Brasilien | Nummer 311 - Mai 2000

Schwarze Geschichte

Die Brasilianerin Virgínia Rodrigues lässt zum 500. Jahrestag der „Entdeckung” Brasiliens von sich hören

Auf ihrem zweiten Album Nós widmet sich die Sängerin Virgínia Rodrigues ihrer eigenen, der afro-brasilianischen Kultur des Nordostens

Laurissa Mühlich

Früh begann Virgínia Rodrigues in den in katholischen und protestantischen Kirchenchören Salvador da Bahias ihre warme, kraftvolle Stimme zu ölen. Zudem singt sie seit jeher die rituellen Gesänge in den Gemeinden der afro-brasilianischen Religion Candomblé.
In ihrem Repertoire spielt vor allem die Musik der so genannten Afro Blocos, die jährlich in der Woche des Karnevals lautstark trommelnd durch die Städte des Nordostens ziehen, eine wichtige Rolle. Sie sind als Karnevalsformationen und Kulturinstitutionen besonders in Salvador eine wichtige Stütze des afro-brasilianischen Bewußtseins. Ihre Entstehung beruht auf einem Synkretismus, der die schwarze Kultur Brasiliens seit den Anfängen der Sklaverei geprägt hat: offiziell ordneten sich die in Brasilien versklavten AfrikanerInnen dem christlichen Glauben unter, führten jedoch unter der Oberfläche ihren traditionellen Glauben fort. Auch in Virgínia Rodrigues verkörpert sich der Glaubens- und Lebenshintergrund des afro-brasilianischen Nordostens, dessen musikalischen Reichtum sie auf dem neuen Album auffächert.
Bis sie 1997 bei einer Theaterproduktion des berühmten Afro Blocos Olodum von der Musiklegende Caetano Veloso entdeckt wurde, verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Köchin und Kosmetikerin in einer der Favelas in Salvador da Bahia. 1998 erschien ihr Debütalbum Sol Negro, und seitdem lanciert ihr Protegé Caetano Veloso sie zur neuen Symbolfigur der schwarzen Bevölkerung Salvador da Bahias. So bringt sie mit Nós passend zum 500. Jahrestag der Kolonialisierung Brasiliens ein Album heraus, das die kulturelle Bedeutung der Nachfahren der nach Brasilien verschleppten afrikanischen SklavInnen deutlicher nicht aufs Tapet bringen könnte.
Virgínia Rodrigues versammelt auf ihrer neuen CD mit der Auswahl der Titel eben die Facetten ihrer eigenen und der Geschichte der Schwarzen Brasiliens: Sie eröffnet mit einem spirituellen Gesang an den Gott Exú des Candomblé, der den Kontakt zwischen Mensch und seinem persönlichen Gott (Orixá) herstellt. In Salvador Não Inerte besingt sie von Violinen begleitet aus tiefstem Herzen ihre Heimatstadt Salvador und die Formation Olodum, die dort im alten Stadtkern Pelorinho ihre Wurzeln hat. Viele der folgenden Stücke kennt man bereits von Karnevalsgruppen wie Ilê Ayê, Timbalada oder Afrekêtê, deren Musik sie mit diesem Album einen kammermusikalischen Tribut zollt. Ein Höhepunkt ist das Stück Jeito Faceiro, ein Duett mit Caetano Veloso, in dem die beiden eleganten Stimmen die Lebensatmosphäre Bahias umschreiben. Und schließlich hat sie aus dem Timbalada-Hit Mimar Você ein Liebeslied gemacht, das mit Streicherklängen unterlegt ist und ganz ohne trommelnden Rhythmus allein durch die volle Stimme Virgínia Rodrigues’ unter die Haut geht.

Virgínia Rodrigues, Nós, Hannibal Records, HNCD 1448, im Vertrieb von Palm Pictures.
www.rykodisc.com
www.palmpictures.com

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