Mexiko | Nummer 535 - Januar 2019

„WIR BLEIBEN WACHSAM”

Interview mit Octavio Jiménez Rivera über den langjährigen Kanpf der Gemeinde San Salvador Atenco

Nach 17 Jahren Widerstand gegen den Bau des neuen Hauptstadtflughafens auf dem Land der Gemeinde San Salvador Atenco hat die Protestbewegung Frente de Pueblos en defensa de la Tierra (FPDT) auf juristischer Ebene einen Etappensieg errungen und die Rücknahme des Enteignungsdekrets erwirkt. Bedeutsam an der Entscheidung ist, dass das Land den Anwohner*innen zurückgegeben werden muss. Die LN haben mit Octavio Jiménez Rivera, Anwalt und Aktivist der FPDT, über deren Widerstand und die Bedeutung dieser Entscheidung gesprochen.

Von Interview: Alexander Gorski

Was ist der Hintergrund des Widerstands der FPDT in der Gemeinde San Salvador Atenco?
Im Jahr 2001 erließ der damalige mexikanische Präsident Vicente Fox ein Dekret, mit dem der Großteil der Landfläche unserer Gemeinde enteignet werden sollte. Auf diesen Flächen sollte ein neuer Hauptstadtflughafen gebaut werden, ein Megaprojekt also, das kurz-, mittel- und langfristig verheerende Auswirkungen nicht nur auf San Salvador Atenco, sondern auf die ganze Region um das Valle de México gehabt hätte. Deshalb haben sich viele Bewohner*innen aus Atenco zusammengeschlossen, um gegen den Bau des Flughafens zu kämpfen, zuerst durch sozialen Protest, dann auch auf juristischem Weg. So erreichten wir dann auch, dass das Enteignungsdekret als unzulässig eingestuft wurde und zurückgenommen werden musste.

Damit war euer Kampf aber nicht beendet.
Nein, denn fünf Jahre später befahl der damalige Gouverneur des Bundesstaates México und spätere mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto eine beispiellose Repression gegen uns. Es kam zu einem mehrtägigen Angriff auf unser Dorf, bei dem Leute verschwanden, viele Frauen sexuell misshandelt und gefoltert wurden und viele unserer Häuser schwer beschädigt wurden. Dabei ging es der Regierung darum, die Leute ausfindig zu machen und einzuschüchtern, die sich gegen den Flughafen gewehrt hatten. Es war ihre Rache, weil es uns gelungen war, die Enteignung unseres Landes zu verhindern. Einige Genoss*innen wurden zu langen Gefängisstrafen verurteilt, wie zum Beispiel Ignacio del Valle, der zu 112 Jahren verurteilt wurde, aber nach vier Jahren durch ein Urteil des obersten Gerichts freikam.

Dann wurde Peña Nieto 2012 Präsident …
Ja, und da hat er sofort beschlossen, den Flughafen doch bauen zu lassen, mit all seinen negativen Konsequenzen für die Region. Die Bauarbeiten begannen und wir sahen die verheerenden Auswirkungen in ökologischer, sozialer, hydrologischer und kultureller Hinsicht.

Octavio Jiménez River ist Anwalt und Aktivist der Organisation Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra, die sich seit fast zwei Jahrzehnten gegen den Bau eines neuen Flughafens in ihrer Gemeinde San Salvador Atenco wehrt. (Foto: privat)

2018 kam ein neuer Wendepunkt. Am 1. Juli wurde Andrés Manuel López Obrador zum neuen Präsidenten Mexikos gewählt. Schon vor seinem offiziellen Amtsantritt ließ er eine Volksbefragung durchführen, bei der sich eine klare Mehrheit gegen die Fortführung der Bauarbeiten aussprach. Wie kam es dazu?
Während seines ganzen Wahlkampfs hatte López Obrador versprochen, das Projekt zu kippen. Damit hat er auf etwas reagiert, was schon immer klar war: Die Mehrheit der Bevölkerung will diesen Flughafen nicht, was sich dann auch im Ergebnis der Befragung gezeigt hat. Für uns ist das natürlich ein Erfolg, bedeutet aber zunächst einmal nur eine Verschnaufpause. Denn auch wenn jetzt der neue Präsident gegen den Flughafen ist, werden wir weiter wachsam sein und dafür kämpfen, dass sich diese Entscheidung nicht doch wieder ändert.

Was ist nach der Befragung vor Ort passiert? Wurden die Bauarbeiten am Flughafen eingestellt? Haben die Anwohner*innen in Atenco ihre Flächen zurückbekommen?
Es geht hier um langwierige juristische Vorgänge. Zwar haben wir Entscheidungen der zuständigen Organe, die besagen, dass die Flächen zurückgegeben werden müssen, doch bis heute werden die Bauarbeiten fortgeführt, weil die Firmen sich mit der Entscheidung der Befragung nicht zufrieden geben wollen und Angst haben, Geld zu verlieren. Wir aber machen auch weiter, bis die Bauarbeiten komplett gestoppt sind und kämpfen dafür, dass es ein offizielles Dokument gibt, in dem schwarz auf weiß festgehalten wird, dass die Arbeiten gestoppt werden müssen und mit der Rückgabe des Landes begonnen wird. Nur so kann auch der Heilungsprozess für die Natur hier beginnen.
Wir wissen, dass das alles lange dauern wird. Die großen Firmen haben immer behauptet, dass der Baufortschritt des Flughafens schon bei mehr als 30 Prozent liegt, aber das ist gelogen. Tatsächlich ist von der Infrastruktur des neuen Flughafens relativ wenig fertig geworden. Deswegen werden wir es auch schaffen, unser Land zu heilen.

Für die FPDT ging es nie allein um euer Land … Ihr habt euch auch mit anderen Kämpfen verbunden. Wie geht es in dieser Hinsicht weiter?
Das ist richtig. Wir sind zum Beispiel im Nationalen Indigenen Kongress (CNI) vertreten, der auf Initiative der zapatistischen Bewegung Mitte der 1990er-Jahre entstanden ist. Zurzeit unterstützen wir unsere Genoss*innen in Tlanixco. Dort verteidigt die indigene Dorfgemeinschaft seit Jahren ihr Recht auf Wasser und ist dafür massiver Repression ausgesetzt. Sechs von ihnen sitzen derzeit für ihren Aktivismus im Gefängnis und wir sind Teil der Kampagne für ihre Freilassung. Wir haben auch enge Beziehungen mit Gemeinden im südlichen Bundesstaat Guerrero, die sich gegen ein Staudammprojekt einsetzen, das ihre Dörfer überschwemmen würde und mit den Genoss*innen aus Mexicali, die sich gegen eine große Brauerei wehren, die ihnen ihre Wasservorräte stehlen will. Wir hoffen, dass die Zivilgesellschaft und die anderen Organisationen auch weiter solidarisch mit unserem Kampf bleiben. Man weiß nie, was kommt, und wir müssen für jede Art von Repression vorbereitet sein, denn wir haben es nun schon zum zweiten Mal geschafft, den Bau des Flughafens zu stoppen.

Wie seht ihr in diesem Kontext das Infrastrukturprogramm des neuen Präsidenten, das die Durchführung verschiedener Megaprojekte vorsieht, die aber in vielen Fällen die Territorien indigener Völker betreffen?
Wir sind solidarisch mit allen Betroffenen, die sich gegen Megaprojekte zur Wehr setzen, sei es durch sozialen Protest oder juristische Schritte. Zum Beispiel im Fall des sogenannten Tren Maya, einem Zug, der indigene Gebiete im Süden Mexikos touristisch erschließen soll, ist uns klar, dass dies nicht ohne Schäden für die dort lebenden Völker und Natur geht. Solche Projekte werden ohne Bewusstsein für ihre verheerenden Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen getroffen und fordern große Opfer. Wir von der FPDT denken nicht nur an unser eigenes Land, wir wollen die Zerstörung in ganz Mexiko stoppen.

 

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