Musik | Nummer 354 - Dezember 2003

“Manu Chao hat für uns die Eintrittskarte für den internationalen Markt gelöst”

Interview mit der argentinischen Rock-Ska-Band Karamelo Santo

Bereits zum zweiten Mal tourt die argentinische Band Karamelo Santo durch Europa – mit
über 40 Gigs. Das ,,heilige Bonbon” spielt eine bunte Mischung aus Salsa, Reggae,
Merengue, Rap und Rock. Und sie klagen an: Die soziale Misere, die Armut und die
Armutslosigkeit in ihrem Heimatland sind Themen, die sie musikalisch verarbeiten. Die LN
sprach mit Pedro, 32, und Coy, 36, im Hamburger Molotow über Argentinien,
Inspirationen, Träume und Manu Chao.

Knut Henkel

Karamelo Santo gibt es schon zehn lahre. Welche sind die wichtigsten Etappen der Bandgeschichte?
Die Band wurde in Mendoza/Argentinien zum Jahreswechsel 1992/1993 gegründet. Goy gehört zu den Gründern der Band, er schreibt auch das Gros der Stücke. Alle anderen heutigen Mitglieder waren nicht von Beginn an dabei. „La Quelebra” war die erste Platte, die von der Band auf eigene Rechnung und Risiko eingespielt wurde. Wir haben sie persönlich vertrieben, bei Konzerten verkauft und wurden langsam bekannt – in erster Linie durch Mundpropaganda und Konzerte. Alle Bandmitglieder von Karamelo Santo leben inzwischen in Buenos Aires. Der Umzug in die Stadt war wichtig, um den persönlichen Horizont zu erweitern und die Entwicklung der Band voranzutreiben. Wir haben nach neuen Kontakten und Inspirationen gesucht – und auch gefunden. Beispielsweise
haben wir Todos Los Muertos kennen gelernt, eine Band, die damals sehr einflussreich im alternativen Spektrum war. Sie haben uns beim Vertrieb unserer Alben unterstützt und wir durften mit ihnen touren. Ohne diese Hilfe wäre der Start für unsere Band in Buenos Aires sehr viel schwieriger geworden. Todos Los Muertos waren der Türöffner für uns. Unsere erste Tour in den Vereinigten Staaten haben wir im Jahr 2000 absolviert. Wir waren einen Monat unterwegs und hatten super Erfolg. Zurück in Buenos Aires haben wir dann unsere dritte Platte „Los guachos” vorbereitet. Nun sind wir da, um Europa zu erobern und es gefällt uns gut. Wir
werden als Künstler respektiert.
Euer Bandname Karamelo Santo – heiliges Bonbon-, ist ungewöhnlich. Hat er eine doppelte Bedeutung?
Wir haben uns bei dem Namen nichts gedacht, es ist der Name einer relativ bekannten Show, den wir uns ausgeborgt haben. Für uns hatte er zunächst keinerlei Doppeibedeutung. Später haben wir dann mitbekommen, dass Karamelo Santo in Spanien die geheiligte Hostie ist, gleichzeitig aber auch für „TripM steht. Mit dem Namen lässt sich auch spielen, denn santo steht schließlich nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für afrikanische Religionen und Götter, die teilweise mit den katholischen Heiligen verschmolzen sind. Für uns ist diese Mischung sehr interessant, auch wenn es sie in Argentinien vergleichsweise selten gibt. Generell stehen wir der Kirche und letztlich allen Religionen aber sehr kritisch gegenüber. Für uns steckt da in erster Linie ein Geschäft hinter. Wir glauben an den Fe (Glauben) der Leute, das ist unsere Religion.
Ihr hobt ein Stück über den Internationalen Währungsfonds geschrieben. lst der IWF Schuld an der Situation in Argentinien?
Schuld hat der IWF sicherlich. Wir sind absolut nicht einverstanden mit dieser Institution, weil es eine hinterhältige (tramposa) Institution ist. Sie hilft auf der einen Seite mit ihren Krediten aus schwierigen Situationen, auf der anderen sorgt sie dafür, dass diese verschärft werden -durch die Konditionen, die dem betreffenden Land auferlegt werden. Das ist ein Institution, die in den Mülleimer gehört! Letztendlich ist es ein makabres Spiel, dass da mit Argentinien gespielt wurde -unter der Regie vom IWF und den USA. Sie gaben uns viele Millionen US-Dollar und nahmen uns alles. Die Krise in Argentinien hat mit dem IWF begonnen und der Währungsfond ist Schuld, dass wir jetzt ganz unten angelangt sind -arm und ohne einen einzigen Centavo.
Wie seht ihr die derzeitige Situation eurer Heimat?
Die Situation ist delikat. Die Armutsindikatoren und die Arbeitslosenzahlen sind alarmierend hoch. So hoch wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Der Präsident ist zu einer Marionette des Systems mutiert. Das einzige Positive ist, dass die Leute sich abgekühlt haben, nachdenken und nach neuen Perspektiven suchen. Der Wechsel der Regierung ist ein kleiner Hauch der Hoffnung. Ich glaube Nestor Kirchner versucht, die Maschine wieder zum Laufen zu bringen, auch in sozialer Hinsicht. Die ersten politischen und recht mutigen Entscheidungen dieser neuen Regierung haben uns ehrlich gesagt überrascht. Aber noch gibt es Armut und Hunger und es ist nicht klar, wie all diese Probleme gelöst werden sollen.
Wie sieht es in La Boca aus, dem Stadtviertel in dem die Band lebt?
Unser Barrio ist ein nachbarschaftliches Viertel, die Leute vertrauen einander. Das ist recht typisch für Lateinamerika, dass jeder sein Viertel, sein Radius hat und die Leute aufeinander achten. Es ist ein armes und sehr temparamentvolles Viertel, das noch immer sehr unter den ökonomischen Problemen leidet. Die Armut ist direkt mit der Unsicherheit verbunden. Früher konnte man locker im Barrio spazieren gehen, heute muss man darauf achten, das man den Radius nicht verlässt, in dem man bekannt ist, sonst kann es zu Überfällen kommen. Es gibt viele Leute, die vom Diebstahl und kleinen Delikten leben. Der Ehrenkodex verbietet es je-doch, die Taten im eigenen Viertel zu begehen.
Welchen Einfluss hat die Geschichte und die der-zeitige soziale und politische Situation ens auf die Texte von Karamelo Santo?
Die Geschichte Argentiniens spielt keine so entscheidende Rolle. Es sind mehr die sozialen Belange des Landes, denen wir uns verpflichtet fühlen und die sozialen Verhältnisse sind es, die uns zu vielen Stücken inspiriert haben. Wir schreiben über die soziale Misere, den Schmerz, aber auch über Liebe.
Die wichtigste lnspirationsquelle dabei ist unser Viertel. Unsere Stücke stehen aber durchaus auch in einem universellen Kontext. Es sind nicht punktuelle Situationen, über die wir singen, sondern solche, die überall und immer wieder vorkommen. Die Ungerechtigkeit, der wir überall und immer wieder begegnen, versuchen wir in einen poetischen Kontext zu stellen. Uns ist es wichtig, dass sich die Leute an unsere Musik, unsere Kunst erinnern und nicht, weil wir einen Politiker oder die Polizei beschuldigen oder beschimpfen
Wo liegen die wichtigsten Einflüsse für den Sound von Karamelo Santo?
Ein Einfluss ist zum Beispiel die kolumbianische Cumbia, die wir seit Jahren hören und die auch in Argentinien recht verbreitet ist. Wir sind ein Topf mit sehr unterschiedlichen Zutaten, sieben Musiker mit sehr unterschiedlichem Musikgeschmack. Der eine hört Heavy Metall, der andere Rap-Metal. Wir haben Salsa-Fans genauso wie Cumbia-Verrückte und Elektrobegeisterte in der Band. Wir spielen Salsa, Reggae, Merengue, Rap, Rock -das sind glaube ich die wichtigsten Zutaten unserer Karamelo Santo-Mischung.
Die Mano Negra Tour 1992 war ziemlich wichtig für die Musikentwicklung in Lateinamerika, vor allem im alternativen Gesellschaftsspektrum. Das sagen zumindest Bands wie La Vela Puerca aus Uruguay oder Los de Abajo aus Mexiko. Stimmt ihr dem zu?
mit Mano Negra ist vieles in der musikalischen Entwicklung in Lateinamerika in Bewegung gekom-men. Langsam wird das Genre Rock Latino oder Rock Mestizo bekannt und kommt über unseren Kontinent in die USA und nach Europa. Der Einfluss von Mano Negra lässt sich meiner Meinung nach kaum überschätzen. Wir sind gut mit Manu Chao befreundet und er hat uns schon so manches Mal in unserem Barrio besucht. Für uns war es damals eine unglaubliche Ehre als er uns gefragt hat, ob wir nicht als Vorband bei seinem Konzert in Mendoza spielen könnten. Wir waren total aus dem Häus-chen, den Anheizer für ihn spielen zu können. Mit seiner Einladung hat er letztendlich für uns die Eintrittskarte für den internationalen Markt gelöst. Auch auf der letzten CD von Karamelo Santo ist Manu Chao dabei, auf zwei Stücken ist er zu hören. Das ist eine unglaubliche Promotion und wichtig für die Geschichte der Band.

Sind internationale Labels schon auf euch aufmerksam geworden? Gibt es Kontakte außer jenem zu Übersee-Records das eure aktuelle LP in Deutschland vertreibt?
Wir haben keinerlei Erfahrung wie es ist, mit einem internationalem Label zu arbeiten. Wir haben nie ein Angebot bekommen und es ist alles andere als einfach, sich als Musiker sein eigenes Netzwerk zu schaffen und die Platten zu produzieren und zu vertreiben. In den letzten Jahren ist jedoch ein Netzwerk der unabhängigen Musik in Argentinien entstanden und die Infrastruktur ist heute relativ gut. Musikalisch tut sich viel in Argentinien. Das ganze ist wie ein Ball, der ins Rollen gekommen ist -sehr positiv.
Könnt ihr mittlerweile von der Musik leben? Karamelo Santo ist schließlich in Argentinien sehr bekannt, das aktuelle Video läüft auf MTV und die aktuelle LP wurde von der Musikzeitung Rolling Stone ausgezeichnet.

Nein, eigentlich nicht, denn als Band haben wir beträchtliche Ausgaben. Letztlich sind alle Bandmitglieder darauf angewiesen zu jobben, etwa auf der Straße zu spielen, Musikunterricht zu geben oder mit Theater und anderen Künstlern zu arbeiten.
Wir haben zwar in Argentinien ein gutes Publi-kum und viele Fans, aber die ökonomische Situati-on ist ausgesprochen schwierig. Eintrittspreise für Konzerte können sich viele kaum leisten und des-halb sind sie eben auch niedrig.

Wovon träumt ihr?
Goy: Unser Traum ist es von der Musik leben zu können und sich ganz auf sie konzentrieren zu können. Mein persönlicher Wunsch ist es zu reisen, etwas von der Welt zu sehen. Europa würde ich gerne bereisen, aber auch Brasilien, Kuba und Mexiko interessieren mich.
Pedro: Ich habe immer davon geträumt, einmal außerhalb meines Landes zu spielen. Dieser Traum hat sich mit der Europatour erfüllt.
Interview: Knut Henkel

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