Guatemala | Nummer 246 - Dezember 1994

Politische Einmischung unerwünscht

Studentische VertreterInnen aus Guatemala in Berlin

Wenn sich Studierende in Guatemala politisch engagieren, dann gehen sie ein hohes Risiko ein: Staatliche Repression setzt sich auch unter zivilen Regierun­gen fort. Doch trotz ihrer leidvollen Geschichte mischt sich die guatemalteki­sche Stu­dentInnenbewegung nach wie vor in die Tagespolitik ein. Rebeca, Cecil und Víctor, StudentInnen der Universidad San Carlos, waren im Otto-Suhr-Institut der Freien Universität zu Gast, um über ihren Alltag und ihre politische Arbeit zu berichten.

Evangelia Wasdaris, Valentin Schönherr

Im Vergleich zu den privaten Universitä­ten ist es preiswert, an der staatlichen Universidad San Carlos zu studieren: 1,50 DM Studiengebühren monatlich, bis zu 70 DM für Bücher und Arbeitsmittel, allge­mein recht niedrige Lebenshaltungs­kosten.
Aber für die meisten Menschen sind die Kosten jedoch eine so große Hürde, daß sich an der Universität nur die kleine Schar derer zu­sammenfindet, deren Eltern ihnen das Studium bezahlen können. Das sind ganze 0.7 Prozent der Bevölkerung. 55 Prozent aller GuatemaltekInnen sind von höherer Bildung ausgeschlossen, da ihnen nicht einmal zugestanden wird, Lesen und Schreiben zu lernen. Wer zum Rest ge­hört, darf nicht aus einer normalen campesino-Familie stammen, denn die ge­ringe Studiengebühr von einer Mark fünf­zig ist der Tageslohn eines Landar­beiters, der Wert eines Fachbuchs ent­spricht schon einem Monatslohn. Außerdem wer­den alle arbeitsfähigen Fa­milienmitglieder zum Geldverdienen gebraucht.
In ganz Guatemala studieren etwa 82.000 Menschen, die Hälfte davon in der Haupt­stadt. An den vier privaten Universitäten, die Studiengebühren zwischen 70 und 300 Mark monatlich erheben, sind 9.000 Stu­dierende eingeschrieben. Und wer die fi­nanziellen Möglichkeiten hat, studiert im Ausland. Das sind jedoch verhältnismäßig wenige.
Glücklich also, wer sich einen Platz an der San Carlos leisten kann. Aber die Zu­gangsbedingungen zur Universität sind nicht das einzige, was die Lage deutscher StudentInnen von der eines Studierenden in Guatemala un­terscheidet. Für uns ist es normal, daß sich Studierende politisch artikulieren können; von den Fach­schaftsinitiativen bis zum Streiksemester ist alles dabei. Vielmehr ist deutlich, daß sich die meisten hier nicht engagieren wollen. In Guatemala dürfen sie nicht, je­denfalls nicht so, wie sie wollten.
Politisches Engagement ist ein Wagnis
Zu diesem Thema war kürzlich Genaueres zu erfahren: Am 2. November waren drei studentische VertreterInnen aus Gua­temala am Berliner Otto-Suhr-Institut der Freien Universität zu Gast und berichteten ausführlich über Geschichte und Situation politischer Mitwirkung von Studierenden in ihrem Heimatland. Rebeca, Cecil und Víctor – drei junge Menschen, an das Re­den in der Öffentlichkeit gewöhnt, erfah­ren und kompetent, könnten genauso gut einer hiesigen studentischen Gruppierung angehören. Aber nach und nach wurde deutlich, was es dort heißt, politisch zu arbeiten. Es kann das Leben kosten.
Alle Studierenden in Guatemala sind au­tomatisch Mitglieder der Asociación de Estudiantes Universitários (AEU), dem StudentInnenverband. Sie wählen alle zwei Jahre ein Generalsekretariat, be­stehend aus vier Mitgliedern. Für viele Themen wie inneruniversitäre, nationale und internationale Fragen, Umwelt, Frauen, Kultur usw. gibt es Arbeitskom­missionen; dazu kommen 29 Fachbe­reichsräte. Die politische Orientierung der AEU (hier also: der VertreterInnen in den Gremien) hängt vom Wahlverhalten der Studierenden ab, jedoch – so Víctor – wurde in den letzten 30 Jahren immer links gewählt.
Die AEU zählt zu den Organisationen im Land, die sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder politisch eingemischt ha­ben. Eine politisch motivierte StudentIn­nenbewegung gab es an der viertältesten Universität Lateinamerikas schon um die Jahrhundertwende. 1920 wurde die AEU gegründet und war von Anfang an ein wichtiges Element bei sozialen Bewegun­gen, so daß sie von Jorge Ubico, Diktator in Guatemala von 1932 bis 1944, kurzer­hand aufgelöst wurde. Die sogenannte Oktoberrevolution vom 20.10.1944 er­möglichte ihr die Neugründung. Und in den zehn folgenden Jahren der Reform war die AEU eine einflußreiche Kraft, Jurastudenten wirkten am Landreformpro­gramm mit, und auch Regierungsmitglie­der gingen aus der AEU hervor.
Aber der Putsch von rechten Militärs und des CIA im Jahre 1954 erstickte neben allen anderen Reformkräften auch die StudentInnenbewegung: Ermordungen, Ver­haf­tungen und Exil waren an der Ta­gesordnung, und der politische Winter zwang dazu, die Organisation unter re­pressiven Bedingungen neu aufzubauen. Erst in den sechziger Jahren konnten sich AEU-VertreterInnen wieder zu Wort mel­den. Damals ging es vor allem um soziale Forderungen und Öffentlichkeitsarbeit. Die StudentInnenbewegung bekam in den Siebzigern großen Auftrieb, der durch den Mord an AEU-Chef Oliverio Castañeda de León am 20.10.1978 einen brutalen Einschnitt erlitt. Seither nennt sich die AEU nach ihm.
Die Repressionen nahmen während der Präsidentschaft von Lucas García (1978-82) und von Rios Montt (1982-83) stark zu. Bis Mai 1984 war die gesamte Lei­tungsebene der AEU beseitigt worden, 3.000 Mitglieder der Universität waren ermordet, “verschwunden” oder im Exil.
Die Repression dauert auch nach der Diktatur an
Erst unter den Zivilregierungen seit 1986 änderte sich wenigstens die offizielle Haltung der Machthaber zur AEU. Im an­geblichen Demokratisierungsprozeß konnten die AEU-AktivistInnen nicht mehr so pauschal diskriminiert und nicht mehr unter den Augen der Öffentlichkeit verfolgt werden. Dennoch gab und gibt es immer wieder gewaltsame Übergriffe auf politisch engagierte Studierende. 1989 wurden zehn MitarbeiterInnen der AEU entführt – vier von ihnen fand man später tot auf, und von den anderen fehlt noch jetzt jede Spur. Erst vor kurzem, Anfang Oktober dieses Jahres, wurde ein AEU-Funktionär bedroht, der eine Landbesetze­rInnengruppe mitorganisieren wollte; er wurde geschlagen, man besprühte ihn mit Tränengas und fügte ihm Schnittverlet­zungen im Gesicht zu. Dies geschah in der Hauptstadt, nahe der Universität.
Die AEU vermochte ihre Arbeits- und Artikulationsformen dennoch zu ändern, denn ab Mitte der 80er Jahre konnte die “Politik der verbrannten Erde”, des bedin­gungs- und rücksichtslosen Kampfes von Militär und Todesschwadronen gegen jede Form von Opposition nicht mehr auf­rechterhalten werden.
Seither ist die AEU auf zwei großen Ge­bieten tätig. Sie kümmert sich zum einen um inneruniversitäre Angelegenheiten, um die Rechte von Studierenden, um Frieden an der Universität und vernünftige Aus­bildungsbedingungen. Zum anderen ar­beitet sie am Demokratisierungs- und Friedensprozeß mit.
Im Mai 1993 erreichte die AEU einen großen Erfolg, als sie mit vielen anderen Reformkräften auf die Straße ging und Präsident Jorge Serrano Elias zum Rück­tritt zwang, der mir seinem Selbstputsch eine Staatskrise hervorgerufen hatte.
Die AEU ist Mitglied in einem der Dach­verbände der Volksorganisation Unidad de Acción Sindical Popular (UASP) und sitzt im Kreis der zivilen Vereinigungen, die als eine Art Beratergremium die Frie­densverhandlungen zwischen URNG und Regierung begleiten. Dort können sie auch ihre Vorstellungen für einen Frieden in Guatemala einbringen können. Leider, so beklagten sich die drei Studierenden, werde dieses Gremium viel zu wenig in den Verhandlungsprozeß einbezogen, es ginge da eher um ein Alibi…
Sie betonten, daß nach Meinung der AEU ein Frieden noch nicht automatisch mit dem Ende des Krieges erreicht sei. Dieser könne nur dann entstehen, wenn die vielen Fragen, an denen sich der Konflikt seit Jahrzehnten entzündet, ernsthaft angegan­gen werden.

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