Aktuell | Costa Rica | Nummer 574 - April 2022 | Wahlen

NEOLIBERALER SCHLÄGT NEOLIBERALEN

Außenseiter Rodrigo Chaves wird neuer Präsident in Costa Rica

Rodrigo Chaves hat die Präsidentschaftswahlen in Costa Rica gewonnen. Unter ihm drohen wirtschaftsliberale Reformen und ein möglicher gesellschaftspolitischer Rückfall. Chaves wurde in der Vergangenheit wegen sexueller Belästigung sanktioniert. 

Von René Thannhäuser

Präsidentenpalast in San José (Foto: MadriCR via wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Rodrigo Chaves Robles ließ sich nach der Stichwahl vor Anhänger*innen in der costa-ricanischen Hauptstadt San José feiern und gab sich in der Wahlnacht versöhnlich: „Ich spreche José María Figueres und allen, die ihn gewählt haben, meine Anerkennung aus und bitte darum, dass wir gemeinsam daran arbeiten, das Wunder von Costa Rica möglich zu machen, denn das Beste liegt noch vor uns.“ Mit knapp einer Million Stimmen und 52,86 Prozent setzte er sich am 3. April gegen den ehemaligen Präsidenten Figueres durch.

Chaves’ Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen war die große Überraschung der Wahlen vom 6. Februar. Rund 3,5 Millionen Costa-Ricaner*innen waren dazu aufgerufen, ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten zu wählen. Die Wahlbeteiligung war mit nur 60 Prozent jedoch die niedrigste in der Geschichte des Landes. Mit 16,78 Prozent erreichte der bis dato weitgehend unbekannte Chaves überraschend den zweiten Platz in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl und ließ einige Favorit*innen hinter sich. Mit deutlichem Abstand und 27,28 Prozent der Stimmen zog wie erwartet José María Figueres als Erstplatzierter in die Stichwahl ein.

Doch schon kurz nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen zeichnete sich ab, dass der Überraschungskandidat Chaves gute Chancen hat, die Wahlen für sich zu entscheiden. Fast alle Wahlumfragen sahen ihn vor Figueres. Angesichts der schlimmsten Wirtschaftskrise Costa Ricas seit Jahrzehnten und einer tiefen Unzufriedenheit mit dem politischen System hat Chaves es verstanden, sich als frischen und unverbrauchten Kandidaten zu präsentieren. Gegenüber Figueres und seiner Partei, der Partido Liberación Nacional (Partei der Nationalen Befreiung, PLN) besteht ein tiefes Misstrauen in der Bevölkerung. Figueres, der Costa Rica bereits von 1994 bis 1998 regierte und Sohn eines dreimaligen Präsidenten ist, sowie die PLN als älteste und mächtigste Partei des Landes, stehen sinnbildlich für das Establishment des Landes.

Zwischen Chaves und Figueres passt programmatisch kein Blatt

Chaves großer Wahlvorteil war es, nicht Figueres zu sein. Einer breiteren Öffentlichkeit war er gänzlich unbekannt, bis er im Oktober 2019 überraschend von Präsident Carlos Alvarado zum Finanzminister ernannt wurde. Der promovierte Ökonom hatte zuvor über 27 Jahre bei der Weltbank gearbeitet, zuletzt als Landesdirektor für Indonesien. Seine Amtszeit sollte jedoch nur knapp ein halbes Jahr dauern. Vor allem aufgrund eines Streits über eine geplante Schuldenbremse trennten sich die Wege. Chaves hatte bemängelt, dass Kommunen von der neuen Schuldenbremse ausgenommen wurden.

Im Juli 2021 gab Chaves dann bekannt, dass er für die erst 2018 gegründete Partido Progreso Social Democrático (Partei des Sozialdemokratischen Fortschritts, PSD) für die Präsidentschaft kandidieren werde. Bereits einen Monat später wurde seine Kandidatur von einem Bericht der costa-ricanischen Zeitung La Nación überschattet. Sie machte öffentlich, dass gegen Chaves während seiner Zeit bei der Weltbank Strafmaßnahmen wegen sexueller Übergriffe umgesetzt wurden. Chaves bestreitet diese Vorwürfe bis heute und bezeichnet sie als Teil einer medialen Kampagne des Establishments. Die Vorwürfe wurden jedoch mehrmals bestätigt, zuletzt am 28. März durch die US-Zeitung The Wall Street Journal. Eine Mehrheit der costa-ricanischen Wähler*innen scheint sich daran jedoch nicht gestört zu haben oder zumindest weniger als an den bestehenden Korruptionsvorwürfen gegen José María Figueres.

Bereits der Wahlkampf für die erste Runde vom 6. Februar war durch Entpolitisierung und Personalisierung geprägt. Dies spitzte sich vor der Stichwahl noch weiter zu. Die letzten TV-Duelle zwischen Chaves und Figueres waren öffentlich geführte, teils inhaltsleere Schlammschlachten. Beide beschuldigten sich der Inkompetenz und Korruption und inszenierten sich als schroffe Gegensätze. Figueres betonte durch seine politische Erfahrung der perfekte Krisenmanager zu sein. Chaves gab sich als Mann des Volkes mit ökonomischer Expertise, der nicht dem korrupten Establishment des Landes entstammt.

Dieses kontrovers inszenierte Aufeinandertreffen täuschte nur darüber hinweg, dass inhaltlich und programmatisch zwischen die beiden Kandidaten kaum ein Blatt passt. Beide kündigten an, den unter dem scheidenden Präsidenten Alvarado seit 2018 eingeschlagenen harschen neoliberalen Reformweg fortzusetzen. Beide versprachen Unternehmen zu entlasten, den Privatsektor zu stimulieren, den öffentlichen Sektor zu entbürokratisieren und Teile der staatlichen Monopole anzugreifen. Während Chaves jedoch ankündigte, den Kampf gegen die Korruption und die grassierende Steuerhinterziehung zu einer Priorität zu machen, wurden diese beiden Themen von Figueres weitgehend ausgespart.

Mit Chaves droht ein konservativer Rückfall

Auch in gesellschaftspolitischen Fragen stehen sich die Präsidentschaftskandidaten nahe. Beide suchten im Wahlkampf die Nähe zu den Evangelikalen, zu denen sich mittlerweile rund ein Viertel der Bevölkerung bekennt, und die damit ein bedeutender Machtfaktor sind. So haben sich beide klar gegen die „Gender-Ideologie“ oder eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ausgesprochen. Chaves unterzeichnete am 25. März sogar eine Übereinkunft mit der erzkonservativen evangelikalen Gruppierung Foro Mí País. In dieser verspricht er, mit der evangelikalen Kirche zusammenzuarbeiten und ihr „Führungspositionen in den Bereichen der Bildung, Gesundheit und Außenbeziehungen“ zu überlassen. Unter Präsident Alvarado wurden die gleichgeschlechtliche Ehe rechtlich gleichgestellt und die Abtreibungsparagrafen überarbeitet, jedoch nicht liberalisiert. Nach diesen gesellschaftspolitisch progressiven Reformen könnte nun unter Chaves ein konservativer Rückfall drohen.

Nur noch sechs linke Abgeordnete im Parlament

Chaves wird im costa-ricanischen Einkammerparlament mit anderen Parteien zusammenarbeiten müssen. Seine PSD erreichte zwar aus dem Stand zehn von 57 Parlamentssitzen, stellt damit aber nur die zweitgrößte Fraktion im Parlament. Nominell dürfte eine Regierungsbildung jedoch kein Problem werden. Einzig eine Zusammenarbeit mit der linken Frente Amplio scheint ausgeschlossen. Nach einer historischen Wahlniederlage der bisherigen Regierungspartei Partido Acción Ciudadana (Bürgeraktionspartei, PAC), die nicht mehr im Parlament vertreten sein wird, werden die sechs Abgeordneten der Frente Amplio die einzigen Vertreter*innen des linken Spektrums sein. Alle anderen Parteien begrüßen neoliberale Reformen in mehr oder weniger starkem Umfang. Mit 19 von 57 Abgeordneten wird die PLN von Präsidentschaftskandidat Figueres der wichtigste Machtfaktor im costa-ricanischen Parlament sein. Ob sie nach den scharfen Attacken durch Chaves im Wahlkampf zu einer Zusammenarbeit mit ihm bereit ist, wird sich zeigen.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren