Schöne Worte gegen AIDS
Die Welt-AIDS-Konferenz findet erstmals in Lateinamerika statt
Glaubt man den Verlautbarungen des mexikanischen Gesundheitsministers, hat er sich ganz dem Kampf gegen AIDS verschrieben. Eine regionale Initiative zur Verbesserung der Prävention und Behandlung „unabhängig von der sozialen Situation“ will José Ángel Córdoba Villalobos auf einer Konferenz anstoßen, die parallel zur Welt-AIDS-Konferenz in Mexiko-Stadt die GesundheitsministerInnen Lateinamerikas versammeln soll. Das Engagement mag verwundern, denn noch letztes Jahr protestierte Córdoba Villalobos gegen Präventions-Spots im mexikanischen Fernsehen mit der Begründung, dabei würden nur hoch riskante Sex-Praktiken propagiert.
Auch Staatspräsident Felipe Calderón will ein Zeichen setzen und wird anwesend sein, wenn Anfang August die Konferenz eröffnet wird. Zu dem internationalen Treffen von MedizinerInnen, HIV-/AIDS-AktivistInnen, staatlichen Gesundheitsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) werden rund 25.000 TeilnehmerInnen erwartet. Nach der letzten Welt-AIDS-Konferenz, 2006 in Toronto, soll nun eine bislang weniger beachtete Region in den Fokus genommen werden. Denn auch in Lateinamerika ist die Zahl der HIV-Positiven gestiegen. Lateinamerika und die Karibik sind mit offiziell 1,8 Millionen Infizierten zwar weniger stark betroffen als das subsaharische Afrika, wo im vergangenen Jahr 22,5 Millionen Fälle dokumentiert waren. Wenn es um den Anteil von Betroffenen an der Gesamtgesellschaft geht, steht die Karibik jedoch weltweit schon an zweiter Stelle. Notwendige medikamentöse Behandlung erhält dort durchschnittlich nur ein Viertel der Betroffenen. Besonders problematisch ist die Situation in Haiti und auf den Bahamas, wo mehr als drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung infiziert sind. Auf dem Festland führen Belize und Honduras die Statistiken an. In absoluten Zahlen ist das bevölkerungsreiche Brasilien das Land Lateinamerikas mit den meisten Infizierten – hier lebt ein Drittel der HIV-Positiven des Kontinents. Insgesamt hat sich in Lateinamerika und der Karibik die Zahl der Fälle im Vergleich zu 2001 um 340.000 erhöht. Allein im letzten Jahr wurden in der Region 117.000 Neuinfektionen sowie 69.000 AIDS-Todesfälle registriert.
Auf der alle zwei Jahre stattfindenden Konferenz wird über den aktuellen Stand der medizinischen Forschung, die gesundheitliche Versorgung von bereits an AIDS Erkrankten, Präventionsarbeit und über den Kampf gegen die Diskriminierung von Betroffenen debattiert. NRO haben nun für den
7. August eine Massendemonstration zum Tagungszentrum angekündigt, wo den EntscheidungsträgerInnen ein Forderungskatalog überreicht werden soll. In dem Dokument wird verlangt, die vollmundigen Versprechungen der letzten Konferenz zu erfüllen. Damals hatten führende PolitikerInnen zugesagt, alles in ihrer Macht Stehende tun zu wollen, um bis 2010 weltweit umfassende Präventionsprogramme sowie den Zugang zu Behandlung, Pflege und Unterstützung für mindestens 10 Millionen Betroffene zu erreichen.
Notwendige medikamentöse Behandlung erhält in der Karibik durchschnittlich nur ein Viertel der Betroffenen
Die Zwischenbilanz ist jedoch ernüchternd. Auch heute ist der Zugang zu Medikamenten und Hilfeleistungen gerade den am stärksten Betroffenen verwehrt. Dies liegt zunächst am Versagen nationalstaatlicher Gesundheitsprogramme. Zwar war 2001 von der UNO beschlossen worden, von allen Mitgliedsstaaten zweijährlich einen Fortschrittsbericht über die Entwicklungen im Kampf ihres Landes gegen die Immunschwächekrankheit zu verlangen. Darüber hinausgehende verbindliche Verpflichtungen ergeben sich jedoch nicht. Als wirksame Mittel im Kampf gegen HIV und AIDS gelten umfassende Präventionsarbeit und die Unterstützung von Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko, die oftmals stigmatisiert und diskriminiert werden. AktivistInnen verlangen daher gezielte Kampagnen zum Abbau von Vorurteilen. Dies betrifft in erster Linie Männer, die Sex mit Männern haben, SexarbeiterInnen und Heroin-KonsumentInnen. Auch eine umfassende Sexualaufklärung von Jugendlichen und der Zugang zu Kondomen werden gefordert. Erschwert werden solche Maßnahmen allerdings durch selbsternannte Moralapostel. So predigt die katholische Kirche vielfach noch Enthaltsamkeit und Treue als Mittel gegen AIDS – und liefert ihre fehlbaren AnhängerInnen einer Infektion mit dem Virus aus. Zudem ist in vielen betroffenen Staaten der Zugang zu Medikamenten nur den Zahlungskräftigen möglich. Der Mangel an kostenloser Gesundheitsversorgung für alle und der Gewährleistung des Rechts auf Gesundheit werden zumeist mit unzureichenden Ressourcen begründet. Fehlende Infrastruktur und Korruption tun ihr Übriges.
2007 starben weltweit zwei Millionen Menschen an den Folgen von AIDS
Die wohl entscheidende Ursache für die desolate Situation lässt sich jedoch in einem anderen Bereich ausmachen: in der marktförmigen Organisation von Forschung und Distribution im Bereich des Gesundheitswesens. Während Pharmaunternehmen weiterhin die Maximierung von Profit in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen, starben im letzten Jahr weltweit rund zwei Millionen Menschen an den Folgen von AIDS. In der EU und den USA ansässige Pharmakonzerne beharren nach wie vor auf dem Schutz ihrer Patente und wissen derlei Interessen durch eloquente Lobbypolitik durchzusetzen. Die so genannte weltweite „Harmonisierung“ des Patentschutzes behindert die Versorgung des Südens mit bezahlbaren Medikamenten – nicht nur im Fall von AIDS.
Von einer Therapie, die die Krankheit heilen könnte, oder Impfstoffen gegen die Infektion ist die Wissenschaft noch immer weit entfernt. Bereits seit 1996 existiert zwar eine medikamentöse Behandlung, die die Viruslast der Betroffenen senkt. Der offene Ausbruch der Krankheit kann so hinausgezögert und die Lebenserwartung erheblich gesteigert werden. Nach einigen Jahren entwickelt das Virus im Körper jedoch Resistenzen gegen diese erste Generation antiretroviraler Medikamente. Ab diesem Stadium kann eine weiterentwickelte zweite Generation der Präparate eingesetzt werden. Derzeit arbeiten ForscherInnen bereits an weitergehenden Medikamenten. Für die erste Generation werden vielfach Generika eingesetzt – gleichwertige Nachahmerprodukte zum Billigpreis. Die Produktion in Konkurrenz zu den Pharmakonzernen des Nordens bewirkte eine Preissenkung um bis zu 90 Prozent. Indien, das ein Schlüsselland der Generikaproduktion ist, muss sich seit 2005 im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) allerdings der Bindung an neue Patente fügen – ein herber Rückschlag für die Produktion bezahlbarer Medikamente. Im Abkommen über den Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS), das 1995 Bestandteil des WTO-Systems wurde, waren strenge Standards für die Verwertung von Rechten festgelegt worden. 2001 wurde bei einer WTO-Ministerkonferenz in Katar jedoch auch das Mittel der Zwangslizenz bekräftigt. Die in der Erklärung von Doha enthaltene Maßnahme erlaubt es Regierungen, lebensrettende Medikamente „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit“ zwangsweise für die Produktion freizugeben. Drei Länder haben bislang davon Gebrauch gemacht: Südafrika (2001), Brasilien (2001) und Thailand (2006). Thailand stellt nun sogar Generika der zweiten Generation her. Nach Ansicht der NRO Ärzte ohne Grenzen zeigen die Erfahrungen dieser Länder, „dass die Zwangslizenzen viel wirksamer waren, einen Preisrückgang zu erreichen, als Verhandlungen mit Unternehmen um Preisnachlässe oder das Vertrauen auf eine differenzierte Preisgestaltung der Firmen“. Pharmariesen laufen naturgemäß gegen die Umsetzung Sturm. Bilaterale Freihandelsverträge, wie sie von den USA und der EU zunehmend mit einzelnen Ländern geschlossen werden, gehen nun oft über die patentrechtlichen Bestimmungen des TRIPS-Abkommens hinaus. Zwangslizenzen lassen sich so geschickt umgehen. ExpertInnen schlagen daher vor, medizinische Innovationen anstatt mit Patenten generell durch Prämien zu honorieren. Durch die Abkoppelung medizinischen Fortschritts von Nutzungslizenzen könne der Ausschluss der Armen von der Medikamentennutzung verhindert werden.
„Der Marktzugang für preiswerte Generika wird in Mexiko erschwert“
Doch auch pragmatischere Forderungen nach kleinen Schritten auf nationaler Ebene können Leben retten. So forderte in Mexiko-Stadt am 18. Juni eine Gruppe von AIDS-AktivistInnen vor dem Wirtschafts- und dem Gesundheitsministerium eine Vereinfachung des Generika-Imports. Nach den bisherigen Bestimmungen müssen Pharmafirmen, die Medikamente in Mexiko vertreiben wollen, eine eigene Produktionsstätte in dem Land betreiben. Nach Ansicht der DemonstrantInnen werden dadurch große Konzerne mit teuren Medikamenten bevorzugt und der Marktzugang für Billigproduzenten erschwert. Eine andere Aktion gab es Ende Mai in Veracruz. In dem Bundesstaat mit der dritthöchsten Zahl von HIV-/AIDS-Fällen in Mexiko, wurde erstmals eine Volksinitiative zu einem speziellen AIDS-Gesetz eingebracht. Dieses beinhaltet harte Strafen für die Diskriminierung HIV-Positiver sowie Vorschriften für staatliche Forschungs- und Präventionsprogramme. Damit könnten Rechte konkret eingefordert werden. Man darf gespannt sein, wie nun die mexikanische Bundesregierung ihrerseits die Ankündigung universeller Hilfsangebote wahrmachen will.