Nicaragua | Nummer 217 - Juli 1992

Nicht die Homosexuellen sind pervers…

Was haben Homosexualität, Vergewaltigung und Sodomie miteinander zu tun? Die Logik von rechten MoralistInnen ist genauso einfach wie verheerend falsch: Alles was pervers ist, muß bestraft werden. Gleichzeitig mit einer Strafverschärfung für Vergewaltigung wurde am 11. Juni vom nicaraguanischen Parlament ein sogenanntes “Sodomie”-Gesetz gegen Homosexuelle verabschiedet. Die nicaraguanische Lesben- und Schwulenbewegung organisierte sofort den Protest. Unterstützung bekommen sie von Teilen der Presse, von der FSLN und aus dem Ausland.

Karin Gabbert, Stefan Rosowski

Brutale Morde und der sexuelle Mißbrauch an Mädchen hatten In den letzten Monaten die Schlagzeilen in Nicaraguas Medien bestimmt. Dank der Initiative verschiedener Frauengruppen wurde dem nicaraguanischen Parlament daraufhin eine Gesetzesvorlage präsentiert, die eine Reform des Artikels 205 des Strafgesetzbuchs vorsieht. Die Strafe für Vergewaltigung soll auf bis zu 12 Jahren Haft verschärft werden. Zudem stellt die Vergewaltigung nun eine Straftat des öffentlichen Rechts dar.Das bedeutet, daß die Justiz das Delikt von Amts wegen verfolgen muß, auch wenn das Opfer die Klage zurückziehen sollte.
Am Tage der Abstimmung kam es dann jedoch zu einer dicken Überraschung. Der ehemalige Bürgermeister von Managua, Moises Hassan (parteilos) und die ehemalige Parlamentspräsidentin Miriam Arguello (U.N.O.) fügten diesem Reformpaket einen Passus bei, der eine Verfolgung von Homosexuellen vorsieht. Er besagt: “Eine Person ist des Verbrechens der Sodomie schuldig, wenn er oder sie Sexualkontakte zwischen Personen gleichen Geschlechts anregt, fördert, propagiert oder in skandalöser Weise praktiziert.” Die Gefängnisstrafe liegt zwischen 1-3 Jahren, für Personen, die irgendeine Aufsichtspflicht besitzen (LehrerInnen) zusätzlich 2-4 Jahre.
43 Abgeordnete der regierenden U.N.O.-Allianz stimmten für diese Gesetzesvorlage, zwei lehnten sie ab, während die gesamte sandinistische Fraktion (39) dagegenstimmte. Im Radio “La Primerísima” erklärte daraufhin ein Mitglied einer Schwuleninitiative, daß sie die Namen von homosexuellen Regierungs- und Parlamentsmitgliedern outen (veröffentlichen) würden, falls das Gesetz in Kraft trete. Gleichzeitig baten Schwulen- und Lesbengruppen Amnesty International um Hilfe – AI hatte im vergangenen Jahr alle wegen Homosexualität verfolgten Häftlinge zu Gewissensgefangenen erklärt – und riefen internationale Gruppen auf, bei Präsidentin Chamorro gegen das Gesetz Protest einzulegen und sie aufzufordern, von ihrem Veto-Recht (bis zum 11. Juli / siehe auch Dokumentation) Gebrauch zu machen. Internationaler Druck ist hier von Bedeutung, da sich die Präsidentin sonst kaum auf einen weiteren Konflikt zwischen ihrer Regierung und der U.N.O.-Allianz einlassen wird.
Die nicaraguanische Schwulen- und Lesbenbewegung, die erst nach der sandinistischen Revolution entstehen konnte, ist in den letzten Jahren zu einer der offensivsten in Zentralamerika geworden. In den anderen Ländern mit der Ausnahme Costa Rica sind Homosexuelle ohne Schutz einer Bewegung und damit praktisch unsichtbar. 1986 trat die damalige nicaraguanische Gesundheitsministerin Dora María Tellez an ein Kollektiv von Lesben und Schwulen heran, um sie für die Mitarbeit bei der staatlichen AIDS-Aufklärung zu gewinnen. Dies nutzte das Kollektiv, um nicht nur über AIDS aufzuklären, sondern auch über die Normalität von Homosexualität. Und am 19. Juli 1989, zum 10. Jahrestag der sandinistischen Revolution, bildeten sie einen Lesben- und Schwulenblock auf der Demonstration. Nach der Wahlniederlage der FSLN 1990 gründeten sie aufgrund der befürchteten Ablehnung durch die neue Regierung die Zentren “Nimehuatzin” und “Xochiquetzal” – Treffpunkte für Diskussionen, Workshops, Vorträge, Weiterbildung und auch gynäkologische Beratung für Lesben. Obwohl sie während der sandinistischen Regierungszeit z. T. auch verschiedene Formen der Diskriminierung erfahren mußten, hatten sie Auseinandersetzung nie aufgegeben. Der “Erfolg” scheint ihnen Recht zu geben, wie die einstimmige Ablehnung des Gesetzes durch die FSLN sowie der prosandinistischen Medien zeigt. Die Zeitung Barricada bezeichnete das Gesetz als eine Neuauflage der Hexenjagd. Am 18. Juni eröffnete eine “Gruppe für vorurteilsfreie Sexualität” eine Kampagne, mit der sie die Diskussion über Abtreibung, AIDS, Frauenrechte und Rechte von Lesben und Schwulen fördern wollte. In ihrer vergnüglichen und volksnahen Art, die sie bei der jahrelangen AIDS-Aufklärung entwickelt haben, sollten Bananen wie Kondome verteilt werden. Zum Üben…
Durch das neue Gesetz könnten solche Kampagnen verboten werden. Selbst das Vermieten einer Wohnung an Homo-Paare ist strafbar. Eine der progressivsten Schwulen- und Lesbenbewegung Lateinamerikas erlitt am 11. Juni 1992 einen schweren Rückschlag.

Gedicht von Guadalupe Sequeira aus einer feministischen Lesbengruppe

Y Soy
Me conocen?
Cómo soy?
Una pájara volando
una embarcación navegando
una abeja
una mujer
lloro y soy,
río y soy
bailo y soy
comparto y soy,
canto y soy,
escribo y soy,
converso y soy,
leo y soy,
escucho y soy,
comprendo y soy
amo a otra mujer
y soy.

Und ich bin
Kennt Ihr mich?
Wie bin ich?
Eine fliegende Schwalbe
ein segelndes Boot
eine Biene
eine Frau
ich weine und bin,
ich lache und bin,
ich tanze und bin,
ich teile und bin,
ich singe und bin,
ich schreibe und bin,
ich rede und bin,
ich lese und bin,
ich höre und bin,
ich verstehe und bin,
ich liebe eine Frau
und bin.

Übersetzung: Nicole Schenda, aus der Broschüre: Frauenbewegung in Nicaragua …und keinen Schritt zurück! von der Nicaragua-Frauengruppe Hamburg

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