Brasilien | Nummer 271 - Januar 1997

Rot – Schwarze Perspektiven

Sâo Paulo bleibt unter der Regie eines rechten Bürgermeisters

Nach anfänglicher Euphorie bei der brasilianischen Arbeiterpartei PT über die hoff­nungs­vollen Ergebnisse im ersten Durchgang der Kommunalwahlen war das End­re­sul­tat eher ernüchternd. Die Hauptschuld hat die PT weitgehend selbst zu tra­gen, da sie sich durch innerparteiliche Querelen ihre Chancen verspielt hat, einen Großteil der Bürgermeistersitze zu erobern.

Thomas W. Fatheuer

Als in der Nacht des 15. No­vembers die Stimmenauszählung des zweiten Durchgangs der Kommunalwahlen zu Ende ging, wuchs die Enttäuschung bei der PT (Arbeiterpartei). In elf Städ­ten war sie in die Stichwahl ge­langt, aber in neun verlor sie. Die große Ausnahme war die Ama­zonasmetropole Belém im Nor­den des Landes. Neben Porto Alegre im extremen Süden – wo die PT schon im er­sten Durch­gang gewann – ist Belém die ein­zige Landeshaupt­stadt, die von der PT regiert wird. Ein weiteres markantes Er­gebnis war die Wahl des ersten schwarzen Bür­germeisters in der größten Stadt des Landes, Sâo Paulo. Celso Pitta hat sich als Kandidat des regierenden Bür­germeisters Ma­luf, einem Rechtsaußen der bra­si­lianischen Politik, durchge­setzt und damit alle Hoffungen zer­stört, daß die PT mit ihrer Kan­di­da­tin Luiza Erundina wie­der ins Rat­haus von Sâo Paulo einzieht.
Eine genauere Analyse des Wahlergebnisses bringt einige Überraschungen an den Tag. Die PT ist in den hundert größten Städten des Landes die meistge­wählte Partei, konnte aber nur in 19 Städten die Wahlen gewin­nen. Das heißt, das gute Ab­schneiden der PT als Partei setzt sich aufgrund des geltenden Mehrheitswahlrechts, in dem die Direktwahl der Bürgermeister im Mittelpunkt steht, nicht in Ämter um. Hinzu kommt, daß durch das System der Stichwahl in allen größeren Städten des Landes (mit über 100.000 WählerInnen) Bündnisse gegen die PT im zweiten Durchgang mehr Chan­cen haben. Anders gesagt: die PT ist eine erstaunlich erfolgreiche linke Partei, die, was nicht über­raschen sollte, die öffentliche Meinung polarisiert.

Imageprobleme der PT

Die Konsequenzen aus dieser Analyse sind innerhalb der PT umstritten. In Sâo Paulo hatte die PT-Kandidatin und ehemalige Bürgermeisterin Luiza Erundina versucht, durch eine Kampagne mit dem Slogan “Die PT, die Ja sagt” den hohen Grad der Ableh­nung (40 Prozent der Wäh­lerinnen erklärten, auf keinen Fall für Erundina zu stimmen) zu senken. Erundina und ihr Team waren der Meinung, daß die PT ihre positiven Vorschläge in den Mittelpunkt stellen und von dem Image der Oppositionspartei wegkommen sollte. Diese De­batte zielte tatsächlich ins Herz der Identität der PT, die doch ge­rade gewachsen ist als eine Par­tei des Protestes und der Oppo­sition gegen die herrschenden Mißstände in Brasilien, die unter anderem durch das derzeitige Modell des Neoliberalismus auftreten.
Natürlich spricht nichts dage­gen, die konkreten Vorschläge für Veränderungen in den Mit­telpunkt der Kampagne zu stel­len, mit abstrakten Diskursen gegen den Neoliberalismus ist auch in Brasilien kein Blumen­topf mehr zu gewinnen. Aber die Alternative kann wohl nicht sein, den Schaum vor dem Mund durch einen Wahlkampf mit rosaroter Zuckerwatte zu erset­zen. Die Erfolglosigkeit spricht gegen Erundina. Marco Aurélio Garcia, Parteisekretär für inter­nationale Fragen, sieht zwei Hauptgründe für die Niederlage der PT in Sâo Paulo: “Wir haben es nicht verstanden, eine starke Opposition gegen Maluf aufzu­bauen. Unsere Niederlage be­gann vor drei Jahren, als es uns nicht gelang, diese Opposition zu machen.” Der zweite Grund liegt für Garcia in der Schwäche der sozialen Bewegungen. “Die Krise hat die sozialen Bewegun­gen zersetzt und das hatte großen Einfluß in Sâo Paulo.”

Wenn zwei sich streiten…

Das Ergebnis von Sâo Paulo ist jedenfalls ein Rückschlag für die innerparteilichen Kräfte, die die PT in eine Partei der “Mitte” (auch andere Denominierungen wie “moderne linke Partei” wer­den gehandelt) transformieren wollen. Aber es gibt noch wei­tere Gründe für das enttäu­schende Abschneiden der PT in einigen Städten. Die schmerz­lichste Niederlage mußte die PT wohl in Santos einstecken. Dort ist die PT seit acht Jahren an der Regierung – mit beachtlichem Erfolg und großer Zustimmung. Aber die Auswahl der Kandida­tin (zwei Frauen standen sich gegenüber) für die Wahl ’96 führte zu einer schweren inner­parteilichen Zerreißprobe. Der ehemaligen Bürgermeisterin Tel­ma da Souza, die sich schließlich gegen die Kandidatin des aktuell am­tierenden Bürger­meisters durch­setzte, gelang es nicht, die innerparteilichen Dif­ferenzen zu überwinden und scheiterte am Wahltag. Santos zeigt auch, daß bei den mit har­ten Bandagen aus­getragenen Konflikten der ver­schiedenen Tendenzen inner­halb der PT am Ende alle verlieren. Telma ge­hört eher dem “rech­ten” Par­teiflügel an. Ihr Ar­gument, daß sie als “gemäßig­te” für die WählerInnen ak­zep­tab­ler sei, stellte sich schließlich genauso als Trugschluß heraus wie die Kampagne des “Ja” in Sâo Paulo.
Die beiden Erfolgsstorys der PT – Porto Alegre und Belém – legen Schlüsse nahe, die aus dem simplifizierenden rechts-links oder radikal-gemäßigt Schema herausführen. In Porto Alegre wird die PT nun zum dritten Mal den Bürgermeister stellen. Die Aus­wahl der Kandidaten verlief ge­ordnet und versuchte ein in­ner­parteiliches Gleichgewicht her­zustellen. Der jetzt gewählte Bürgermeister Raul Pont gehört, anders als sein Vorgänger, dem linken Parteiflügel an, der trotz­kistischen Grup­pe “Demo­kra­ti­scher So­zialismus”. Aber er wur­de nicht gewählt aufgrund eines per­sonalisierten Wahlkampfes, son­dern aufgrund einer acht­jäh­rigen kompetenten Politik, die mit dem Konzept des “par­ti­zi­pa­ti­ven Haushaltes” ein Exempel al­ternativer Kommu­nalpolitik ge­schaffen hat.
Auch der neue Bürgermeister von Belém, Edmilson Rodriguez, gehört dem linken Parteiflügel an. Er profitierte wesentlich von dem Verschleiß der traditionel­len Eliten, die sich dazu noch untereinan­der einen Schmutz­wahlkampf lieferten. Eine ge­spaltene Rechte war in vielen Fällen ein wichtiges Mo­ment für den Aufstieg der Lin­ken. Edmil­son gelang es ge­schickt, sich demgegenüber als unverbrauch­ter und nicht kor­rupter Politiker darzustellen. Hinzu kam, daß die “militantes”, die Aktivisten der PT und der sozialen Bewegun­gen, sich mit dem Aufstieg des Kandidaten – der seine Kampa­gne mit hoff­nungslosen fünf Prozent in den Umfragen begann – mobilisieren ließen und einen intensiven Wahlkampf in den Armenvierteln Beléms or­gansierten. Schließlich setzte sich Edmilson mit 58 Prozent (!) der Stimmen gegen den Geld­wahlkampf des Bürgermeister­kandidaten durch. Am 15. No­vember war Belém in ein Meer roter Fahnen verwandelt. Hier zeigte sich, wo die traditionelle Stärke der PT liegt: als Partei des “Basta” gegen die Mißwirtschaft und Korruption der Eliten, als Hoffnungsträger für radikale Änderungen.

Sâo Paulo – Schwarzer Bür­germeister aus der Retorte

Mit der Wahl Celso Pittas re­giert zum ersten Mal in der Ge­schichte Brasiliens ein Schwar­zer die größte Stadt Brasiliens. Aber seine Wahl, die in der in­ternationalen Presse mit Auf­merksamkeit registriert wurde, symbolisiert weniger die zuneh­mende Akzeptanz der Schwarzen in einer rassistischen Gesell­schaft, als den Erfolg des bishe­rigen Bügermeisters Maluf, der Pitta als seinen Kandidaten aus­gewählt hatte. Pitta war ein öf­fentlich unbekannter Geschäfts­mann (Angestellter in der Firma eines Bruders von Maluf) als er überraschenderweise nach Aus­fall anderer Kandidaten (wegen Korruptionsvorwürfen) von Ma­luf 1992 zum Finanzsekretär der Stadt ernannt wurde. Unauf­fällig blieb Pitta auch in diesem Amt. Symptomatisch ist nun, wie er zum Kandidaten gekürt wurde. Maluf ließ von jedem möglichen Kandidaten Videos erstellen und ließ diese anschlie­ßend von US-ame­rkanischen Marketing-Ex­per­ten auswerten. Das Ergebnis war die Empfeh­lung zugunsten von Pitta. Freundlich, smart, immer gut angezogen, kontra­stiert seine Er­scheinung mit dem hemdsärme­ligen Populismus des häßlichen Maluf. Pitta wurde lanciert wie ein Konsumprodukt. “Ein Joghurt”, kommentierte die Konkurrenz. Aber seinen Wahl­erfolg verdankt er ausschließlich Maluf. Der Wahlkampf war von einer einzigen Botschaft domi­niert: Das ist der Mann, der die Bauarbeiten von Maluf fortführt.

Hyäne im Schafspelz

Das eigentliche Ergebnis der Wahlen ist also die Stärkung Malufs, der schon der letzte (und damals unterlegene) Kandidat der Militärdiktatur für das Prä­si­dentschaftsamt war. Als Rechts­außen der brasilianischen Politik wurde er mit Haider oder le Pen ver­glichen. In Lateiname­rika mag der Erfolg von Alemán in Nicaragua eine gewisse Pa­rallele sein. Maluf ist mit der Wahl sei­nes Nachfolgers zum un­um­strittenen rechten Gegenpol zu Präsident Fernando Henrique aufgestiegen. Abzuwarten bleibt aber, ob sein Einfluß weit über Sâo Paulo hinausgeht. Maluf hat auch wenig Spielraum für eine systematische Opposition gegen die Regierung, weil Bürgermei­ster und Gouverneure seiner Partei aufgrund hoher Schulden auf Abkommen mit der Zentral­regierung angewiesen sind. Sei­nen Erfolg in Sâo Paulo verdankt Maluf vorwiegend einer ge­schickten Mischung von moder­nem Marketing und traditionell­ster Politik. “Obras”, Bauarbei­ten durchziehen die Stadt und hinterlassen überall die sichtba­ren Monumente seiner Amtszeit. Mit dem Projekt “Neues Singa­pur” verspricht Maluf, die Fave­las durch Billighochhäuser zu er­setzen. Auch wenn die Opposi­tion den marginalen Effekt die­ses Projektes aufzeigen konnte, gelang es Maluf doch, auf natio­naler Ebene ein – wenn auch po­lemisches – Zeichen für seine Sozialpolitik zu setzen. Anson­sten profiliert sich Maluf mit dem traditionellen Diskurs rech­ter Politik: law an order und na­tionalistische Töne mit Angrif­fen auf das ausländische Kapital. Mit Anspielung auf sein moder­ni­sier­tes Marketing wurde er als “Hy­äne im Schafspelz” bezeich­net.
Zurück zu Pitta. Bleibt nicht doch ein symbolischer Rest? Schwer zu sagen. Orginalton Luiza Erundina, die sich anson­sten mit polemischen Tönen sehr zurückhielt: “Celso Pitta sagt, er habe eine schwarze Haut. Aber er hat den Kopf und das Verhal­ten eines weißen Schweinehun­des (um branco safado)”.

KASTEN

Abgeordneter – ein Job, der sich lohnt.

Das Ansehen von PolitikerInnen mag in Brasilien das aller­schlech­teste sein, in Wahl­kampfzeiten fehlt es dennoch nicht an Kan­didatInnen. Die Erklärung ist einfach. Die Mühen des Wahl­kampfes werden oft mit fürstlichen Gehäl­tern belohnt. Bei­spiel Belém, eine Stadt mit etwas über einer Million EinwohnerInnen. Dort verdient ein Abgeordneter im Kommunalparlament 3513,- Reais, schlappe 5000,- DM. Mit diesem Hunger­gehalt sind die Herren und Damen aber nicht mehr zufrieden und ha­ben sich für 1997 schon eine Ge­haltserhöhung be­willigt: knapp 4500,- Reais sind es dann, mehr als 6700,- DM. Aber das ist bei weitem nicht alles. Jede(r) Abgeord­nete hat ein Recht auf fünf (!) persönliche Mitar­beiterInnen mit einem Gehalt von jeweils etwa 1700,- Reais oder 2500,- DM.
Belém liegt mit seinen Gehältern vielleicht im guten Mittelfeld. Einige kleinere Munizipien, beson­ders solche, die aufgrund von Groß­projekten erhöhte Steuereinnahmen haben, zahlen weit hö­here Gehälter, oder besser ge­sagt, die Abgeord­neten bewilligen sich diese Gelder. In Belém hat sich eine Bürgerinitia­tive for­miert, die solch eine Absahn­mentalität nicht mehr hinnehmen will. (tof)

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