Musik | Nummer 315/316 - Sept./Okt. 2000

Offene Signale zweier Sambameister

Die erste gemeinsame CD der brasilianischen Musiker Paulinho da Viola und Toquinho

Heidi Michel

Dreißig Jahre musste es dauern, bis die beiden Sambamusiker Paulinho da Viola und Toquinho wieder gemeinsam auf der Bühne standen. Mitte September letzten Jahres begeisterten sie im vollbesetzten Theater João Caetano in Rio de Janeiro das Publikum. Als Live-Mittschnitt liegt nun die Doppel-CD Sinal aberto (Offenes Signal) vor. Sie ist mit ihren 25 Titeln das Dokument einer der schönsten Momente der musica popular brasiliera des Jahres 1999.

Die zwei Sambistas

Paulinho da Viola, 1942 geboren, gehört zu den innovativen Komponisten aus Rios Stadtteil Estácio, der Wiege des Samba und er gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des Samba der letzten 30 Jahre. Er verließ die Escola de Samba „Portela“, als für ihn die Kommerzialisierung des Samba im Karneval einsetzte. Ihm blieben die kulturellen Werte wichtiger als die kommerziellen. 1975 gründete er die Escola de Samba „Quilombo“, die nicht im Sambodrom auftritt, sondern in der Nähe des Vereinslokals.
Seine Musik wird mit traditionellen Instrumenten gespielt: der Gitarre, dem Cavaquinho, ein vierseitigens Ukelele-artiges Instrument, dem Pandeiro und Tamborim. 1969 gewann Paulinho mit Sinal fechado (Warnsignal) das Musikfestival von TV Record. Später, während der Miltärdiktatur griff Chico Buarque in einem Album auf das klug verschüsselte Stück „Sinal Fechado“ als Titelsong von Paulinho zurück. Paulinhos Lieder stehen für klare, wohlgestaltete Texte voller Gefühl, vermeiden aber jegliche Sentimentalität.
Toquinho (sein richtiger Name ist Antonio Petti Filho) – Sänger, Komponist und begnadeter Gitarrist – ist vier Jahre jünger als Paulinho. Er wurde unter anderem von Baden Powell beeinflusst und verband die Techniken der klassischen Gitarre mit dem Beat João Gilbertos und dem brasilianischen Swing.
Über die CD sagt Paulinho: „Ich fühlte wie Toquinho und wir haben Stücke aufgenommen, die wir seit 30 Jahren mögen. Dann als sich das Ereignis zu konkretisieren begann, haben wir zärtlich jede Melodie ausgewählt.“ Dabei ist „Caso encerrado“ die erste gemeinsame Komposition. Der Text beschreibt die Leiden des Verlustes einer großen Liebe und die neu begleitende Einsamkeit wird in der Fröhlichkeit eines Samba kompensiert. Ein unfehlbares Rezept für den, der in Samba und Liebe zu leben denkt:

Caso encerrado
Wie viel Zeit, ich kann es nicht sagen,
so viel Schmerz, ich kann ihn nicht zählen
ich erinnere mich nur an die Einsamkeit, die ich verbrachte,
als ich sah mein Schloss einstürzen
weit weg war ich
hatte Sehnsucht nach einem Kuss
mein Leben ist besser so
ich warte auf den Moment
neu zu leben
mit der Liebe , die in mir zurückblieb.

Du sagtest, dass du nicht zurückkehren würdest
und um nicht deine Entschuldigung abzuwarten
habe ich heute Gründe an deinen Versprechungen zu zweifeln
die du gemacht hast
um nicht enttäuscht zu sein
trage ich mein Inneres verborgen
ich möchte nur in Frieden leben
unsere Liebe ist schwer
also ein abgeschlossener Fall
ohne ein zurück.

Die Doppel-CD ist ein musikalischer und instrumenteller Hochgenuss. Und nun sollten alle tun, was die Zeitschrift Raça über die BrasilianerInnen schreibt, die diesem legendären Konzert nicht beiwohnen konnten: „Quem nâo estava lá, corra até a loja mais proxima“ – was bedeutet, so schnell wie möglich den nächsten CD-Laden aufzusuchen…

Toquinho e Paulinho da Viola: Sinal Aberto. Live am 14./15. 9. 1999, Doppel-CD, 7432171503-3, www.bmg.com.br

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