Brasilien | Nummer 451 - Januar 2012

Schmierentheater in Brasília

Die Parlamentsvertretung der Agrarlobby setzt sich mit einem neuen Waldgesetz durch

Mit einer Gesetzesänderung werden in Brasilien nun Kahlschlag und Waldzerstörung legalisiert. Die Agrarindustrie jubelt über die Entscheidung, Umweltorganisationen befürchten das Schlimmste. Die Mehrheit der Brasilianer_innen lehnt indes die Aufweichung des Waldschutzes ab. Präsidentin Dilma Rousseff könnte noch ihr Veto einlegen.

Gerhard Dilger

Die Verabschiedung des neuen brasilianischen Waldgesetzes Código Florestal wird immer mehr zur Telenovela: Am 6. Dezember verabschiedete der Senat mit 59 zu acht Stimmen jene Reform, gegen die Brasiliens Umweltbewegung seit Monaten Sturm läuft. Damit wird die Zerstörung hochsensibler ökologischer Schutzgebiete im ganzen Land legalisiert. Nun muss das Abgeordentenhaus, das bereits im Mai eine noch radikalere Novelle zugunsten großer Farmer_innen verabschiedet hatte, erneut abstimmen.
Vor der Unterzeichnung des Gesetzes hätte Präsidentin Dilma Rousseff allerdings noch die Möglichkeit, ihr Veto gegen umstrittene Passagen einzulegen. Im Wahlkampf 2010 hatte sie öffentlich gelobt, keinem Gesetz zuzustimmen, das eine Amnestie für Waldzerstörer_innen enthalte – darauf pocht die Umweltbewegung. Denn genau dies zeichnet sich jetzt ab: Die Novelle sieht Straffreiheit für jene Landbesitzer_innen vor, die bis Juli 2008 die gesetzlich vorgeschriebenen Schutzgebiete zerstört haben. Größere Grundstücke, im Amazonasgebiet fangen sie bei 440 Hektar an, müssen allerdings teilweise wiederaufgeforstet werden. Um das Gesetz noch 2011 unter Dach und Fach zu bringen, hatte sich die Regierung mit den ruralistas, der Lobby der Agrarindustrie, bereits im Vorfeld geeinigt. Ausgerechnet Senator Jorge Viana von Rousseffs Arbeiterpartei PT, ein früherer Mitstreiter der Umweltikonen Chico Mendes und Marina Silva, koordinierte die Ausarbeitung der Senatsnovelle. Dank ihr würden in den kommenden zwanzig Jahren je 20.000 Quadratkilometer wiederaufgeforstet, behauptet er.
Theoretisch müssten nur 210.000 Quadratkilometer im ganzen Land aufgeforstet werden, meint der Agronom Gerd Spavorek. 60 Prozent oder 340.000 Quadratkilometer an bereits vernichteten Schutzgebieten seien davon jedoch nicht betroffen. Erlaubt wäre aber auch die Anpflanzung von Eukalyptus oder Ölpalmen, Plantagen also, vorgesehen sind zudem großzügige Übergangsfristen.
Die PT hat sich mittlerweile nahezu vollständig der Agrarlobby unterworfen, nur Senator Lindbergh Farias aus Rio scherte aus. Die Präsidentin schätzt die industrielle Landwirtschaft als Devisenbringer: Agrarprodukte, allen voran Soja und Rindfleisch, machen 37 Prozent der brasilianischen Exporte aus. Führende Vertreter des Agrobusiness wie „Sojakönig“ Blairo Maggi oder Kátia Abreu vom Farmerverband CNA sitzen selbst im Senat.
„Wir haben die Diktatur der Umweltschützer beendet“, jubelte Abreu, der bereits 2010 von Waldschützer_innen die ruhmhafte Auszeichnung „Goldene Kettensäge“ verliehen wurde. 2010 hatten rund 50 Parlamentarier_innen üppige Wahlkampfspenden von solchen Firmen erhalten, die von der künftigen Amnestie profitieren werden, berichtete die Tageszeitung Folha de São Paulo. Dennoch stehen die großen Medien per Saldo klar auf der Seite der ruralistas, das große Regionalblatt Zero Hora aus Porto Alegre etwa ignoriert die Argumente der Ökobewegung und vergleicht ein mögliches Veto der Präsidentin mit einem Putsch.
Während der Debatte handelten rechte Parlamentarier_innen und deren Assistent_innen Dutzende zusätzliche Gesetzesänderungen aus. Ohne dass die meisten Senator_innen wussten, worum es im Einzelnen ging, stimmten sie spätabends en bloc darüber ab. Selbst drei Tage nach diesem Votum war immer noch unklar, was denn genau beschlossen wurde. Auf der Webseite des Senats waren die Gesetzesänderungen immer noch nicht eingestellt. Für die armen Urwaldbewohner und die Umwelt setzten sich vor allem die beiden Senatoren der linken Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) ein. Randolfe Rodrigues und Marinor Brito aus dem Amazonas-Bundesstaaten Amapá und Pará stimmten „im Namen all jener, die bei der Verteidigung des Urwalds ihr Leben gelassen haben“, gegen das Gesetz. Im einst fortschrittlich regierten Amapá, das an Französisch-Guyana grenzt, droht nun die ganz legale Zerstörung von 8.000 Quadratkilometern Primärwald. Weil über 65 Prozent seiner Fläche aus Nationalparks und Indigenengebieten besteht, sollen auf Privatarealen nur noch 50 Prozent geschützt werden. Im übrigen Amazonien bleibt es bei 80 Prozent. Höhepunkt des Absurden: Die drei Senatoren aus Amapá, die diese Bestimmung übereinstimmend streichen wollten, neben Rodrigues Ex-Gouverneur João Capiberibe und Senatspräsident José Sarney, wurden von ihren Kollegen aus den anderen Bundesstaaten überstimmt.
Die Aufweichung des Waldgesetzes betrifft aber nicht nur den Regenwald im Amazonasgebiet. Im ganzen Land sollen Schutzgebiete an Flussufern zum Teil erheblich verringert und die landwirtschaftliche Nutzung an Berghängen und Kuppen ausgeweitet werden. Schon jetzt kommt es bei heftigen Regenfällen in dicht besiedelten Gebieten regelmäßig zu großen Erdrutschen mit zahlreichen Todesopfern. Eine Woche vor der Abstimmung im Plenum, bei der Debatte im Umweltausschuss, gab sich die Agrolobby bereits siegesgewiss. Acir Gurgacz, Senator des bereits weitgehend entwaldeten Bundesstaates Rondônia, freut sich darüber, dass die „Pioniere“ und ihre Nachfahren in Westamazonien so weitermachen können wie bisher. Der Agronom José Eli da Veiga sagte voraus, das neue Gesetz werde vor allem den „Billigexport von Naturresourcen“ in Form von Rindfleisch beflügeln. Damit widerspreche es den Zielen der brasilianischen Klimapolitik und den Bestrebungen, die einheimischen Betriebe durch Innovationen wettbewerbsfähiger zu machen.
Die wissenschaftliche Community sieht sich weitgehend an den Rand gedrängt. Umfragen zufolge lehnen vier Fünftel der Brasilianer_innen eine Aufweichung des Waldgesetzes ab – im Kongress sieht es genau andersherum aus. Bevor der Senatsausschuss über Vianas Entwurf abstimmte, hatten die Agrarier_innen mit Umweltministerin Izabella Teixeira weitere Erleichterungen ausgehandelt. Empört kritisierte Senator Lindbergh diese „Verhandlungen in der Stille der Nacht“, Teixeiras Vorvorgängerin Marina Silva verurteilte die Sitzung, bei der die Agrarier den „historischen Kompromiss“ feierten, als „Paradebeispiel für die alte Politik“. Die „Trümmer der Umweltgesetzgebung sollen jetzt durch einen Zaun, eine Art grünes Label versteckt werden“, analysiert Silva. Dabei dürfte es bleiben, wie auch immer der definitive Wortlaut des Gesetzes aussehen wird. Im Hinblick auf internationale Klimaverhandlungen hatte sich Brasilien vor zwei Jahren verpflichtet, bis 2020 die Abholzung des Amazonasgebietes um 80 Prozent zu verringern – mit dem neuen Código Florestal dürfte das schwerfallen. Auch weil im kommenden Juni der UN-Umweltgipfel „Rio+20“ in Brasilien stattfindet, hoffen Umweltschützer_innen nun auf das Veto der Präsidentin. Bis Redaktionsschluss war noch nicht klar, ob das Gesetz noch im alten Jahr im Abgeordnetenhaus zur Abstimmung kommt und anschließend unterzeichnet wird. Die ruralistas waren gespalten: Manche lehnen die sanften Korrekturen des Senats ab, die meisten dürften sich aber der Linie Abreus anschließen, die die Senatsnovelle als den größten Durchbruch der letzten 15 Jahre feierte. Die Ökobewegung, angeführt von Marina Silva, spielt auf Zeit – je länger sich die Debatte hinzieht, desto größer dürfte der Druck auf Rousseff werden, in Brasilien selbst wie auch aus dem Ausland.

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