Brasilien | Nummer 283 - Januar 1998

Raça Brasil

Eine Zeitschrift für schwarze BrasilianerInnen

September 1997, fröhliche schwarze Gesichter lachen auf einem Zeitschriftencover mögliche KäuferInnen an. Nicht ohne Grund: Das Hochglanzmagazin Raça
Brasil feiert seinen ersten Geburtstag.

Thomas W. Fatheuer

“Der Erfolg von Raça Brasil ist ein Symbol des Sieges für alle brasilianischen Schwarzen“, schreibt Arnaldo Macedo in der Jubiläumsausgabe. Raça Brasil, das ist die erste kommerzielle Zeitschrift für Schwarze in Brasilien, und im September ’97 konnte sie ihr einjähriges Jubiläum feiern. „Es war an der Zeit, den Vorhang der Unsichtbarkeit über den Schwarzen zu heben“, jubelt Macedo weiter. Sichtbarkeit – visibilidade ist ohne Zweifel das große Schlagwort für Raça.
Aber was wird sichtbar? Das Titelbild der Jubiläumsausgabe dominieren junge und hübsche Frauen, und das ist kein Zufall. Tips für schwarze weibliche Schönheit ist das Hauptthema von Raça, auch und besonders im Anzeigenteil. Eine Auswahl aus besagter Jubiläumsnummer: „Die Gesichtsfarben des Sommers“ (braun und golden werden empfohlen). „Fertig zum Glänzen – Tips für praktische Haarschnitte“ (mit vielen Vorher-Nachher-Fotos). „Wie machst du deinen Typen an“ (schöner auf portugiesisch: „como agarrar o seu gato“). Da gibt’s auch noch Tips : „Verstehe die Männer“, die – wie soll’s anders sein? – ganz schön leicht zu verstehen sind: „Wenn er sagt, ‘wollen wir rausgehen?’, will er sagen ‘machen wir Sex?’ Wenn er sagt ‘du bist so schön’, will er sagen ‘Ich möchte Sex mit Dir machen’“. Aber aufgepaßt: „Wenn er sagt, ‘ich habe Hunger’, dann hat er Hunger.“ Auch die umgekehrten Tips („Wie komme ich an meine Katze ‘ran?“) gibt es, und glücklicherweise erweisen sich die Frauen als nicht viel komplizierter als die Männer. Außerdem finden sich noch so wertvolle Hinweise wie „Betone die Formen deines Körpers“.
Weiter geht’s mit dem Thema, das in keiner Illustrierten fehlen darf: „Abnehmen mit Vergnügen.“ Aber dann, zwischen einem Artikel über Jeans (wandelbar, schick und ewig) und Sonnenbrillen, findet sich eine Reportage über Quilombos, die Gebiete, in denen die Nachfahren entlaufener SklavInnen bis heute zusammenwohnen. Zu guter Letzt dann auch noch ein Muß, ein Horoskop, in dem aber die Sternzeichen durch afrikanische Gottheiten ersetzt sind. So entspricht dem Steinbock Oxalá, höchster Gott in der afrikanischen Mythologie. Dieses Horoskop ist bei seinem ersten Erscheinen (Raça Nr. 11) mit einem bemerkenswerten Text angekündigt worden: „Die Zeitschrift Raça Brasil bringt eine neues Horoskop. Von Rasse. Von Brasilianität. Es verbindet power und nationale Identität.“ Da leuchtet ja ein ganz anderes Konzept auf als lediglich „Sichtbarkeit der Schwarzen“: Ein afro-brasilianisches Konzept nationaler Identität. Aber eine Diskussion von Ideen oder Konzepten findet sich nicht in Raça. Die Zeitschrift verkündet – oder besser setzt ins Bild – die immer wiederkehrende Botschaft von „Black is beautiful“.
Auch wenn Raça in jeder Nummer etwa zwei sozialkritische oder historische Reportagen bringt, will sie doch in erster Linie ein Lifestyle Magazin für junge Schwarze sein, die sich anscheinend – so zumindest suggeriert es der Anzeigenteil – primär für ihre Haare interessieren.

Reaktionen in Brasilien

Klar, in der Jubläumsnummer beglückwünschen alle die Zeitschrift, von der PT-Senatorin Benedita da Silva bis zum reaktionären Bürgermeister von São Paulo Celso Pitta, der bereits einmal das Titelblatt der Zeitschrift zieren durfte. Aus der Schwarzenbewegung waren verständlicherweise kritischere Stimmen zu hören. Die LN sprachen mit Trindade von der Nationalen Koordination der Schwarzengruppen Coordenaçao Nacional das Entidades Negras und Gilson Pereira, Mitglied einer Schwarzengruppe in Recife. Auch sie sehen positiv, daß die Zeitschrift den Schwarzen mehr Sichtbarkeit verleiht, kritisieren aber, daß Raça ausschließlich ein kommerziell akzeptiertes Schönheitsideal propagiert. Im Mittelpunkt stehen immer wieder die schwarzen Modelle, die auch längst bei den großen Fernsehsendern Stars geworden sind – oder bereits für den Playboy posierten.
Trindade und Gilson beklagen, daß die Zeitschrift große Distanz zur Schwarzenbewegung hält. Zwar erkenne auch sie an, daß eine kommerzielle Zeitung nicht als Zeitung der (hoffnungslos zerstrittenen) Schwarzenbewegung konzipiert werden kann, aber sie wollen, daß sie „nicht der Schwarzenbewegung den Rücken zukehrt.“ Pitta auf dem Titelblatt symbolisiert für Trindade und Gilson die Zweischneidigkeit des Konzeptes „Sichtbarkeit“. Da wird sichtbar gemacht, was schon immer erscheint. Der gute, angepaßte erfolgreiche Schwarze – oder im Fall der Frauen, die schwarze Schönheit. Aber auch der allmächtige Fernsehsender Globo hat schon längst die Schwarze Valéria Valenssa zu seiner „Globobelezza“ gekürt.
Wânia Sant’Anna, schwarze Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation FASE in Rio, ist da erheblich euphorischer. Für sie ist das Erscheinen von Raça ein epochales Ereignis. „Die Geschichte der Schwarzen in Brasilien teilt sich in eine Zeit vor und in eine Zeit nach Raça ein“. Jahrhunderte haben die Schwarzen warten müssen, bis eine eigene Zeitschrift mit nationaler Verbreitung erschien. Für Wânia ist das ästhetische Ideal der Zeitschrift kein Problem, im Gegenteil. Normalerweise erscheinen Schwarze nur auf den Verbrecherfotos, nur als Arme und Marginaliserte. „Aber es existieren doch auch schwarze Konsumenten, eine schwarze Mittelschicht, das konnte aber nie gezeigt werden. Raça ist eine Zeitschrift für ein junges, vorwiegend weibliches Publikum und greift die wichtigsten Seiten der Realität dieser Gruppe auf: Rassismus, Beruf und Gesundheit. Wir Schwarzen leben das, nicht nur die Marginalität.“
Wohl wahr, und so kann Raça denn auch nicht an Maßstäben gemessen werden, die sie gar nicht erfüllen will. Raça ist ein KonsumentInnenblatt, und es leuchtet nicht ein warum Schwarze nur eine kämpferische, bewegungsnahe Zeitung machen sollen. Raça – und hier sei zum guten Ende noch einmal der Chefredakteur zitiert – will eine positive Botschaft verkünden: „Ja, wir sind stolz, Schwarze zu sein. Ja, es ist möglich, daß wir glücklich sind.“ In diesem Sinne, Axé Raça.

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