Kolumbien | Nummer 293 - November 1998

Pastrana in der Zwickmühle

Willensbekundungen der Regierung fehlen erfolgversprechende Strategien für Friedensverhandlungen

Ein Entgegenkommen der FARC läßt trotz Einlenken der Regierung auf sich warten und die ELN wird weiterhin von der Regierung für Gespräche herangezogen. Das größte Problem für Präsident Pastrana bildet momentan der Umgang mit den Paramilitärs. Diese wollen unter Gewaltandrohung an kommenden Gesprächen teilnehmen, was aber von der Guerrilla strikt abgelehnt wird. Die Regierung müßte somit einem Balanceakt vollziehen.

Johannes Metzler

Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), der größten Guerillaorganisation des Landes, sind in greifbare Nähe gerückt. Innerhalb der kommenden Wochen wird die wichtigste Vorbedingung der Rebellen erfüllt sein: Präsident Andrés Pastrana Arango wird die Armee anweisen, fünf Munizipien im Süden des Landes vollständig zu räumen. Damit wächst die Hoffnung auf einen Dialog ohne Waffen in dem von Gewalt gebeutelten Land – mit gutem Willen allein ist der aber nicht zu erreichen. Während paramilitärische Gruppen drohen, die Verhandlungen mit Gewalt zu stören, haben die FARC bislang nur Forderungen gestellt, ohne Zugeständnisse zu machen. Die Friedensbemühungen der ELN (Nationale Befreiungsarmee), erhalten hingegen von Pastrana bislang wenig Aufmerksamkeit. Krieg oder Frieden in Kolumbien hängen davon ab, ob der Präsident eine behutsame Gesamtstrategie entwickeln wird, um das Land zur Versöhnung zu führen.
Großspurig gab Ramón Isaza, Kommandant und zweiter Kopf der Vereinten Selbstverteidigungstruppen Kolumbiens AUC (Auto-defensas Unidas Columbianas) gegenüber der Tageszeitung El Espectador bekannt, die Regierung habe sich der Guerilla zu Füßen geworfen – gemeint sind die erheblichen Zugeständnisse des Präsidenten an die mächtigen FARC. Die Botschaft Isazas ist eindeutig: Entweder der paramilitärische Terror der AUC wird ebenfalls als politischer Kampf anerkannt und seine Organisation mit der Guerilla gleichgestellt, oder bewaffnete Gruppen werden ver-suchen, die Verhandlungen mit den Rebellen gewaltsam zu stören.
Pastranas Politik ist mit derartigen Ankündigungen kaum gefährdet. Er genießt breite Unterstützung für seinen Kurs und hat neben dem angekündigten Truppenabzug, durch den eine Verhand-lungszone für Gespräche mit den FARC geschaffen werden soll, sogar einen Gefangenenaustausch zwischen Guerilleros und von den Rebellen festgehaltenen Soldaten und Polizisten in Aussicht gestellt. Sein wichtigster Gegner, der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Führer der liberalen Partei Horacio Serpa Uribe, welcher sich im Wahlkampf selbst als Verfechter des Dialogs angepriesen hatte, erklärte, daß Kolumbiens wichtigstes Ziel der Frieden sei: „Darum hat die Regierung unsere vollständige Solidarität für ihre Anstrengungen, Versöhnung und Verständigung herzustellen.“
Ähnlich bedingungslose Unterstützung kommt von Seiten der Armee. Ihr Oberkommandierender, General Fernando Tapias Stahelin, bekräftigte erst kürzlich, daß der Frieden keinesfalls an den Streitkräften scheitern wird.

Bittere Erfahrungen der Vergangenheit

Trotz allem machte die Drohung Isazas erneut klar, wie schwierig der bevorstehende Friedenspro-zeß werden wird. Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien hat in den letzten Jahren unter anderem deswegen an Intensität gewonnen, weil zur Auseinandersetzung zwischen Staat und Guerilla die paramilitärischen Banden als dritter unübersehbarer Machtfaktor hinzugekommen sind. Mit ihnen kann die Regierung keine Verhandlungen aufnehmen, da dies das sofortige Ende der in Kürze beginnenden Gespräche mit den FARC zur Folge hätte. Diese fordern von der Regierung ein unerbittliches Vorgehen bei der Bekämpfung der Privatjustiz-Gruppen. Ohne deren Auflösung wird zudem keine Guerillaeinheit ihre Waffen abgeben: Zu bitter waren die Erfahrungen mit der Wiedereingliederung der Rebel-lengruppe M-19 Ende der acht-ziger Jahre unter dem damaligen Präsidenten Belisario Betancur. Unzählige AnhängerInnen und politische FührerInnen dieser demobilisierten Guerilla wurden nach und nach Opfer einer dramatischen „Säuberungswelle“, durchgeführt von rechten Todesschwadronen.
Eine politische Anerkennung der paramilitärischen Privatarmeen ist zudem kaum denkbar, da diese laut Menschenrechtsorgani-sationen für die überwiegende Anzahl der Menschenrechtsverletzungen – vor allem selektive Massaker in der Zivilbevölkerung gegen vermeintliche Guerilla-un-terstützerInnen – verantwortlich sind. Nach Informationen der Vereinten Nationen wurde ein Drittel des Binnenflüchtlingsstroms in Kolumbien durch ihre Greueltaten ausgelöst.

Fehlende Entschlossenheit

Angesichts des Ausmaßes des Problems hätte auch eine militärisch-juristische Offensive des Staates wenig Aussicht auf Erfolg, zumal die „Paras“ insbesondere im Militär mächtige Verbündete haben, für die der paramilitärische Terror gegen die Landbevölkerung eine unkonventionelle und „erfolgreiche“ Art der Guerillabe-kämpfung darstellt. Anführer und Teilnehmer der Massaker sind in Kolumbien durchaus keine Unbekannten: Die Staatsanwaltschaft hat insgesamt rund 600 Haftbefehle gegen mutmaßliche Para-militärs ausgestellt – tatsächlich verhaftet wurde bis jetzt aber nur der kleinste Teil der Beschuldigten. Die Verstrickungen zwischen Personen aus Militär- und Justizapparat mit den Privatarmeen gehen soweit, daß den „Selbst-justizgruppen“ offenbar die kompletten Suchlisten der Behörden zugespielt wurden.
Pablo Beltrán, einer der Sprecher der Guerillagruppe ELN, warf Pastrana vor, an der Politik seines Amtsvorgängers Ernesto Samper Pizano in Bezug auf die Paramilitärs nichts geändert zu haben: Der Wechsel in der Militärführung, den der frisch vereidigte Pastrana Anfang August vorgenommen hatte, brachte laut Bel-trán erneut Offiziere an die Spitze, die mit den Paramilitärs in Verbindung stehen. Konkret beschuldigte er unter anderem Ge-neral Jorge Enrique Mora Rangel, Kommandant des Heeres, und General Rafael Hernández López, Chef des Generalstabs der Streitkräfte.
Präsident Pastrana und sein Hochkommissar für den Frieden Victor G. Ricardo haben sich offenbar für ein schrittweises Taktieren entschlossen. Letzterer antwortete auf die Drohung Isazas, man sei wohl bereit, mit den AUC zu reden, aber nicht an einem Tisch mit der Guerilla. Man werde die Paramilitärs im Rahmen von „dem Staat eigenen Instrumenten“ zum Gespräch rufen – was das genau heißen soll, weiß derzeit wahrscheinlich nicht einmal Ricardo selbst. Pastrana hat den Vizepräsidenten Gustavo Bell, eine politische Gestalt, die im politischen Alltag kaum präsent ist, beauftragt, innerhalb von drei Monaten ein Programm für eine „dauerhafte staatliche Politik gegen paramilitärische Gruppen“ zu erarbeiten. Das Dilemma des Präsidenten ist, daß er – vor allem gegenüber der Guerilla – nicht tatenlos wirken darf, sich aber de facto keine direkte Konfrontation mit den „Paras“ leisten kann.

Spielen die FARC mit offenen Karten?

Die FARC hingegen werden aus einer Position der Stärke heraus in die Verhandlungen gehen. Sie haben bis jetzt – außer der Bereitschaft zu Gesprächen, sofern die fünf Munizipien tatsächlich geräumt werden – noch kein deutliches Zeichen des guten Willens gesetzt, wie etwa die ELN, welche in den letzten Wochen mehrere entführte Bürgermeister freigelassen haben. FARC-Chef Manuel Marulanda Vélez („Tirofijo“) will offenbar die Gunst der Stunde nutzen, um die in den vergangenen Monaten systematisch als „Kriegsgefangene“ entführten Soldaten und Polizisten gegen Guerilleros einzutauschen – allerdings nicht im Verhältnis eins zu eins: Die 245 Männer, die sich in der Gewalt der FARC befinden, sollen 450 FARC-Anhängern, darunter wichtige ideologische und militärische Anführer, die Freiheit zurückgeben.
Für großen Unmut hat außerdem in der Öffentlichkeit die Behauptung des zweiten Mannes der FARC, Jorge Briceño („Mono Joyjoy“) gesorgt, der bestritten hatte, daß die Guerillagruppe zivile Geiseln genommen habe. Diese Aussage wird von Analysten als unwahr betrachtet. Ferner fehlen nach Angaben der Regierung 30 Namen von verschwundenen Soldaten auf den Listen, welche „Tirofijo“ der Regierung hat zukommen lassen.

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