Literatur | Nummer 306 - Dezember 1999

Professioneller Nostalgiker

Das Porträt eines einflußreichen und engagierten Schriftstellers, des vor kurzem verstorbenen Rafael Alberti

Dichter des Meeres, Poet der Straße, Maler, Kommunist und spanischer Langzeitexilant. Rafael Alberti starb am 28. Oktober im andalusischen Städtchen Puerto de Santa María, wenige Wochen vor seinem 97. Geburtstag. Als konsequenter Linker und engagierter Literat lebte er die Aufbruchstimmung der spanischen Republik, der jungen Sowjetunion und der kubanischen Revolution, litt den spanischen Bürgerkrieg, die Verfolgung durch Franquisten und Faschisten und verbrachte fast 40 Jahre im Exil in Uruguay, Argentinien und Italien.

Brigitte Müller

Ich ging mit erhobener Faust und kehre zurück mit offener Hand als Zeichen der Versöhnung.“ Mit diesen Worten begrüßte Rafael Alberti im April 1977 sein geliebtes Spanien. Zwischen der erhobenen Faust und der ausgestreckten Hand lagen 38 Jahre Exil, ständiges Warten auf die Rückkehr in ein freies Land, Jahre des Heimwehs und der Verklärung, die Augen immer auf die Bucht von Cádiz gerichtet.
Das Regime Francos und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatten den Dichter mit 36 Jahren an die Ufer des Río de la Plata gespült, ein Schicksal, das er mit unzähligen Intellektuellen, Juden und anderen Verfolgten teilte. Rafael Alberti war längst ein angesehener Dichter mit eineinhalb Dutzend veröffentlichter Bücher, der in regem Kontakt mit lateinamerikanischen Autoren stand, als er in Südamerika aufgenommen wurde. Bevor er sich mit seiner Frau, der Schriftstellerin María Teresa León, im bonarenser Stadtteil Palermo niederließ, machte er Station in der Provinz Córdoba und im uruguayischen Punta del Este. Er bekam schließlich einen Paß, mit dem er trotz eingeschränkter Gültigkeit für Argentinien und Uruguay vor allem nach Osteuropa reiste.
Jorge Luis Borges, Pablo Neruda und der Spanier Pablo Picasso gingen bei ihm ein und aus, Nicolás Guillén, Nicanor Parra und Julio Cortázar; wen Alberti nicht in Buenos Aires traf, den lernte er in Kuba, Europa oder Chile kennen, auf jenen Reisen, die ihn lange Zeit nicht nach Spanien führten.
Bevor er sich entschied, aus dem Schreiben seinen Beruf zu machen, wollte Alberti eigentlich Maler werden. 1922 stellte er einige Gemälde mit kräftigen Pinselstrichen und bunten Farben im Ateneo von Madrid aus. Damals wohnte er schon nicht mehr in Puerto de Santa María, schaute schon nicht mehr in die Bucht von Cádiz, aus der er nach eigenen Worten seine Inspiration und sein Wesen schöpfte. Als er 1924/25 mit seinem Gedichtband Marinero en Tierra (deutsch: Zu Lande, zu Wasser) den spanischen Nationalpreis für Literatur erhielt, begann seine Karriere mit der Melodie der Worte, obwohl er den Pinsel der Farben nie endgültig beiseite legte und sich vor allem in Argentinien die Sehnsucht nach Andalusien von der Seele malte. Im Madrid der 20er und 30er Jahren sucht er nach neuen lyrischen Formen auf der Basis von Tradition, in den „neovolkstümlichen“ Gedichten seines ersten Bandes, in dem er mit poetischer Klarheit die Vielfalt des Meeres zum Wogen bringt, im Surrealismus und der engagierten Dichtung, gemeinsam mit Federico García Lorca, Dámaso Alonso oder Ernest Hemingway, mit Luís Buñuel oder Salvador Dalí. Der Lieblingsbeschäftigung der spanischen Kritiker, ihre Künstler nach Generationen zu katalogisieren, kommt 1927 eine Hommage in Sevilla zum 300. Todestag von Shakespeares Zeitgenossen Luís de Góngora entgegen. Alberti, Federico García Lorca, Gerardo Diego, Jorge Guillén, José Bergamín, Dámaso Alonso, Mauricio Bacarisse und Juan Chabás ehrten den spanischen Poeten und wurden später als die 27er Generation bezeichnet. Alberti tritt der Kommunistischen Partei bei, reist 1932 erstmals in die Sowjetunion und gründet zwei Jahre später in Spanien die revolutionäre Zeitschrift Octubre. Er nennt sich selbst „Poet der Straße“, reist zum sowjetischen Schriftstellerkongress nach Moskau, nach New York, Mexiko und Havanna, wo er den Grundstein für seine Freundschaft mit Nicolás Guillén legt. Im spanischen Bürgerkrieg ist er auf republikanischer Seite aktiv, propagiert poetisch die kommunistische Avantgarde. Nach dem Sieg der Faschisten setzt der Dichter sich nach Paris ab. Mit Hilfe von Pablo Neruda, zu dieser Zeit Botschafter in Frankreich, kommen er und seine Frau beim internationalen Radio als Sprecher unter. 1939 beginnt auch in Frankreich ein neuer Wind zu wehen, Alberti verliert seine Arbeit und zieht schließlich weiter an den Río de la Plata, wo 1941 seine Tochter Aitana zur Welt kommt. Die Jahre in Südamerika beschreibt er im zweiten Band von La arboleda perdida (deutsch: Der verlorene Hain). Er hält Vorträge, Lesungen und schreibt weiter Gedichte, versinkt in Melancholie, beschwört die Erinnerungen an ein vergangenes Paradies herauf oder träumt von der Zukunft. Die nostalgische Sehnsucht nach dem Süden Spaniens läßt ihn jedoch nicht untätig werden. Mit Pablo Neruda verbindet ihn seit Paris eine tiefe Freundschaft mit gegenseitigen Besuchen; auch trägt er seine Poesie persönlich durch die Welt, reist ein weiteres Mal in die UdSSR, nach Polen, Bulgarien, Rumänien, in die Tschechoslowakei, nach China und, nach dem Sieg der kubanischen Revolution, 1960 noch einmal nach Havanna. Bei seinem letzten Besuch auf der Karibikinsel 1991 verleiht Fidel Castro ihm den Orden José Martí, die höchste Auszeichnung der kubanischen Regierung für einen Ausländer.
Zu Beginn der 60er Jahre schließlich ist Alberti auch in Südamerika nicht mehr sicher – die Geheimpolizei durchsucht seine Wohnung. Universitäten, Verlage und Theater werden zu militärischen Zielscheiben und als schließlich der Guatemalteke Miguel Angel Asturias verhaftet wird, schauen sich Alberti und seine Frau María Teresa León erneut nach einem Platz zum Leben um. 1963 gehen sie zurück nach Europa, nach Rom, wo sie noch 14 Jahre auf ihre endgültige Rückkehr nach Spanien warten. Nach dem Tod Francos läßt sich Alberti als kommunistischer Abgeordneter für Cádiz in den spanischen Kongreß wählen. Es wird ein triumphaler Einzug und eine späte Genugtuung, als er, über 70jährig, mit Dolores Ibárruri „La Passionara“ im Kongress den Alterspräsidenten stellt. Erneut lassen sich Alberti und María Teresa León in Madrid nieder, wo er sich wieder mit lateinamerikanischen Schriftstellern wie Mario Benedetti und Julio Cortázar trifft, die nun – Ironie des Schicksals – ihr Exil in Europa leben.
Auch für Carlos Fuentes und Gabriel García Márquez sind gemeinsame Abende und Nachmittage mit dem „Poet des Meeres“ selbstverständlich. Die gemeinsame Sprache, poetisch wie alltäglich, der Kompromiß mit der Gesellschaft sowie das Engagement für eine gerechtere Zukunft haben für die spanischsprachigen Schriftsteller zwar die Grenzen zwischen den Kontinenten aufgehoben, nicht aber ihre tiefe Verbindung zum eigenen Land.
Zehn Jahre führt Rafael Alberti sein unstetes Leben in Madrid fort. Seine Frau stirbt, nachdem ihr Gedächtnis jahrelang von Alzheimer zermürbt worden war und kurze Zeit später heiratet er die junge Autorin María Asunción Mateo, mit der er sich Anfang der 90er Jahre in sein geliebtes Puerto de Santa María zurückzieht. Der Zerfall der Sowjetunion, die kubanischen „Balseros“, das alles interessierte ihn dort nicht mehr. In seinem Haus mit Blick auf’s Meer hat er die Politik hinter sich gelassen, malt und rezitiert mit schwerer tiefer Stimme seine Gedichte. Hier stirbt er mit 96 Jahren. In der Bucht von Cádiz wird seine Asche von den Wellen verspült.

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