Nachruf | Nummer 440 - Februar 2011

Tod des tatic

Samuel Ruiz García, Bischof von San Cristóbal, verstarb Ende Januar

Tausende indigene Gläubige aus allen Teilen des mexikanischen Bundesstaates Chiapas fanden sich am 26. Januar in der Kathedrale von San Cristóbal de las Casas ein, um ihrem tatic (Vater) Samuel Ruiz, die letzte Ehre zu erweisen. Am 24. Januar war er im Alter von 86 Jahren gestorben.

Heiko Kiser

Samuel Ruiz wurde als unermüdlicher Verfechter der Menschenrechte weltweit bekannt. Er hatte die Friedensgespräche zwischen den Zapatisten und der mexikanischen Regierung in den 1990er Jahren begleitet, sich für die guatemaltekischen Bürgerkriegsflüchtlinge in den 1980er Jahren eingesetzt sowie ein eigenes Menschenrechtszentrum begründet. Mehrmals wurde er als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt. Im Jahr 2000 wurde er mit dem Simón Bolivar Preis der Unesco und 2001 mit dem Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis geehrt.
Mit nur 37 Jahren wurde Samuel Ruiz zum Bischof der besonders verarmten und indigenen Diözese San Cristóbal ernannt. In Chiapas war es den Indigenen damals noch verboten, den Bürgersteig zu benutzen, viele Fincabesitzer hielten ihre ArbeiterInnen als Leibeigene. In diesem Klima begann der zunächst sehr konservative und paternalistisch agierende Bischof Samuel Ruiz seine Arbeit.
In den 1960er Jahren begann jedoch der Wandel Ruiz‘ zu einem Advokat der Befreiungstheologie und einer indigenen Pastoral. Er nahm am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) teil, sowie an den wegweisenden Bischofskonferenzen 1968 in Medellín, Kolumbien, und 1979 in Puebla, Mexiko. Bald entsandte er indigene Diakone und Nonnen mit priesterlichen Funktionen, bildete indigene KatechetInnen zu religiösen und politischen FürsprecherInnen ihrer Gemeinden aus, unterstützte politische Gruppierungen und nutzte kirchliche Strukturen und Ressourcen zur Organisation der Indigenen.
Nach dem zapatistischen Aufstand wurde ihm die Unterstützung der Guerilla vorgeworfen. Ruiz, der den gewaltsamen Weg stets abgelehnt hatte, entgegnete diesem Vorwurf: „Wenn ich 30 Jahre versucht habe, ein Bewusstsein zu schaffen und meine Katecheten immer noch nicht Wege zur Rückeroberung ihrer seit langem geschändeten Würde suchten, würde ich mich als Bischof in meiner Pastoral gescheitert fühlen.“ Die Zapatisten äußerten sich in einem Abschiedsbrief nach seinem Tod so: „Auch wenn die Differenzen, Uneinigkeiten und Distanzen weder selten noch oberflächlich waren, wollen wir heute den Weg und das Engagement nicht nur einer Person, sondern einer ganzen Strömung in der katholischen Kirche hervorheben.“
Aufgrund seines Engagements und seiner Kirchenpolitik wurde er vielfach angefeindet und Opfer von Attentaten und Verleumdungen. Der Vatikan stand seiner Arbeit offen feindlich gegenüber. Jedoch ist sein Tod für die progressive, katholische Kirche, viele Gläubige und die politische Linke gerade in der aktuellen Situation Mexikos ein schmerzlicher Verlust.


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