Kolumbien | Nummer 330 - Dezember 2001

Menschenrechtler in der Mangel

Interview mit Ana Teresa Rueda und Pablo Arenales aus Barrancabermeja

Im November 2001 luden amnesty international und Peace Brigades International, die beiden kolumbianischen MenschenrechtsvertreterInnen von den Organisationen OFP (Organización Femenina Popular) und CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos) zur Verleihung des Menschenrechtspreises von der UNO-Frauenorganisation(UNIFEM)nach Bonn ein. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit den beiden KolumbianerInnen.

Susanne Schmitz

Im Dezember 2000 sind in Barrancabermeja Paramilitärs (AUC) einmaschiert. Was ist seitdem passiert?

Die Paramilitärs haben die Kontrolle in den umliegenden Gemeinden und in einzelnen Stadtvierteln übernommen. Sie arbeiten mit der Unterstützung der Militärs und der Polizei in Barrancabermeja. In unserer Stadt bleiben 97 Prozent der Verbrechen ungestraft. Diese Paramilitärs bedrohen uns, säen Terror, ermorden Menschen. Sie wollen sich in Barrancabermeja einnisten und die sozialen Organisationen, die für die Menschenrechte eintreten, nach und nach vertreiben. Daher fliehen jetzt viele aus Barrancabermeja, während sie in den letzten Jahren aus dem Umland nach Barrancabermeja geflohen sind.

Wie macht sich die Präsenz der Paramilitärs im Alltag bemerkbar?

Die Paramilitärs sind überall. Sie haben Häuser von Flüchtlingen übernommen, überwachen das Gebiet und haben Radios und Waffen dabei. Sie sind nicht uniformiert, aber viele Leute kennen sie, da sie zum Teil selbst aus dem gleichen Gebiet stammen. Häufig versammeln sie alle Menschen des Viertels oder der Gemeinde, um ihnen zu sagen, welchen Regeln sie jetzt zu folgen hätten, wenn sie weiterhin in Barrancabermeja bleiben wollen. Sie stellen neue so genannte „Regeln der gesunden Gewohnheit“ auf, und zwingen zum Beispiel Jugendliche, sich die Haare abzuschneiden. Die Paramilitärs rekrutieren Jugendliche aus den Vierteln und aus den comunidades, indem sie ihnen etwas Geld, etwa 500 Pesos, eine Waffe und ein Handy versprechen. Sie nutzen deren Armut aus und kaufen die Jugendlichen einfach.

Wird auch die OFP bedroht?

Die Paramilitärs haben die OFP zum militärischen Ziel erklärt. Wir erhalten immer wieder Drohungen, die wir natürlich bei der Polizei anzeigen, aber es wird nichts unternommen. Sie wollten uns aus unserem Haus werfen, aber wir haben uns ihnen entgegengestellt. Ähnliches haben sie auch in den Gemeinden versucht. Die stehen allerdings ganz alleine da, sie haben nur die Unterstützung von sozialen Organisationen wie der OFP. Die Gemeinden baten uns nach den Übergriffen um Hilfe. Wir zeigen die Paramilitärs immer wieder an, denn wir wissen, wo sie sind. Doch dann geht die Polizei in diese Häuser und sagt, die OFP hätte Paramilitärs denunziert. Dadurch steigt die Bedrohung für uns. Es gibt eine unglaubliche Komplizenschaft zwischen der Polizei und den Paramilitärs! Die PBI wurden auch bedroht. Aber es hat den Anschein, dass es in diesem Fall sehr starken politischen Druck gab, denn einige Tage danach haben die Paramilitärs sich bei den PBI entschuldigt und gesagt, sie hätten sich getäuscht, sie wären nicht gemeint gewesen, sondern die OFP.

Warum haben die paramilitärischen Gruppen so ein starkes Interesse an der Region Magdalena Medio und Barrancabermeja?

Die Region von Barrancabermeja und Magdalena Medio hat eine enorme strategische Bedeutung: Der Magdalena-Fluss ist eine der wichtigsten Wasseradern und einer der entscheidensten Transportwege des Landes. Es ist auch eine sehr reiche Region, wir haben hier große Ölvorkommen, sowie Gold im Süden von Bolívar, daneben noch Mineralien und Holz. Außerdem eignet sich das Land sehr gut für die Landwirtschaft. Die Region ist sehr wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung Kolumbiens. Mit der militärischen Präsenz in dieser Region will der kolumbianische Staat politische und soziale Kontrolle ausüben.

Wie arbeitet die OFP? Was sind ihre Ziele und wie lange besteht sie schon?

Die OFP existiert seit 29 Jahren und ist eine Frauen-Basisorganisation, die in der Region Magdalena Medio in verschiedenen municipios arbeitet. Zu ihren Hauptthemen gehören die juristische Arbeit und die Gesundheit der Frauen. Wir haben ein Netz von Kantinen innerhalb unserer Frauenhäuser organisiert, bieten Unterstützung für vertriebene Frauen; wir bieten auch psychosoziale Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Frauen, sowie Bildungsprogramme an. Die Frauen sind zentral in unserer Arbeit, aber wir können sie nicht aus ihrem Umfeld herausreißen, sondern beziehen ihre Söhne, ihren Ehemann, Bruder oder Vater auch mit ein. Wir informieren die Frauen über ihre Rechte und wollen ihnen helfen, zu politischen Subjekten zu werden, die ihre Wünsche artikulieren können.

Und worin besteht die Arbeit von CREDHOS?

CREDHOS arbeitet seit 1987 in der Region. Wir arbeiten in vier Bereichen: Erstens zeigen wir immer wieder die Menschenrechtsverletzungen an, die bewaffnete Gruppen begehen, die in der Region präsent sind. Zweitens veranstalten wir Seminare, Workshops und Gesprächsrunden zum Thema Menschenrechte und erstellen didaktische Materialien wie Zeitschriften, Dokumente und Videos. Weitere Arbeitsfelder sind die Solidarität mit den Opfern der Menschenrechtsverletzungen und der Bereich der Kommunikation. Leider werden wir immer wieder bedroht. Sieben Mitarbeiter sind umgebracht worden, 14 weitere konnten sich nicht länger in der Region aufhalten und mussten wegziehen. Vier Mitarbeiter leben nach massiven Drohungen sogar im Exil in Spanien. Häufig verhält sich auch der kolumbianische Staat so, als wären wir seine Feinde. Nur weil wir unsere Menschenrechtsarbeit verfolgen. Extrem wichtig ist für uns die internationale Unterstüzung, die Begleitung der PBI, die immer präsent und immer auf dem Laufenden sind, über das, was gerade passiert.

Welche Rolle spielt der Staat in diesem Konflikt? Sind die Paramilitärs Akteure des Staates, oder besteht die Möglichkeit für Gruppen aus der Zivilbevölkerung, sich bei der Suche nach Hilfe und Schutz an staatliche Institutionen zu wenden?

Wir fordern den Staat immer wieder auf, das Leben und die Rechte seiner Einwohner zu schützen. Dabei müssen wir mit dem kolumbianischen Staat zusammenarbeiten, mit seinen zivilen Institutionen wie dem Innenministerium und den Ombudsmännern. Wir setzen sie unter Druck, damit sie ihre Aufgaben erfüllen, aktiv werden. Aber meistens passiert nichts. Die Institutionen antworten den Menschenrechtsvertretern oft nicht. Der Staat hat an Glaubwürdigkeit verloren. Ein Hauptproblem besteht darin, dass die Menschen Angst haben, Verbrechen vor dem Staat anzuklagen. Aber zumindest gibt es Räume, in denen wir über die Situation der Menschenrechte in der Region reden können.

Es gab Überlegungen, in Barrancabermeja eine Zone der ELN (Ejército de Liberación Nacional) einzurichten ähnlich jener der FARC (Fuerza Armadas Revolucionarias de Colombia) im Süden. Wie ist die Situation der ELN in der Region, nachdem im vergangenen Monat die Gespräche mit der Regierung endgültig abgebrochen wurden?

Die aufständischen Gruppen der ELN haben sich aus der Region Barrancabermeja ins Umland zurückziehen müssen. Im letzten Monat hat die Regierung den Dialog mit den ELN beendet. Wir haben in diesem Dialog ein Licht der Hoffnung für Barrancabermeja gesehen, denn wir glauben, dass nur über Verhandlungen mit den bewaffneten Akteuren zu erreichen ist, dass dieser Krieg aufhört. Ich glaube vorerst nicht an eine Fortsetzung des Dialogs der Regierung mit der ELN, aber wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Wir bitten die Internationale Gemeinschaft, Druck auf die Regierung auszuüben, den Dialog fortzusetzen. Das erscheint uns als die einzige Hoffnung.

Welche Befürchtungen haben denn die Menschenrechtsorganisationen in Barrancabermeja bezüglich der im nächstes Jahr stattfindenden Wahlen?

Wir befürchten, dass Gruppen wie die Paramilitärs die Leute in den Gemeinden unter Druck setzen werden, damit sie einen bestimmten Kandidaten wählen. Unglücklicherweise halten die Paramilitärs in den Gemeinden schon Versammlungen ab, in denen sie ihre eigenen Kandidaten aufstellen.

In den letzten Wochen wurde der OFP in Bonn ein Menschenrechtspreis verliehen.

Dieser Preis ist nicht nur für uns, sondern auch für die Gemeinden sehr wichtig. Das zeigt uns, dass wir auf internationaler Ebene viel Unterstützung für die Frauen- und Menschenrechtsorganisationen bekommen.

KASTEN

Die Region Barrancabermeja

Die Organisationen OFP und CREDHOS bemühen sich um Frieden und Selbstbestimmung für die Bevölkerung in der Region Barrancabermeja. Die PBI versuchen durch internationale Präsenz zu sichern, dass Menschenrechtsorganisationen ihre Arbeit fortsetzen können. Barrancabermeja und das umliegende Gebiet Magdalena Medio liegen traditionell im Einflussgebiet der Guerillaorganisation ELN, doch seit Jahren versuchen die paramilitärischen Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bekommen. Seit Dezember 2000 kontrollieren die Einheiten der AUC drei Viertel der Stadt. Barrancabermeja zählt etwa 300.000 Einwohner. In der gesamten Region leben etwa eine Million Menschen.

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