesen wollen. “Und nicht immerzu sowas Politisches!” wird auch immer wieder gewünscht.

Holde Pinnow

Wenn wir unseren SchülerInnen aber trotzdem was Gescheites beibringen wollen, sie zum Selberdenken anregen wollen, müssen wir uns also schon was einfallen lassen – oder wirklich gute Texte anbieten können. Dazu kommt, daß auch wir selbst den zu offensichtlichen pädagogischen Zeigefinger schon lange leid haben, das Belehrende und Plump-zu-Guten-Bekehrende nicht mehr hören können.
Und da gibt es nun mal etwas Erfreuliches zu berichten über zwei neue Lektüren für den Englischunterricht in der Oberstufe (und durchaus auch für andere Interessierte):
Die Textsammlung “The Caribbean” ist ein ungewöhnlich gut gelungenes Exemplar dessen, was frau sich schon lange gewünscht hat: eine Reihe von authentischen und hochinteressanten Texten, aus denen sich zweifellos – bei nicht völlig uninteressierten SchülerInnen – eine Menge Fragen, Diskussionen und Anregungen, weiterzulesen, ergeben. Ausnahmsweise mal wird nicht, gut gemeint, über die armen benachteiligten Minderheiten und Unterdrückten berichtet, was ja im Unterricht leider immer nur zu gelähmt zustimmendem Kopfnicken führt, sondern es werden eine Menge kontroverser Themen geboten.
Dies ist eine erfreuliche Überraschung, wenn frau zuvor im Inhaltsverzeichnis die überaus konventionellen Überschriften (wie “Introducing the Caribbean” oder “Dependence and Poverty”) erstmal hinter sich gebracht hat, die Trockenes befürchten lassen und auf SchülerInnen eher abschreckend wirken dürften. Dann aber wird es gleich spannend: Das Heft beginnt fulminant mit einem Brief der Jamaica Kincaid aus Antigua, in dem sie schonungslos, bissig, sarkastisch und witzig uns weißen TouristInnen genau das sagt, was wir nie hören wollten: “An ugly thing, that is what you are when you become a tourist, an ugly, empty thing, a stupid thing, a piece of rubbish pausing here and there to gaze at this and taste that, and it will never occur to you that the people who inhabit the place in which you have just passed cannot stand you, that behind their closed doors they laugh at your strangeness (you do not look the way they look); the physical sight of you does not please them; you have bad manners…”usw.
Allein wegen dieses Textes lohnt sich das ganze Heft, aber auch in anderen Texten kommen vorwiegend Einheimische aus der Karibik zu Wort. Daraus ergeben sich eine Menge Fragen. Und in Info Boxes und Sachartikeln bietet das Heftchen dann auch genug Sachinformationen über Wirtschaft, Auslandsschuld usw. an, die einen natürlich entstandenen Informationsbedarf befriedigen und inhaltlich in Ordnung sind (gibt es doch sogar einen Auszug aus “Far From Paradise” von J. Ferguson, ed. Latin American Bureau, das ja bekanntlich für Deutschland von den LN vertrieben wird).
Ein anderer Themenkomplex ist das creole, die Sprache der Karibik, die jeweils aus der Sprache der KolonisatorInnen in ihrem Kontakt mit einheimischen und afrikanischen Sprachen entstanden ist. Deren Daseinsberechtigung neben oder statt dem offiziellen Englisch/Französisch/Niederländisch ist eine Frage, die zu diskutieren lohnt.
Wie bei den LN kommt auch in dem Heft die Kultur leider erst am Ende, und Reggae werden die SchülerInnen wohl mega-out finden. Trotzdem, finde ich, gehört er natürlich in das Heft über die Karibik. Der Nobelpreisträger 1992 aus St. Lucia, Derek Walcott, wird zwar genannt und als Foto vorgestellt, jedoch fehlt leider ein Textbeispiel von ihm. Das kann aber in LN 221 nachgelesen werden.
Das andere Heft aus demselben Verlag über “Hispanic Groups in the USA” weist ähnliche Qualitäten auf, spannende Originaltexte, Auszüge aus Romanen von Latino-AutorInnen in den USA und viele brauchbare Informationen. Aktuelle Themen werden angesprochen, den SchülerInnen wird vermittelt, daß die US eben nicht nur aus weißen Amis bestehen. Das Heft ist etwas konventioneller gestaltet als das andere, und auch hier sind die Titel der Artikel abschreckender als ihr Inhalt.
Diese Lektüre habe ich allerdings noch nicht selbst in der Schule ausprobieren können. Obgleich ich sofort nach ihrem Erscheinen einen Klassensatz davon bestellte, kam er buchstäblich erst in der letzten Woche des dafür geeigneten Semesters in der Schule an, da solche Bestellungen sich immer erst durch den Dschungel der Schulbürokratie kämpfen müssen – und im jetzigen Semester sind andere Themen vorgeschrieben. Nun ja, kurz vor den neuesten Sparmaßnahmen haben wir wenigstens noch was Gutes angeschafft für die Zukunft.

The Caribbean, A Crossroad of Cultures, ed. Gerhard Dilger, Cornelsen Verlag, Berlin, 1993
Hispanic Groups in the USA, ed. Horst Tonn, Cornelsen Verlag, Berlin, 1992.

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