Nummer 378 - Dezember 2005 | Zentralamerika

Roll Back auf mexikanisch

Der Konflikt ALBA gegen ALCA lässt Venezuela und Mexiko aneinandergeraten

Nach der Ankündigung der maßgeblichen linken Oppositionsparteien Nicaraguas und El Salvadors, auf lokaler Ebene Energieverträge mit Venezuela abzuschließen, kontert Mexiko mit einem eigenen Energieplan für Zentralamerika. Der übergelagerte Streit um die zukünftige politische und ökonomische Ausrichtung Lateinamerikas hat nun sogar zum Rückzug der jeweiligen Botschafter beider Länder geführt.

Tobias Lambert

Plötzlich ging alles ganz schnell. Monatelang begegnete Mexiko den Anfragen zentralamerikanischer Präsidenten nach billigerem Erdöl mit Ablehnung. Der hohe Erdölpreis hatte Mexikos Nachbarländer in eine Energiekrise gestürzt. Während des Amerika-Gipfels im argentinischen Mar del Plata Anfang November legte der mexikanische Präsident Vicente Fox nun einen ausgereiften Energieplan für die Subregion vor. Die Regierungschefs Guatemalas, El Salvadors, Honduras, Nicaraguas, Costa Ricas und Panamas begrüssten den Plan und einigten sich mit ihrem mexikanischen Amtskollegen auf die baldige Durchführung. Vorgesehen sind der Bau einer Raffinerie, einer Pipeline, eines Elektrizitätswerks sowie die Errichtung eines Tankstellennetzes des staatlichen mexikanischen Energieunternehmens Pemex in Zentralamerika. Übersteigt der Weltmarktpreis pro Barrel Erdöl (159 l) ein noch zu bestimmendes Niveau, soll die Differenz durch niedrig verzinste mexikanische Kredite mit langen Laufzeiten finanziert werden.
Mitte September erst hatten die linken Oppositionsparteien FSLN (Sandinistische Befreiungsfront) in Nicaragua und FMLN (Befreiungsfront Farabundo Martí ) in El Salvador für ihre Länder überraschend den Abschluss von ähnlichen Energieverträgen mit Venezuela angekündigt (siehe LN 377). Die Abwicklung soll direkt über die von den beiden Parteien regierten Stadtverwaltungen ohne Beteiligung der nationalen Regierungen und transnationaler Konzerne erfolgen. Bis dato liegt allerdings weder ein Vertragsentwurf vor, noch sind genaue Details des Planes bekannt. PolitikerInnen anderer Parteien kritisierten vor allem den „politischen Charakter“ der Initiative. Sie werfen Venezuela eine gezielte Einflussnahme auf die im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen in El Salvador und Nicaragua vor.

ALBA vs. ALCA

Im Unterschied zum venezolanischen Plan richtet sich das mexikanische Projekt explizit nicht gegen die transnationalen Erdölkonzerne. Die Kosten sollen sich auf die nationalen Regierungen, den Privatsektor sowie internationale Finanzorganisationen wie die Interamerikanische Entwicklungsbank verteilen. Andere Staaten wie die USA, Kanada und Spanien haben bereits ebenfalls Interesse an einer Teilfinanzierung bekundet. Die Gesamtkosten belaufen sich laut ersten Rechnungen auf etwa 7,5 Milliarden US-Dollar, wovon alleine 3,5 Milliarden auf die geplante Raffinerie entfallen werden.
Zu den mexikanischen Absichten bezüglich des Plans bemerkte Fox: „Es geht nicht darum, eine Raffinerie zu errichten, um zu sehen, ob man damit Geld verdienen kann. Es geht darum […], wettbewerbsfähige Preise zu haben, und die Auswirkungen plötzlicher Preissteigerungen beim Erdöl zu vermeiden.“
Dass Fox gerade jetzt einen Energieplan für Zentralamerika auf den Tisch legt, hat aber vor allem mit dem Grundkonflikt um die zukünftige politische und wirtschaftliche Ausrichtung Lateinamerikas zu tun. Der mexikanische Präsident will einer möglichen Ausweitung des politischen und ökonomischen Einflusses Venezuelas bis nach Zentralamerika offenbar rechtzeitig Einhalt gebieten. Die vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez propagierte Bolivarianische Alternative für die Amerikas (ALBA) basiert auf solidarischen Wirtschaftsbeziehungen und stellt das Gegenprojekt zur vor allem von den USA angestrebten gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA dar. In Mar del Plata kam es zu heftigem Streit über die Fortführung der ALCA-Verhandlungen, die eigentlich schon längst hätten abgeschlossen sein sollen (siehe Artikel in diesem Heft). Neben Venezuela stellten sich die vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay den US-amerikanischen Freihandelsplänen entgegen. Auf diese fünf Staaten entfallen immerhin etwa 75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) Südamerikas. Fox hingegen präsentierte sich auf dem Amerika-Gipfel als einer der leidenschaftlichsten Verfechter der ALCA.

Botschafter fliegen nach Hause

Dem argumentativen Kräftemessen in Mar del Plata folgte alsbald eine Reihe von Beschuldigungen und persönlichen Beleidigungen. Zunächst hatte Fox in einem Interview das Auftreten des argentinischen Präsidenten und Gastgebers Néstor Kirchner kritisiert. Dieser habe sich mit seiner Ablehnung der ALCA zu sehr an der öffentlichen Meinung in seinem Land orientiert, anstatt etwas zum erfolgreichen Abschluss des Gipfels beizutragen. Kirchner entgegnete daraufhin, Fox solle sich „mit den Mexikanern beschäftigen, mich wählen die Argentinier.“ Der Streit konnte rasch auf diplomatischer Ebene beigelegt werden. Dafür kam es anschliessend zwischen Mexiko und Venezuela zum Eklat. Nachdem Fox dem venezolanischen Präsidenten vorwarf, dieser achte lediglich auf seine Medienwirksamkeit, beschuldigte Chávez seinen mexikanischen Kollegen „den Schoßhund des Imperiums“ („cachorro del imperio“) zu spielen. Fox setzte Chávez daraufhin eine Frist von 24 Stunden, um sich zu entschuldigen. Dieser reagierte, indem er noch vor dem Ablauf der Frist den venezolanischen Botschafter aus Mexiko abzog. Fox´ Reaktion folgte prompt auf den Fuß. Er ließ den mexikanischen Botschafter in Caracas ebenfalls nach Hause fliegen. Die diplomatischen Kontakte wurden zwar nicht abgebrochen, jedoch deutlich heruntergestuft.
Der US-amerikanische Botschafter in Venezuela, William Brownfield, wies die Beschuldigungen Venezuelas, Washington habe bei der diplomatischen Krise seine Finger im Spiel, postwendend mit ironischen Worten zurück. „Es ist so, dass es viele Dinge auf dieser Welt gibt, die nichts mit den USA zu tun haben, und dies ist eines dieser Dinge.“ Der Bush-Administration dürfte es äusserst gelegen kommen, dass Fox derzeit in punkto Freihandel an vorderster Front ihre Interessen vertritt.

Versteckte Kamera mal anders

Für weiteren Unmut sorgte indes die Veröffentlichung eines geheimen Sitzungsvideos aus Mar del Plata. Chávez ließ dieses in seiner wöchentlichen Fernsehsendung „Aló Presidente“ abspielen. Zu sehen ist unter anderem US-Präsident George W. Bush, beim vergeblichen Versuch, die ALCA-Gegner des Mercosur für die Freihandelszone zu gewinnen. Der venezolanische Informations- und Kommunikationsminister Yuri Pimentel begründete den Tabubruch mit dem Hinweis auf das öffentliche Interesse an dem Video. „Das war keine private Sache.[…] Diese Dinge müssen öffentlich sein.“
Wann sich die Beziehungen zwischen Venezuela und Mexiko wieder entspannen ist ungewiss. Der Mercosur hat angekündigt, in dem Fall vermitteln zu wollen. Hochrangige venezolanische Regierungsvertreter hatten zuletzt ihr Bedauern über die Eskalation des Streits geäußert. Mitte nächsten Jahres könnten die Karten ohnehin neu gemischt werden. Dann finden in Mexiko Präsidentschaftswahlen statt, bei denen der Amtsinhaber nicht erneut antreten darf. Aussichtsreichster Kandidat ist derzeit Manuel López Obrador, der Ex-Bürgermeister Mexiko-Stadts, von der Mitte-Links-Partei PRD. Dieser hatte den Energieplan für Zentralamerika erst kürzlich kritisiert, indem er betonte, Mexiko benötige dringend erst einmal selbst neue Raffinerien. Dass Mexiko im Falle eines Wahlsieges von López Obrador ein Stück weit von den USA abrücken könnte, um die Beziehungen zu Venezuela auszubauen, ist zumindest nicht ausgeschlossen.

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