Guatemala | Indigene | Nummer 587 - Mai 2023

Recherchen auf heißem Pflaster

Über die gefährliche Arbeit indigener Reporterinnen in Guatemala

Weltweit nutzen immer mehr Reporter*innen die Möglichkeiten sozialer Netzwerke und lokaler Radiostationen, um Menschenrechtsverlet-zungen öffentlich zu machen. In Guatemala geht es einigen indigenen Gemeindereporterinnen vor allem darum, ihren Gemeinschaften und besonders den Frauen eine Stimme zu geben.

Von Andreas Boueke, Guatemala-Stadt

Indigene Frauen vor und hinter der Kamera Die freischaffende Videoproduzentin Ana Matzir bei der Arbeit (Fotos: Andreas Boueke)

Ein Demonstrationszug läuft über die Haupteinkaufsstraße des alten Zentrums von Guatemala-Stadt. Es geht vorbei an renovierungsbedürftigen Wohnhäusern, kolonialen Kirchengebäuden, farbenfrohen Läden und modern ausgestatteten Bankfilialen, vor deren Eingangstüren bewaffnetes Sicherheitspersonal Wache schiebt. Die meisten Demonstrierenden sind Frauen. Sie protestieren gegen die Gewalt, der viele von ihnen immer wieder ausgesetzt sind. In einer Gruppe mit dem Namen „Plattform Gerechtigkeit“ laufen zwei Dutzend Frauen in schwarzen T-Shirts mit aufgedruckten Bildern gelber Sonnenblumen. Eine hält ein Schild hoch. Es trägt die Aufschrift: „Ich lebe in einem Land des Femizids“. Die guatemaltekische Menschenrechtsorganisation GAM geht davon aus, dass im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre im Land rund 13.000 Frauen und Mädchen ermordet wurden.

„Ich lebe im Land des Feminizids“ Demo in Guatemala-Stadt

Guatemaltekische Kameramänner, deren Jacken die Logos kleiner Produktionsfirmen tragen, filmen den Protest. Eine europäische Fotografin stellt sich auf eine Parkbank, um den Blickwinkel ihrer Kamera auf den Demonstrationszug zu verbessern. Indigene Reporterinnen nutzen ihre Smartphones, um Fotos zu machen und Interviews aufzunehmen. In der Menge taucht mal hier, mal da der braune Hut und die farbenfrohe Tracht der Gemeindereporterin Angela Cuc auf. Die junge Frau recherchiert für eine Reportage über die Lebensrealität von Frauen aus Mayagemeinschaften in Guatemala. „In einem Land wie diesem ist es sehr schwierig sicherzustellen, dass die Rechte einer Frau respektiert werden“, sagt sie und wischt einige Schweißtropfen von ihrer Brille. „Uns steht ein Staat gegenüber, der vom Machismo geprägt ist. Seine Strukturen sind frauenfeindlich und patriarchal. Wer versucht, in den großen Medien Berichte über die ausgegrenzten Teile der Bevölkerung unterzubringen, hat es schwer.“

Angela Cuc stammt aus der Mayagemeinschaft der Kaqchikel. Sie schreibt für verschiedene alternative Publikationen in Guatemala und ist Korrespondentin eines indigenen Radioprogramms aus der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Im hinteren Teil des Protestzugs trifft sie auf einige Mitglieder der interreligiösen Vereinigung CENTINELAS. Die dort Protestierenden tragen ein Banner, auf dem geschrieben steht: „Das Gesicht der Kriminalisierung ist weiblich, das der Tapferkeit auch.“

Die Medienmacht ist in Guatemala extrem zentralisiert

Die Pressesprecherin der Vereinigung, Mayra Rodriguez, ist gerne bereit zu einem Interview: „Die Kriminalisierung nimmt zu und immer häufiger trifft sie mutige Frauen. Sie kämpfen gegen ein System, das von korrupten Machenschaften und persönlichen Interessen manipuliert wird. Wir verlangen Gerechtigkeit für alle Frauen, die verfolgt werden, weil sie ihre Rechte einfordern. Die ständige Bedrohung erzeugt ein Klima des Terrors.“

In einer Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen für das Jahr 2022 steht Guatemala zwischen 180 Staaten im unteren Drittel. Die Vereinigung CENTINELAS bemüht sich seit Jahren darum, Gläubige verschiedener Religionen im Engagement gegen Zensur und Korruption zusammenzuführen. Vor allem katholische und evangelische Christ*innen machen mit, aber auch jüdische, muslimische, buddhistische Gläubige und Anhänger*innen der Mayareligion. Gemeinsam fordern sie ein Ende der Gewalt und mehr Transparenz in Wirtschaft und Politik, erklärt Rodriguez: „In Guatemala leidet die Hälfte der Kinder an chronischer Unterernährung. Das muss sich ändern. Einige Frauen werden verfolgt, weil sie über Korruption schreiben und für Verbesserungen kämpfen. Sie tun das mit einer Haltung der Würde. Das macht sie zu Vorbildern für uns alle.“

Angela Cuc freut sich über die Anerkennung ihrer Arbeit. Sie hofft, dass solche Unterstützung dazu beiträgt, sie und ihre Kolleginnen in Guatemala vor Übergriffen zu schützen. Denn in Lateinamerika gilt nur das Nachbarland Mexiko als noch gefährlicher für Journalist*innen. „Wer in Guatemala journalistisch arbeitet, hat sich schon immer auf Konfrontationskurs zur Regierung begeben. Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme. Wenn du darüber berichtest, wie die Frauen der indigenen Völker ihr Land und ihre Körper verteidigen, wirst du von der Regierung als interner Staatsfeind angesehen.“

Dabei gab es einmal eine Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung in Guatemala: Als im Dezember 1996 der Bürgerkrieg offiziell zu Ende ging, erlebte die Gesellschaft Fortschritte in ihrer demokratischen Entwicklung. Die Pressefreiheit wurde einige Jahre lang von den meisten staatlichen Institutionen respektiert. Viele Menschen gewöhnten sich daran, die Regierung weitgehend ohne Angst kritisieren zu können.

Eine Opposition zum Medienmonopol

Doch zwei Jahrzehnte später überwiegen die Rückschläge. Heute werden wieder viele Menschenrechtsaktivist*innen, kritische Reporter*innen, aber auch unabhängige Richter*innen und Mitarbeiter*innen kirchlicher Menschenrechtsorganisationen eingeschüchtert und bedroht. Es kommt zu Anschlägen und Morden. Staatsanwält*innen, die Fälle von Korruption aufdecken, werden mit fadenscheinigen Vorwürfen diskreditiert. Im Jahr 2022 wurden mehr als 300 Angestellte des Justizsystems inhaftiert. Die Atmosphäre der Angst treibt Oppositionelle ins Exil. Mayra Rodriguez macht sich vor allem Sorgen um mittellose Frauen, die es wagen, Korruption und Rassismus öffentlich anzuklagen. Ihnen fällt es besonders schwer, sich im Labyrinth der Willkür des Justizsystem gegen frauenfeindliche Verleumdungen zu verteidigen. „Wir verlangen, dass die Kriminalisierung der indigenen Gemeindereporterinnen aufhört. Die korrupten Politiker haben es auf diejenigen Personen abgesehen, die ihnen im Weg stehen. Für sie stören die Berichte der Frauen wie Steine im Schuh.“

Durch diese Worte fühlt sich Angela Cuc in ihrer journalistischen Arbeit bestätigt. In ihren Texten ergreift sie immer wieder Partei für die Frauen der Mayabevölkerung, die seit Jahrhunderten zu den am stärksten ausgegrenzten und diskriminierten Gruppen des amerikanischen Kontinents zählen. In den Fernsehkanälen Guatemalas wird nur sehr selten über diese Missstände berichtet. Es gibt drei Sender, die im ganzen Land über Antenne empfangen werden können. Die abendlichen Nachrichten dieser Sender sind die wichtigsten Informationsquellen, auf die ein Großteil der verarmten Bevölkerung Zugriff hat. Doch alle drei Sender sind im Besitz eines einzigen Mannes, des mexikanischen Medienmoguls Ángel Gonzales. Zudem besitzt er zahlreiche Kinos und die Frequenzen mehrerer Radiostationen. Sein Einfluss auf die Kultur und Politik des Landes ist enorm und er zeigt wenig Skrupel bei der Wahl der Mittel, mit denen er seine Medienmacht verteidigt.

Angela Cuc weiß, dass eine plurale und diverse Berichterstattung in Guatemala ein sehr weit entferntes Ziel ist: „Wir Maya werden bis heute als der Feind angesehen. Viele Leute können nicht akzeptieren, dass wir indigenen Frauen Widerstand leisten. Deshalb wollen sie verhindern, dass wir ein Mikrofon in die Hand nehmen und uns an der Berichterstattung beteiligen.“

Die meisten Kolleginnen von Angela Cuc sind noch jung, aber viele hatten schon Konflikte mit der Polizei. Der einen wurde die Fotoausrüstung konfisziert, die andere wurde festgenommen und verhört, manche wurden geschlagen. Angela Cuc selbst musste mehrere Nächte in einer Zelle verbringen, bis ein Richter sie freisprach – nicht aus Respekt für ihre journalistische Arbeit, sondern weil es keinerlei Beweise gab für den Vorwurf, sie sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. „Die Angst ist eine ständige Begleiterin dieser Arbeit. Auf den Schutz der Polizei können wir nicht zählen. Stattdessen misshandeln sie uns, selbst wenn du dich als Journalistin ausweisen kannst.“

Als der Demonstrationszug den zentralen Platz der Hauptstadt erreicht, führt eine Gruppe Mädchen vor der Kathedrale der Erzdiözese von Guatemala-Stadt einen Tanz auf. In dem Gebäude dahinter sitzt die Sozialwissenschaftlerin Gloria Gonzales an einem Schreibtisch aus Metall. Sie berät die guatemaltekische Bischofskonferenz in Fällen von Landkonflikten und bei der Ausarbeitung von Projekten zur ländlichen Entwicklung. „In letzter Zeit beobachten wir eine neue Dynamik. Früher waren die Anführer der Kämpfe indigener Gemeinden meist männliche catequistas (religiöse Autoritäten Anm. d. Red.). Aber jetzt geht es immer häufiger um die Bewahrung der Schöpfung und die Verteidigung der natürlichen Ressourcen. Häufig stehen Frauen an der Spitze des Widerstands. Mag sein, dass ihre Identifikation mit Mutter Natur besonders ausgeprägt ist.“

Gloria Gonzales hält es auch für eine wichtige Aufgabe der Kirche, diese Frauen zu unterstützen. Viele werden verfolgt, weil sie sich für den Schutz der Natur einsetzen. „In diesem Land leben wir alle in Gefahr. Aber das Risiko der Anführerinnen sozialer und Umweltbewegungen ist besonders groß. Einige mussten das Land verlassen. Andere sind geblieben und ertragen die ständige Bedrohung. Manche sind im Gefängnis.“

„Wer die Interessen der Politiker durchkreuzt, bekommt Probleme“

Ab und zu beschäftigt das Menschenrechtszentrum der Diözese auch indigene Reporterinnen, die aus abgelegenen Gemeinden berichten. Die Jurastudentin Ana Matzir arbeitet als freischaffende Videoproduzentin: „Ich bemühe mich, immer auch Mitglieder der verarmten Dorfgemeinden zu Wort kommen zu lassen und ihre Entwicklungsprozesse zu stärken. Manchmal geht es darum, Aufmerksamkeit für politische Gefangene zu schaffen. In letzter Zeit habe ich über den Widerstand einiger Gemeinden gegen Bergbauprojekte recherchiert.“

Auf solche kritischen Berichte über große Wirtschaftsprojekte wartet man in den Nachrichtensendungen der monopolisierten Fernsehkanäle Guatemalas vergeblich. Die meisten Redaktionen achten darauf, den Interessen der politisch und wirtschaftlich Mächtigen nicht zu schaden. Ana Matzir versteht ihre unabhängige journalistische Arbeit als Opposition zu diesem Medienmonopol. Sie will die Aufmerksamkeit auf Entwicklungen lenken, die von der Gesellschaft weitgehend ignoriert werden.
Gefährlich wird es besonders dann, wenn solche Berichterstattung auf Umweltzerstörung aufmerksam macht und sich gegen die Interessen finanzstarker Unternehmen richtet. Gloria Gonzales weiß, dass sich junge Reporterinnen wie Angela Cuc und Ana Matzir oft in Gefahr bringen: „Sie begeben sich ins Auge des Hurrikans. Dort sind sie nicht nur deshalb besonders gefährdet, weil sie Frauen sind, sondern auch, weil sie einem Mayavolk angehören. Ihre Stimmen sind wichtig. Sie können viele andere Menschen informieren und mobilisieren. Deshalb bemühen wir uns, ihnen mehr Gehör zu verschaffen.“

Eine der bekanntesten Stimmen der Mayabevölkerung Guatemalas ist die von Rosalina Tuyuc, eine Ikone der indigenen Bewegung Lateinamerikas. Ihr Mann und ihr Vater wurden während des guatemaltekischen Bürgerkriegs von der Armee ermordet. Daraufhin hat sie CONAVIGUA gegründet, die Vereinigung der Kriegswitwen Guatemalas. Später wurde sie zur Vizepräsidentin des guatemaltekischen Parlaments gewählt. Heute beobachtet sie mit Sorge, wie die Regierung und die großen Medienunternehmen immer mehr Räume alternativer Berichterstattung schließen: „Dadurch wird unser Justizsystem auf die Probe gestellt: Eigentlich sollen die Gerichte sicherstellen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Das bezieht sich auch auf die Presse. Es ist nicht gut, wenn nur die Mächtigen die Möglichkeit haben, ihre Meinung öffentlich zu machen.“

Die erfahrene Aktivistin weiß, dass es für Angehörige der Mayabevölkerung immer gefährlicher wird, sich Gehör zu verschaffen. Umso mehr freut sich Rosalina Tuyuc, wenn sie von jungen, indigenen Frauen wie Ana Matzir um ein Interview gebeten wird: „Die Frauen der Maya haben eine sehr wichtige Rolle übernommen. Sie begleiten die Kämpfe ihrer Völker und verteidigen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Einige Reporterinnen werden kriminalisiert und bedroht. Doch trotz der Repression berichten sie weiter aus verschiedenen Regionen des Landes.“

Kamera und Mikrofon sind Werkzeuge des Journalismus, keine Waffen. Sie können nicht töten. In Guatemala sind sie zu wichtigen Bestandteilen des gewaltfreien Kampfes indigener Frauen um die Anerkennung ihrer Rechte geworden.

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