Literatur | Nummer 404 - Februar 2008

Party und Paranoia

n seinem Roman Unten sind ein paar Typen vermag Antonio Dal Masetto die atmosphäre allgegenwärtiger bedrohung mit sparsamen Mitteln zu evozieren

Katharina Wieland

Pablo geht es gut. Er kommt gerade vom Einkaufen zurück, liest gemütlich Zeitung, schaut dann die WM-Partie Brasilien – Italien im Fernsehen an. Um ihn herum fiebert ganz Buenos Aires dem WM-Finale am kommenden Tag entgegen. Dann kommt seine Freundin Ana vorbei. Und plötzlich ist alles anders, denn, wie Ana nervös mitteilt: „Unten sind ein paar Typen.“
Unten sind ein paar Typen ist auch der Titel von Antonio Dal Masettos neuestem Werk. Es führt die LeserInnen mitten hinein in die beständig wachsenden Zweifel des Protagonisten über seinen Status im Argentinien der Diktatur Ende der 1970er. Wird er beobachtet? Steht er als Journalist auf einer schwarzen Liste? Hat er etwas geschrieben, was Argwohn erregt hat? Pablo ist sich sicher, keinen Anlass für derartige „Aktionen“ gegeben zu haben – eigentlich. Denn gleichzeitig weiß er, als kritischer Beobachter der grausamen Geschehnisse während der Militärdiktatur, selbst genau, dass herkömmliche Vorstellungen von Ordnung und Integrität unter den herrschenden politischen Verhältnissen nicht mehr greifen. Also werden für Pablo die Typen zur Obsession und langsam schleicht sich Unsicherheit in seine Weltwahrnehmung ein: das Telefon, das mal funktioniert, mal nicht, die sporadischen Stromausfälle – was bislang völlig normal war, scheint plötzlich verdächtig. Pablo versucht, sich unauffällig zu verhalten und registriert bei seinen Gängen durch die Stadt, was nicht ins alltägliche Bild passt. Seite um Seite verwandelt sich Buenos Aires in einen Ort der Bedrohung. Pablos Freunde gehen plötzlich auf Distanz zu ihm, in seiner Beziehung kriselt es. Der Autor folgt seinem Protagonisten auf seinen Wegen durch Buenos Aires auf Schritt und Tritt. Mit einfachen, sparsamen sprachlichen Mitteln beschreibt er treffend Pablos innere Anspannung. Parallel dazu wächst die Spannung in Pablos Umgebung, wenn sie auch völlig anderer Natur ist. Die Begeisterung der Fußballfans nimmt auf den 146 Seiten des Kurzromans stetig zu und gipfelt schließlich in der Siegeseuphorie des gewonnenen WM-Finales von 1978. Dieser Höhepunkt ist gleichzeitig der Gipfel von Pablos innerer Einsamkeit. Und seiner Angst: „Es war, als hätte er zum ersten Mal in seinem Leben Angst. Oder als kämen sämtliche Ängste seines Lebens auf einmal an die Oberfläche und bündelten sich in diesem Moment zu einer einzigen.“ Antonio Dal Masetto versteht es meisterhaft, die Atmosphäre allgegenwärtiger Bedrohung in eine kurze, spannende literarische Form zu bringen. Er erklärt nichts, deutet nichts. Sein Protagonist Pablo wird zur Projektionsfläche, auf der sich die Auswirkungen der Gewaltherrschaft abbilden. Er ist schließlich ihr Opfer, gleichwohl offen bleibt, ob „die Typen da unten“ nun eigentlich wegen ihm da waren.

Antonio Dal Masetto // Unten sind ein paar Typen // Rotpunktverlag // Zürich 2007 // 16 Euro

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