Nicaragua | Nummer 236 - Februar 1994

Reformen ja – neue Verfassung nein

Ein langer Streit der Parteien geht seinem Ende zu

Der Vorschlag, durch eine Verfassungsgebende Versammlung das gesamte politische Gerüst der nicaraguanischen Gesellschaft in Frage zu stellen, scheint vom Tisch. Nicht einmal der Kardinal will noch die Hardliner aus der Nationalen Oppositionsunion (U.N.O.) unterstützen, die sich mit Teilreformen der – noch zu sandinistischen Regierungszeiten verabschiedeten – Verfassung nicht zufrieden geben. Auch das Parlament ist wieder arbeitsfähig. Dazu allerdings mußte sich die U.N.O. erst einmal gründlich spalten. Eine Mehrheitsfraktion der Abgeordneten ist nun bereit, die Parlamentsarbeit fortzusetzen. Voraussetzung war eine Einigung mit den SandinistInnen.

ANN

Anfang Januar schloß die U.N.O.-Führung zwei Parteien aus der Allianz aus, weil sie sich mit der FSLN über eine Teilreform der Verfassung geeinigt und zur Beteiligung an den Parlamentssitzungen entschlossen hatten. Dabei handelt es sich um die Konservative Volksallianz (APC) und die Demokratische Nicaraguanische Bewegung (MDN). Vorher war bereits die Christdemokratische Union (UDC) aus dem gleichen Grund von der U.N.O.-Führung verstoßen worden. Der turnusmäßige U.N.O.-Koordinator Eli Altamirano (Kommunistische Partei, PCN) und andere U.N.O.-Führer bekräftigten, sie wollten “bis zum Letzten” für die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung kämpfen. Diese sollte eine völlig neue Verfassung beschließen, über die Absetzung der Präsidentin und die Neubildung der Staatsgewalten entscheiden. Dafür will die U.N.O. jetzt im Rahmen einer “Mobilisierung des Volkes” zwei Millionen Unterschriften von UnterstützerInnen sammeln. Altamirano warf den jüngst ausgeschlossenen Parteien vor, die U.N.O. “verraten” zu haben. Der PLC-Vorsitzende Arnoldo Aleman nannte die ehemaligen U.N.O.-Abgeordneten, die sich für eine Teilreform der Verfassung entschieden hatten, eine “schamlose Bande”.
Aber die U.N.O.-Scharfmacher können sich inzwischen nicht einmal mehr der einhelligen Unterstützung ihrer jeweiligen Parteien sicher sein. In der Sozialdemokratischen Partei (PSD) sind viele unzufrieden. Nur mit knapper Not konnte PSD-Generalsekretär Alfredo César Anfang Januar eine erneute Abstimmung im Parteivorstand verhindern, bei der sich neun der 16 Vorständler gegen eine Verfassungsgebende Versammlung und für die Rückkehr zur Parlamentsarbeit entschieden hätten. Zu ihnen gehört der PSD-Vizevorsitzende Adolfo Jarquín. PSD-Vorsitzender Guillermo Potoy beschuldigte Jarquín, ebenso wie andere abtrünnige U.N.O.-Abgeordnete “mit ausgestreckter Hand auf die Knie gesunken” zu sein.
Die Frauen-Arbeitsgemeinschaft in der PSD kritisierte in einem Kommuniqué die Linie Césars und Potoys: “Es ist unglaublich, daß ein Neuling wie Alfredo César, der in seiner dreijährigen Parteikarriere eine Reihe von Intrigen zu verzeichnen hat, die PSD auf extremistische, antipatriotische Positionen bringt. Noch unglaublicher ist, daß sich andere Führungsmitglieder mit längerer Laufbahn für dieses Spiel hergeben, das nur diesem Herrn alleine nutzt.”

Rest-U.N.O. spielt mit dem Feuer

Die Verfechter einer Verfassungsgebenden Versammlung scheinen tatsächlich auf verlorenem Posten zu stehen. Das legen Meinungsumfragen nahe, und selbst der erzkonservative Kardinal Miguel Obando y Bravo ist nicht mehr bereit, den Minderheitenflügel der U.N.O. in dieser Frage zu stützen. Auch der reaktionäre Unternehmerverband COSEP forderte die Rest-U.N.O. auf, sich wieder an der Parlamentsarbeit zu beteiligen. “Verfassungs-änderungen können nicht das einzige Ziel ihres Kampfes sein. Sie (die U.N.O.) sollte sich an den Reformen beteiligen, um zu zeigen, daß sie nicht ausreichen”, empfahl der COSEP-Vorsitzende Ramiro Gurdián.
Eine “patriotische Haltung” zeigte nach Meinung der Tageszeitung “Barricada” auch der bisherige Parlamentspräsident Gustavo Tablada (Sozialistische Partei). Anfang 1993 für zwei Jahre gewählt, trat er jetzt zur “Halbzeit” von seinem Amt zurück, um die Neuwahl des Parlamentspräsidiums zu ermöglichen. “In einer Zeit, in der sich führende Politiker an ihr Amt klammern, ist es ungewöhnlich, wenn jemand politischen Verpflichtungen nachkommt”, schrieb die Barricada. Ein einigermaßen normal funktionierendes Parlament nach 16 Monaten Notstand wäre zweifellos ein guter Einstieg ins neue Jahr: Aber die Rest-U.N.O.-Parteien, die über wenig politische Kapazität, aber ein beträchtliches Talent als politische Brandstifter verfügen, setzen weiter auf Krisengewinn. “Die U.N.O. hält sich an die Erfahrungen des politischen Kampfes im letzten Jahrzehnt. Durch Druck und eine Verschärfung der Krise werden wir die erwarteten Ergebnisse erreichen”, erklärte das Führungsmitglied Jaime Bonilla von der Liberalen Partei (PLC).

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren