Musik | Nummer 293 - November 1998

„Salsa ist ein Konzept“

Interview mit dem in New York lebenden puertorikanischen Salsero Willie Colón

Willie Colón, genannt El Malo, der Böse. Sein Name ist untrennbar mit der Salsa verbunden. Er verband die Erfahrungen eines Latinojugendlichen der 60er Jahre im New Yorker Barrio mit den Rhythmen der Karibik. Schon als Teenager stand er bei dem New Yorker Salsa-Label Fania unter Vertrag. In den 70ern gelang ihm, zusammen mit Rubén Blades der ganz große Erfolg.

Peter Desmet

Sie haben schon sehr früh mit der Musik angefangen.

Das stimmt. Ich war ein Teenager und wir spielten mit unseren Gruppen auf der Straße. Mit sechzehn hatte ich einen ersten Hit, El Malo, mit dem ich einen Plattenvertrag kriegte. Einer meiner ersten Songs kam auch in Panama groß heraus. Obwohl wir wahrscheinlich schlecht spielten, konnte ich mit meiner Gruppe direkt eine Tournee in Panama machen. Dort wurden wir von dem inzwischen verstorbenen Al Santiago entdeckt, der eine wichtige Figur der Salsamusik war. Er verschaffte unter anderem Ricardo Ray, Johnny Pacheco und Charlie Palmieri erste Plattenverträge. Alle diese Talente spielten für Allegre Records. Als wir unsere erste Langspielplatte gemacht hatten, ging Allegre Records pleite und die Platte blieb im Lager liegen. Eines Tages habe ich meine Platte zu Jerry Masucci und Johnny Pacheco von Fania Records gebracht. Damit hat alles angefangen.

Welches Genre habt ihr gespielt?

Wir spielten eine Mischung aus verschiedenen lateinamerikanischen Rhythmen. Jeden Rhythmus, den wir kannten, haben wir für unser Repertoire genutzt. Panamesische punto tamborito, kolumbianische cumbia, venezolanische gaita, das war uns egal. Die Veteranen des kubanischen Son sagten uns, daß das nicht ginge. Aber den Schuh haben wir uns nicht angezogen, und einige Zeit später haben wir uns aus pragmatischen Erwägungen den Ausdruck Salsa zugelegt.

Was ist Ihrer Meinung nach die Definition von Salsa?

Salsa ist kein Rhythmus. Salsa ist ein Konzept, womit man Musik produziert: das Zusammenbringen einer Vielzahl von Elementen. Es ist ein lateinamerikanisches Konzept, das für viele Einflüsse offensteht und das breit interpretiert werden soll. Im übrigen besteht darüber eine ziemliche Verwirrung. Manche sagen, Salsa ist kubanischer Son. Das ist verkehrt. Son macht wohl eher ein Teil der Salsamusik aus.

Wie erklären Sie sich den Erfolg der Salsa?

Salsa ist nicht umsonst in New York entstanden. Die Latino-Community von New York ist ein zusammengestoppeltes Flickwerk aus mehreren Nationalitäten. Die Salsa hat ihnen eine gemeinsame Identität gegeben. Die Salsamusik ist als vollwertiges Genre in so verschiedenen Ländern und Kulturen wie Mexiko, Venezuela, Europa und sogar Japan anerkannt. Nirgendwo wird das Genre mit einem spezifischen Land assoziiert. Im Gegenteil, alle lateinamerikanischen Länder haben ihre eigenen Salsagruppen. Wir können getrost feststellen, daß die Salsa ein lateinamerikanisches Genre ist. So hat die Musik die Einheit verwirklicht, die auf politischer und sozialer Ebene weit entfernt ist.

Ein sehr wichtiger Schritt in Ihrer Karriere war die Begegnung mit Rubén Blades.

Ich habe Rubén bei der Aufnahme meiner Langspielplatte Lo bueno, lo malo y lo feo kennengelernt. Er erzählte mir, daß er es satt hatte mit den anderen Musikern, weil die nicht verstanden, was er wollte. Er bekam einen Vertrag bei Fania, sang für die oben genannte Platte und später für Ray Barreto und Larry Harlow. Fast jeden Tag kam er bei mir vorbei, um mich davon zu überzeugen, eine Gruppe mit ihm zu gründen. Ich blieb dazu immer auf Distanz, bis mich Blades und Jerry Masucci überrumpeln konnten, es doch einmal zu versuchen. Unsere erste gemeinsame Platte war Metiendo Mano. Danach haben wir sechs Jahre zusammengearbeitet.

Warum seid ihr 1982 auseinander gegangen?

Wir hatten schon soviele Sachen zusammen gemacht und sind beide starke Charaktere. Ich hatte einige Reisen geplant, und mir vorgenommen, meinen Gesang zu verbessern. Am Anfang meiner Solokarriere wurde ich als Sänger nicht akzeptiert. Zum Glück war Solo sin poderte hablar auf meiner ersten Soloplatte ein erfolgreiches Lied, das mir Platz machte. Die darauffolgende Platte Fantasmas wurde unerwartet ein Volltreffer in Venezuela. Ich habe davon 350.000 Exemplare verkauft, was mir endlich den Respekt der Plattenfirmen einbrachte.

Ist es nicht erstaunlich, daß jemand wie Sie nach so vielen Jahren des Erfolgs Probleme hat, als Solist zum Zug zu kommen?

Sie hatten alle Angst. Wenn ich den Firmen erzählte, daß ich genug Songs hatte, um eine Platte aufzunehmen, haben sie mich gefragt, wer die denn singen würde. Als sie dann hörten, daß ich das selbst vorhatte, bekam ich nur ablehnende Reaktionen. Plattenfirmen sind wie Banken. Sie sind steinhart und nicht sentimental. Das einzige, was zählt, ist, wieviel Exemplare du von deiner letzten Platte verkauft hast.

Was ist das Geheimnis Willie Colóns, auf so hoher Ebene so lange durchzuhalten?

Man muß den Mut haben, sich nicht anzupassen. Ich habe immer viel experimentiert. Selbstverständlich ist es auch sehr wichtig, wie man die Gruppe zusammensetzt. Ich selbst hatte immer das Glück, gute Musiker zu finden, die nicht nur ihre Noten spielen und das Geld abholen, sondern mit offenem Geist die Musik lieben. Auf der anderen Seite muß ich gestehen, daß das echte Geheimnis des Erfolgs mir noch immer unbekannt ist. Wenn ich gezielt versuche, einen früheren Erfolg zu kopieren oder zu wiederholen, geht das stets schief. Erfolg bleibt ein Roulette.

Wie kommt es, daß die erfolgreiche Salsa Brava der 70er Jahre, an die viele nostalgisch zurückdenken, scheinbar nicht mehr zurückkommt? Mit anderen Worten, was passierte mit der Salsa?

Alles hat sich geändert, nachdem die Musik sich als einträglich erwies. Von dem Moment an entschwand die Salsa den Musikern und fiel in die Hände der Plattenmultis. Jetzt setzt man sich mit einem Kalender an einem Tisch zusammen und plant sorgfältig. Man entscheidet, die Platte X im Monat Y herauszubringen. Danach wird der Künstler angerufen und ihm mitgeteilt, welches seine Songs und wer seine Arrangeure sind. Salsa wird nicht mehr wie früher auf der Straße kreiert. Die Plattenmultis haben den ganzen Prozeß in die eigenen Hände genommen, damit sie sicher gehen, daß solch ein Produkt rechtzeitig fertig ist. Sie kontrollieren wirklich alles.
Ich weiß, daß die Arbeit früher schwieriger war. Damals kam es mehr auf Genialität und Temperament der Musiker an. Es war authentischer. Für die Gruppen war es wichtig, total andere Töne als ihre Kollegen von sich zu geben. Man strebte nach Eigenheit. Jetzt erleben wir genau das Gegenteil. Alle Gruppe wollen gleich klingen und die Songs werden nach Titeln des Genres modelliert, die sich als kommerziell erfolgreich erwiesen.

Macht Sie das nicht mutlos?

Ich strebe noch immer nach den alten Idealen, aber es ist schwieriger geworden. Die Ehrlichkeit von Gruppen wie meiner ist meilenweit entfernt von den Produkten der meisten Salsabands aus der großen Musikfabrik.

Sie sind – zusammen mit Rubén Blades – einer der Gründer der gesellschaftskritischen Salsa. Wie sehen Sie das im Rückblick?

Die Salsa entstand in den Barrios New Yorks während einer politisch sehr konfliktreichen Periode. Ende der 60er gab es in den Vereinigten Staaten noch eine Art von amerikanischer Apartheid. Migranten, die sich diskriminiert fühlten, suchten nach ihren Wurzeln. Dies manifestierte sich natürlich auch in der Musik. Schon bevor die echte militante Salsa entstand, wurde in der Musik politischer und sozialer Protest hörbar.
Heute wollen die Plattenmultis nichts mehr davon hören. Sie tun alles mögliche, um die Politik aus den Musiktexten herauszuhalten. Als ich vor einiger Zeit endlich Unterschlupf bei einer großen Plattenfirma fand, dachte ich, nun sicher zu sein. Aber die erste Bemerkung, die sie machten, war: „Willie, warum machen wir keine Musik, die die Leute zufrieden stimmt und worauf sie tanzen können?“ Ich war völlig erstaunt, daß sie für meinen Vertrag soviel Geld bezahlten und doch keine Ahnung von meinen musikalischen Vorzügen hatten. Plattenfirmen wollen die Dissonanz nicht fördern, weil sie selbst einen Teil des Problems ausmachen.

Können Sie etwas mehr über Ihre politische Karriere erzählen?

Seit Anfang der 70er Jahre bin ich in New York sehr aktiv. Als Independista streite ich für die Unabhängigkeit Puerto Ricos. Während meiner Reisen durch Lateinamerika habe ich erkannt, daß eine Veränderung notwendig ist, und daß die Musik dafür eine perfekte Plattform ist. Deshalb bin ich auch Mitbegründer und Präsident der Schaumburg Coalition for a better New York, eine Gruppe, die sowohl aus Schwarzen als auch Latino-Minderheiten besteht. 1994 wurde ich gefragt, ob ich mich als Kandidat für die Vertretung eines New Yorker Bezirks im Kongreß aufstellen lassen würde. In diesem Bezirk sind 20 Prozent der Bevölkerung Latinos. Es war eine schöne Erfahrung, mit Leuten zu sprechen, mit zu organisieren usw. Wir hatten nur nicht genug Geld, um gegen die Parteimaschinen anzukämpfen. Schließlich bekamen wir 41 Prozent der Stimmen. Das war genug, den anderen Parteien einen Schrecken einzujagen. Jetzt wird unsere Organisation ernst genommen, und wir wissen, wie wir die nächsten Wahlen anpacken müssen.

Passierte Ihnen dasselbe wie Rubén Blades in Panama, als seine Sängerkarriere gegen ihn ausgespielt wurde? [Blades trat 1994 in Panama als Präsidentschaftskandidat an, d.Red.]

Das ist natürlich die ausgewiesene Taktik der professionellen Politiker. Ich selbst habe aber nie einen Unterschied zwischen der Musik, dem Leben oder der Politik gemacht. Es sind ja alles Facetten derselben Wirklichkeit. Im Augenblick denkt die öffentliche Meinung mehr in Schubladen. Das muß sich ändern. Die Latino-Bevölkerung kann entweder einem Präsidenten zur Macht verhelfen oder sie ihm wieder abnehmen. Nur muß nach einer gemeinsamen Wahlagenda gesucht werden. Die Juden und Afro-Amerikaner machen das schon seit Jahrzehnten, aber die Latinos schwatzen noch.

aus: América Ventana, April 1998
Übersetzung: Petra Wessels

KASTEN:
New York, paisaje de acero
no sé si te odio, no sé si te quiero
cuando estoy contigo
me siento inquieto por largarme
cuando estoy lejos, loco por mirarte;
Nueva York, selva de concreto
mi corazón guarda el secreto;
en tus labios latinos
yo ví por primera vez
las tradiciones de mis abuelos;
mágica ciudadela de sueños dorados
capital de desilusiones
no sé como ni por qué me lleva embrujado
donde quiera me recuerdo de New York…

New York, Landschaft aus Stahl
Ich weiß nicht, ob ich Dich hasse
oder ob ich Dich liebe
Wenn ich bei Dir bin,
kann ich es kaum erwarten wegzukommen,
bin ich fern, dann bin ich verrückt
danach, Dich wiederzusehen;
New York, Dschungel aus Beton,
mein Herz hütet das Geheimnis:
von Deinen Latino-Lippen
vernahm ich zum ersten Mal
die Traditionen meiner Vorfahren;
magische Zitadelle aus goldenen Träumen,
Hauptstadt der Desillusionen
ich weiß weder wie
noch warum Du mich so verhext hast,
egal wo ich bin,
ich erinnere mich an Dich, New York…

Turbulencias latinas.
Version von Willie Colón

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