El Salvador | Honduras | Nummer 535 - Januar 2019

NEOLIBERALE EXPERIMENTIERFELDER

Sonderwirtschaftszonen haben auch in Mittelamerika Nebenwirkungen

Für die einen sind Sonderwirtschaftszonen das große Heilsversprechen, für die anderen eine Bedrohung ihrer Existenz. Ein Blick nach Honduras und El Salvador.

Von Jutta Blume
Durch Sonderwirtschaftszonen räumungsbedroht Kleinbäuerliche Küstenorte im Golf von Fonseca (Foto: Honduras Delegation)

„Meine Idee ist, neue Städte mit eigenen Regeln – einer eigenen Charta – zu errichten. Dann können die Menschen selbst entscheiden, ob sie dorthin ziehen wollen oder nicht“, erklärte der Wirtschaftswissenschaftler Paul Romer 2012 im Interview mit der Zeit. Ausgerechnet im armen und von Korruption gebeutelten Honduras wollte Romer seine Idee gerne verwirklicht sehen. 2016 wurde Romer Chefökonom der Weltbank, im Oktober 2018 erhielt er zusammen mit William Nordhaus den Nobelpreis für Ökonomie. Nicht für seine Idee der Charter City wohlgemerkt, die die honduranische Politik aufgegriffen und auf ihre eigene Weise weiterentwickelt hat. Und die inzwischen von anderen zentralamerikanischen Ländern kopiert wird.

„In El Salvador heißen die Sonderwirtschaftszonen ZEE (Zonas Economicas Especiales), in Honduras heißen sie ZEDE (Zonas de Empleo y Desarrollo Económico – Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung). In Honduras richten sich die Begehrlichkeiten auf die Karibikküste, in El Salvador auf den Golf von Fonseca an der Pazifikküste. Dort sollen Hotels und Restaurants gebaut werden. Das ist eine Bedrohung für die Bevölkerung. Die Gemeinden haben hunderte von Jahren dort gelebt, aber es gibt keine dokumentierten Landtitel. Deswegen können die Regierungen sie einfach vertreiben“, befürchtet Everardo Perez Piche vom Umweltnetz der Gemeinden in El Salvador RACDES. Die erste ZEDE in Honduras ist nun scheinbar nicht mehr an der Karibikküste geplant, sondern ebenfalls am Golf von Fonseca, wo ein Tiefseehafen entstehen soll. Ein Konzept hierfür wurde mit der südkoreanischen Organisation für internationale Zusammenarbeit KOICA ausgearbeitet, der genaue Inhalt ist aber unbekannt. Informationen sind in Honduras rar.

Schon jetzt befürchten Kleinbäuerinnen und -bauern von den Inseln im Golf von Fonseca vertrieben zu werden. Romers Modellstädte waren ursprünglich in unbewohnten Gebieten geplant, die ZEDE dürfen auch in bewohnten Gebieten gebaut werden. Doch ohne dokumentierte Landtitel können Grundstücke auch schnell für unbewohnt erklärt werden. 15 kleinbäuerliche Familien auf der Insel Exposición sind nach wie vor räumungsbedroht. Das Gesetz über die ZEDE in Honduras wurde im Jahr 2013 verabschiedet, nachdem der rechtliche Vorgänger, die Sonderentwicklungszonen (Regiones Especiales de Desarrollo, RED), 2012 vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt wurde. Das kostete vier von fünf Richter*innen ihren Posten. Die RED wie die ZEDE waren ein Herzensprojekt des heutigen De-facto­Präsidenten Juan Orlando Hernández, 2012 noch Parlamentspräsident.

Die honduranische Garífuna-Organisation OFRANEH beschreibt die ZEDE wie folgt: „Die gegenwärtige Diktatur der Nationalen Partei in Honduras macht sich daran, den Nationalstaat zu verwässern und mindestens ein Dutzend Enklaven mit ihren eigenen Gesetzen und Regierungen zu schaffen. Bis heute kennen wir deren wahre Absichten nicht, aber alles deutet darauf hin, das sie einen marktliberalen, rechtsextremen oder narcokapitalistischen Charakter haben werden.“ Die Befürchtung, dass das organisierte Verbrechen in den Modellstädten investieren könnte, ist in Honduras nicht abwegig, zumal gerade erst der Bruder des Präsidenten als Drogenhändler in den USA verhaftet wurde.

Nun kopiert ausgerechnet das in den vergangenen Jahren linksregierte El Salvador das neoliberale Modell der Sonderentwicklungszonen. Der Gesetzentwurf für die ZEE wurde Anfang Juli im Parlament vorgestellt. Die ZEE sollen mit Steuerfreiheit für 25 Jahre und geringen Importzöllen Investor*innen anlocken. Im Gegenzug würden sich diese verpflichten, mindestens 5 Millionen US-Dollar zu investieren und mindestens 200 Menschen zu beschäftigen. Das zentralamerikanische Institut für Finanzstudien ICEFI rät von den ZEE ab. Das Institut bezeichnet die Steuererleichterungen als eine antiquierte Strategie, die erwiesenermaßen nicht geeignet sei, um Investor*innen anzuziehen. 18 der 26 dafür gewählten Munizipien erfüllten mit hohen Raten extremer Armut nicht einmal die im ZEE-Gesetz genannten Grundvoraussetzungen. Die Unternehmen müssten sich nicht an der öffentlichen Versorgung beteiligen und eine nachhaltige Entwicklung sei nicht möglich.

Enklaven mit ihren eigenen Gesetzen und Regierungen

Ob nun mit oder ohne ausgewiesene Sonderentwicklungszone, an der honduranischen Atlantikküste führen neue Tourismusprojekte schon jetzt zur Vertreibung von Garífuna-Gemeinden von ihren angestammten Territorien. Eine ökonomische Teilhabe findet nicht statt, wie Aurelia Arzú, Vizekoordinatorin von OFRANEH betont: „Als in der Bucht von Trujillo der neue Anleger für Kreuzfahrtschiffe gebaut wurde, mussten die Garífuna dort wegziehen. Ihnen wurden gesagt, dass sie an dem Projekt beteiligt würden, aber jetzt wird ihnen sogar der Zutritt verweigert. Sie dürfen dort nicht einmal ihre Produkte verkaufen. Wie kann man also behaupten, dass wir uns gegen die Entwicklung stellen würden, wenn wir doch nur belogen werden?“

Ähnliche Vorwürfe gibt es gegen das Tourimusprojekt „Indura Beach and Golf Resort“ in Honduras, vormals unter dem Namen „Los Micos“ bekannt, an der karibischen Bucht von Tela. Es wurde seit 2003 in Öffentlich-Privater-Partnerschaft entwickelt. Auch dort wurde den anliegenden Gemeinden eine Gewinnbeteiligung versprochen, wenn sie einen Teil ihres Landes zur Verfügung stellen.

Öffentlich-Private-Partnerschaften sind ein Instrument, dass mit den Freihandelsabkommen gefördert werden soll, berichtet Perez vom Umweltnetzwerk. El Salvador war 2006 das erste zentralamerikanische Land, das das Freihandelsabkommen CAFTA-DR mit den USA in Kraft setzte. Nordamerikanische Unternehmen erhielten mit dem Freihandelsabkommen Zugang zum salvadorianischen Markt, aber die Versprechen haben sich eher ins Gegenteil verkehrt, so Perez.

„Im Vertrag steht, dass das Abkommen die Möglichkeit für El Salvador bietet, neue Arbeitsplätze zu schaffen, dass die Armut abgebaut würde und bessere Bedingungen für die Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen geschaffen würden. Bis Juni 2018 war fast die Hälfte der ökonomisch aktiven Bevölkerung arbeitslos.“ Gerade die kleinbäuerliche Landwirtschaft habe dem Preisdruck aus dem Norden nicht standhalten können, viele Kleinbäuerinnen – und Bauern hätten aufgegeben.

 

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