Rot – Schwarze Perspektiven
Sâo Paulo bleibt unter der Regie eines rechten Bürgermeisters
Als in der Nacht des 15. Novembers die Stimmenauszählung des zweiten Durchgangs der Kommunalwahlen zu Ende ging, wuchs die Enttäuschung bei der PT (Arbeiterpartei). In elf Städten war sie in die Stichwahl gelangt, aber in neun verlor sie. Die große Ausnahme war die Amazonasmetropole Belém im Norden des Landes. Neben Porto Alegre im extremen Süden – wo die PT schon im ersten Durchgang gewann – ist Belém die einzige Landeshauptstadt, die von der PT regiert wird. Ein weiteres markantes Ergebnis war die Wahl des ersten schwarzen Bürgermeisters in der größten Stadt des Landes, Sâo Paulo. Celso Pitta hat sich als Kandidat des regierenden Bürgermeisters Maluf, einem Rechtsaußen der brasilianischen Politik, durchgesetzt und damit alle Hoffungen zerstört, daß die PT mit ihrer Kandidatin Luiza Erundina wieder ins Rathaus von Sâo Paulo einzieht.
Eine genauere Analyse des Wahlergebnisses bringt einige Überraschungen an den Tag. Die PT ist in den hundert größten Städten des Landes die meistgewählte Partei, konnte aber nur in 19 Städten die Wahlen gewinnen. Das heißt, das gute Abschneiden der PT als Partei setzt sich aufgrund des geltenden Mehrheitswahlrechts, in dem die Direktwahl der Bürgermeister im Mittelpunkt steht, nicht in Ämter um. Hinzu kommt, daß durch das System der Stichwahl in allen größeren Städten des Landes (mit über 100.000 WählerInnen) Bündnisse gegen die PT im zweiten Durchgang mehr Chancen haben. Anders gesagt: die PT ist eine erstaunlich erfolgreiche linke Partei, die, was nicht überraschen sollte, die öffentliche Meinung polarisiert.
Imageprobleme der PT
Die Konsequenzen aus dieser Analyse sind innerhalb der PT umstritten. In Sâo Paulo hatte die PT-Kandidatin und ehemalige Bürgermeisterin Luiza Erundina versucht, durch eine Kampagne mit dem Slogan “Die PT, die Ja sagt” den hohen Grad der Ablehnung (40 Prozent der Wählerinnen erklärten, auf keinen Fall für Erundina zu stimmen) zu senken. Erundina und ihr Team waren der Meinung, daß die PT ihre positiven Vorschläge in den Mittelpunkt stellen und von dem Image der Oppositionspartei wegkommen sollte. Diese Debatte zielte tatsächlich ins Herz der Identität der PT, die doch gerade gewachsen ist als eine Partei des Protestes und der Opposition gegen die herrschenden Mißstände in Brasilien, die unter anderem durch das derzeitige Modell des Neoliberalismus auftreten.
Natürlich spricht nichts dagegen, die konkreten Vorschläge für Veränderungen in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen, mit abstrakten Diskursen gegen den Neoliberalismus ist auch in Brasilien kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Aber die Alternative kann wohl nicht sein, den Schaum vor dem Mund durch einen Wahlkampf mit rosaroter Zuckerwatte zu ersetzen. Die Erfolglosigkeit spricht gegen Erundina. Marco Aurélio Garcia, Parteisekretär für internationale Fragen, sieht zwei Hauptgründe für die Niederlage der PT in Sâo Paulo: “Wir haben es nicht verstanden, eine starke Opposition gegen Maluf aufzubauen. Unsere Niederlage begann vor drei Jahren, als es uns nicht gelang, diese Opposition zu machen.” Der zweite Grund liegt für Garcia in der Schwäche der sozialen Bewegungen. “Die Krise hat die sozialen Bewegungen zersetzt und das hatte großen Einfluß in Sâo Paulo.”
Wenn zwei sich streiten…
Das Ergebnis von Sâo Paulo ist jedenfalls ein Rückschlag für die innerparteilichen Kräfte, die die PT in eine Partei der “Mitte” (auch andere Denominierungen wie “moderne linke Partei” werden gehandelt) transformieren wollen. Aber es gibt noch weitere Gründe für das enttäuschende Abschneiden der PT in einigen Städten. Die schmerzlichste Niederlage mußte die PT wohl in Santos einstecken. Dort ist die PT seit acht Jahren an der Regierung – mit beachtlichem Erfolg und großer Zustimmung. Aber die Auswahl der Kandidatin (zwei Frauen standen sich gegenüber) für die Wahl ’96 führte zu einer schweren innerparteilichen Zerreißprobe. Der ehemaligen Bürgermeisterin Telma da Souza, die sich schließlich gegen die Kandidatin des aktuell amtierenden Bürgermeisters durchsetzte, gelang es nicht, die innerparteilichen Differenzen zu überwinden und scheiterte am Wahltag. Santos zeigt auch, daß bei den mit harten Bandagen ausgetragenen Konflikten der verschiedenen Tendenzen innerhalb der PT am Ende alle verlieren. Telma gehört eher dem “rechten” Parteiflügel an. Ihr Argument, daß sie als “gemäßigte” für die WählerInnen akzeptabler sei, stellte sich schließlich genauso als Trugschluß heraus wie die Kampagne des “Ja” in Sâo Paulo.
Die beiden Erfolgsstorys der PT – Porto Alegre und Belém – legen Schlüsse nahe, die aus dem simplifizierenden rechts-links oder radikal-gemäßigt Schema herausführen. In Porto Alegre wird die PT nun zum dritten Mal den Bürgermeister stellen. Die Auswahl der Kandidaten verlief geordnet und versuchte ein innerparteiliches Gleichgewicht herzustellen. Der jetzt gewählte Bürgermeister Raul Pont gehört, anders als sein Vorgänger, dem linken Parteiflügel an, der trotzkistischen Gruppe “Demokratischer Sozialismus”. Aber er wurde nicht gewählt aufgrund eines personalisierten Wahlkampfes, sondern aufgrund einer achtjährigen kompetenten Politik, die mit dem Konzept des “partizipativen Haushaltes” ein Exempel alternativer Kommunalpolitik geschaffen hat.
Auch der neue Bürgermeister von Belém, Edmilson Rodriguez, gehört dem linken Parteiflügel an. Er profitierte wesentlich von dem Verschleiß der traditionellen Eliten, die sich dazu noch untereinander einen Schmutzwahlkampf lieferten. Eine gespaltene Rechte war in vielen Fällen ein wichtiges Moment für den Aufstieg der Linken. Edmilson gelang es geschickt, sich demgegenüber als unverbrauchter und nicht korrupter Politiker darzustellen. Hinzu kam, daß die “militantes”, die Aktivisten der PT und der sozialen Bewegungen, sich mit dem Aufstieg des Kandidaten – der seine Kampagne mit hoffnungslosen fünf Prozent in den Umfragen begann – mobilisieren ließen und einen intensiven Wahlkampf in den Armenvierteln Beléms organsierten. Schließlich setzte sich Edmilson mit 58 Prozent (!) der Stimmen gegen den Geldwahlkampf des Bürgermeisterkandidaten durch. Am 15. November war Belém in ein Meer roter Fahnen verwandelt. Hier zeigte sich, wo die traditionelle Stärke der PT liegt: als Partei des “Basta” gegen die Mißwirtschaft und Korruption der Eliten, als Hoffnungsträger für radikale Änderungen.
Sâo Paulo – Schwarzer Bürgermeister aus der Retorte
Mit der Wahl Celso Pittas regiert zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens ein Schwarzer die größte Stadt Brasiliens. Aber seine Wahl, die in der internationalen Presse mit Aufmerksamkeit registriert wurde, symbolisiert weniger die zunehmende Akzeptanz der Schwarzen in einer rassistischen Gesellschaft, als den Erfolg des bisherigen Bügermeisters Maluf, der Pitta als seinen Kandidaten ausgewählt hatte. Pitta war ein öffentlich unbekannter Geschäftsmann (Angestellter in der Firma eines Bruders von Maluf) als er überraschenderweise nach Ausfall anderer Kandidaten (wegen Korruptionsvorwürfen) von Maluf 1992 zum Finanzsekretär der Stadt ernannt wurde. Unauffällig blieb Pitta auch in diesem Amt. Symptomatisch ist nun, wie er zum Kandidaten gekürt wurde. Maluf ließ von jedem möglichen Kandidaten Videos erstellen und ließ diese anschließend von US-amerkanischen Marketing-Experten auswerten. Das Ergebnis war die Empfehlung zugunsten von Pitta. Freundlich, smart, immer gut angezogen, kontrastiert seine Erscheinung mit dem hemdsärmeligen Populismus des häßlichen Maluf. Pitta wurde lanciert wie ein Konsumprodukt. “Ein Joghurt”, kommentierte die Konkurrenz. Aber seinen Wahlerfolg verdankt er ausschließlich Maluf. Der Wahlkampf war von einer einzigen Botschaft dominiert: Das ist der Mann, der die Bauarbeiten von Maluf fortführt.
Hyäne im Schafspelz
Das eigentliche Ergebnis der Wahlen ist also die Stärkung Malufs, der schon der letzte (und damals unterlegene) Kandidat der Militärdiktatur für das Präsidentschaftsamt war. Als Rechtsaußen der brasilianischen Politik wurde er mit Haider oder le Pen verglichen. In Lateinamerika mag der Erfolg von Alemán in Nicaragua eine gewisse Parallele sein. Maluf ist mit der Wahl seines Nachfolgers zum unumstrittenen rechten Gegenpol zu Präsident Fernando Henrique aufgestiegen. Abzuwarten bleibt aber, ob sein Einfluß weit über Sâo Paulo hinausgeht. Maluf hat auch wenig Spielraum für eine systematische Opposition gegen die Regierung, weil Bürgermeister und Gouverneure seiner Partei aufgrund hoher Schulden auf Abkommen mit der Zentralregierung angewiesen sind. Seinen Erfolg in Sâo Paulo verdankt Maluf vorwiegend einer geschickten Mischung von modernem Marketing und traditionellster Politik. “Obras”, Bauarbeiten durchziehen die Stadt und hinterlassen überall die sichtbaren Monumente seiner Amtszeit. Mit dem Projekt “Neues Singapur” verspricht Maluf, die Favelas durch Billighochhäuser zu ersetzen. Auch wenn die Opposition den marginalen Effekt dieses Projektes aufzeigen konnte, gelang es Maluf doch, auf nationaler Ebene ein – wenn auch polemisches – Zeichen für seine Sozialpolitik zu setzen. Ansonsten profiliert sich Maluf mit dem traditionellen Diskurs rechter Politik: law an order und nationalistische Töne mit Angriffen auf das ausländische Kapital. Mit Anspielung auf sein modernisiertes Marketing wurde er als “Hyäne im Schafspelz” bezeichnet.
Zurück zu Pitta. Bleibt nicht doch ein symbolischer Rest? Schwer zu sagen. Orginalton Luiza Erundina, die sich ansonsten mit polemischen Tönen sehr zurückhielt: “Celso Pitta sagt, er habe eine schwarze Haut. Aber er hat den Kopf und das Verhalten eines weißen Schweinehundes (um branco safado)”.
KASTEN
Abgeordneter – ein Job, der sich lohnt.
Das Ansehen von PolitikerInnen mag in Brasilien das allerschlechteste sein, in Wahlkampfzeiten fehlt es dennoch nicht an KandidatInnen. Die Erklärung ist einfach. Die Mühen des Wahlkampfes werden oft mit fürstlichen Gehältern belohnt. Beispiel Belém, eine Stadt mit etwas über einer Million EinwohnerInnen. Dort verdient ein Abgeordneter im Kommunalparlament 3513,- Reais, schlappe 5000,- DM. Mit diesem Hungergehalt sind die Herren und Damen aber nicht mehr zufrieden und haben sich für 1997 schon eine Gehaltserhöhung bewilligt: knapp 4500,- Reais sind es dann, mehr als 6700,- DM. Aber das ist bei weitem nicht alles. Jede(r) Abgeordnete hat ein Recht auf fünf (!) persönliche MitarbeiterInnen mit einem Gehalt von jeweils etwa 1700,- Reais oder 2500,- DM.
Belém liegt mit seinen Gehältern vielleicht im guten Mittelfeld. Einige kleinere Munizipien, besonders solche, die aufgrund von Großprojekten erhöhte Steuereinnahmen haben, zahlen weit höhere Gehälter, oder besser gesagt, die Abgeordneten bewilligen sich diese Gelder. In Belém hat sich eine Bürgerinitiative formiert, die solch eine Absahnmentalität nicht mehr hinnehmen will. (tof)