Bolivien | Nummer 320 - Februar 2001

Staat ohne Regierung

Der Präsidialamtsminister Walter Guiteras prügelt Frau und Kind

Skandale und Skandälchen hat es einige gegeben in den bisher dreieinhalb Jahren Bánzer-Regierung, aber dies ist schon ein dicker Hund: Der Präsidialamtsminister schlägt seine Frau und Tochter, beschimpft die Presse, besticht und erpresst mehrere Polizisten und belügt eine Woche lang das ganze Volk. Immerhin, mittlerweile nahm er den Hut.

Marc Zackel

Einen wenig glücklichen Jahresbeginn bescherte sich Präsidialamtsminister Walter Guiteras, langjähriger Vertrauter des Ex-Diktators und Präsidenten Hugo Bánzer und bis dato starker Mann der Regierung: Offenbar in betrunkenem Zustand schlägt er am 2. Januar auf Frau und Tochter ein, sodass seine Frau bei der nächsten Polizei-Station erscheint und um Unterstützung bittet, um die Tochter aus dem Haus herauszuholen.
Am nächsten Tag wieder nüchtern, wird der Minister bei der Polizei vorstellig und verlangt unter Drohungen und Versprechungen, dass die entsprechenden Unterlagen vernichtet werden. Als sich die Dienst habenden Polizisten dem zunächst verweigern, schaltet der Minister höhere Polizei-Stellen ein.

Boulevardpresse schlägt zu

Zwei Tage später erscheint die Sensations-Zeitung Extra mit der Nachricht, der Minister Guiteras habe seine Frau geschlagen und dann unter Ausnutzung seiner Amtsmacht veranlasst, die entsprechenden Vermerke in den Polizeiprotokollen zu entfernen. Die Reaktion von Guiteras lässt nicht auf sich warten: Im Regierungspalast gibt er eine Pressekonferenz, in der er sämtliche Vorwürfe bestreitet und die anwesenden Journalisten als Feiglinge und Kanaillen beschimpft.
In den nächsten Tagen liefert die Presse weitere Beweise und Zeugenaussagen, die seriöse La Razón titelt: „Minister Guiteras lügt“; der Minister setzt die Beschimpfungen und Beschuldigungen der Presse fort. Es erfolgt ein öffentlicher Kuss seiner Frau. Der Besitzer von La Razón und Extra erhält anonyme Telefondrohungen und beantragt Polizeischutz für sich und seine Familie.
In einem Gespräch mit dem Presserat gesteht Guiteras letztlich die Schläge gegen seine Frau ein, spielt den Vorfall aber herunter und bestreitet sämtliche weiteren Vorwürfe. Während der gesamten Zeit bleibt die Regierung in Untätigkeit erstarrt. Präsident Bánzer begibt sich in den äußersten Süden des Landes und weiht persönlich ein paar Kilometer Sandpiste ein, die nun ein kleines mit einem etwas größeren Dorf verbinden. Keiner der Ministerkollegen antwortet auf Journalistenfragen, und der Informationsminister teilt lediglich mit, dass die Regierung von den Vorgängen Kenntnis habe, besorgt und gleichzeitig bemüht sei, die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen.
Das Land ist praktisch ohne Regierung. Der Präsident müsste sich entweder hinter den Minister stellen – was aber angesichts der erdrückenden Beweislage nicht geht, oder diesen entlassen – was ihm wegen Guiteras’ faktischer Macht aber auch nicht möglich ist. Um Zeit zu gewinnen, beurlaubt Präsident Bánzer den Minister und setzt einen Interimsminister ein – was jedoch illegal ist, da ein Interimsminister laut bolivianischem Recht nur bei Auslandsreisen oder physischem Gebrechen des Amtsinhabers ernannt werden kann. Walter Guiteras hingegen befindet sich in seinem Haus in La Paz. So bahnt sich eine handfeste Regierungskrise an.

Desolat und senil

Die politischen Eliten, die Führer der Koalitionsparteien, sind wieder einmal abgetaucht, die organisierte Verantwortungslosigkeit übernimmt die Geschäfte. Der Präsident und Regierungschef hört auf zu regieren und wartet auf besseres Wetter. Selten wurde so deutlich sichtbar, wie desolat die Regierung des sich in Richtung Senilität bewegenden Ex-Diktators mittlerweile geworden ist. Ohne das Stützkorsett der US-amerikanischen Drogenbekämpfungsgelder und die Unterstützung der US-Botschaft würde die derzeitige Machtclique vermutlich nach einem letzten Aufbäumen in sich zusammensacken.
Unklar ist, wie es dann weiterginge. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat sich das Land darauf eingerichtet, dem Ende der Amtszeit Bánzer in einer Art Winterstarre entgegenzuharren. Und auch die einzige ernsthafte Oppositionspartei, die MNR von Ex-Präsident Sánchez de Lozada, hält wenig Alternativen für den Umgang mit der massiven sozialen Unzufriedenheit im Land bereit.

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