Un año sin amor
Pablo ist Ende zwanzig, er lebt in Buenos Aires, ist Schriftsteller, homosexuell und HIV-positiv. In der Annahme, noch innerhalb der nächsten acht Monate zu sterben, beginnt er, seine Geschichte in einem Tagebuch niederzuschreiben. Dabei geht es ihm nicht um das literarische Schaffen. Mit der Selbstverpflichtung zum Schreiben zwingt er sich vielmehr dazu, sich seiner Krankheit und seiner Einsamkeit entgegenzustellen. Auf der Suche nach der Liebe seines Lebens zieht es Pablo durch Pornokinos und Diskotheken in Buenos Aires, bevor er durch eine Anzeige Anschluss in einer Gruppe aus der sadomasochistischen Szene findet und sich in den dominanten Martín verliebt.
Un año sin amor beruht auf dem gleichnamigen autobiographischen Roman von Pablo Pérez, der zusammen mit der Regisseurin Anahí Berneri auch das Drehbuch schrieb. Als Produzenten zeichnen Daniel Burman und Diego Dubcovsky, die als Regisseur und Produzent mit El abrazo partido den Großen Preis der Jury bei der Berlinale 2004 gewannen.
Jenes „Jahr ohne Liebe“ ist das Jahr 1996 – ein entscheidendes für die medikamentöse Therapie von AIDS-PatientInnen. Statt dem hochgiftigen Medikament AZT – das in der Annahme, HIV-Infizierte hätten ohnehin nur eine geringe Lebenserwartung, Mitte der 80er Jahre eingeführt worden war – setzt man nun auf die Behandlung mit so genannten Medikamentencocktails, die die Virusproduktion vermindern sollen.
Überwindung der Einsamkeit
In Pablos eigener Geschichte spielt diese Umorientierung in der antiviralen Therapie eine entscheidende Rolle: Während er zunächst wegen der Bedenken gegenüber deren Wirksamkeit und der zu erwartenden Nebenwirkungen die Therapie mit AZT verweigert, entscheidet er sich jetzt für eine Behandlung mit dem neuen Medikament. Die Kraft zu diesem Schritt erfährt er wohl auch durch die – wenn auch kurze – Liebe zu Martín, denn sie zeigt ihm, dass er trotz der Krankheit lieben und die Einsamkeit überwinden kann.
Trotz einer guten Geschichte als Basis schafft es der Film nicht, das Thema AIDS/HIV im Allgemeinen und die Rolle, die es speziell in Pablos Leben spielt, überzeugend in eine Erzählung zu übertragen. Einerseits ist das Thema AIDS zwangsläufig immer gegenwärtiger Rahmen, andererseits bleibt Anahí Berneri aber Hintergründe schuldig, die Pablos Entscheidung erst gegen und dann für eine Behandlung deutlicher machen würden. Sicherlich erschiene das unerheblich, wenn sich der Film auf Pablos Innenleben, seine privaten Gefühle und Sehnsüchte konzentrieren würde. Aber das ist nicht der Fall: Zwar sieht man immer wieder einem Menschen beim Schreiben seines Tagebuches zu, erfährt dabei aber nur sehr wenig Persönliches über ihn. Letztlich kommt man über eine Außenperspektive auf Pablo nicht hinaus, die Figur bleibt flach und in ihren Beweggründen, Absichten und Beziehungen zu anderen Personen undeutlich. Insbesondere im Zusammenhang mit der kurzen Beziehung zu Martín bleibt das Bild diffus.
Gelassene Alltäglichkeit
In der Rolle des Pablo ist Juan Minujín – bekannt aus einer kleineren Rolle in El abrazo partido – zu sehen, der natürlich wirkt, weil er nicht die pausenlose Verzweiflung zeigt, die man im ersten Moment bei jemandem vermutet, der von sich weiß, dass er HIV-positiv ist. Vielmehr sieht man Pablo in einer beinahe gelassenen Alltäglichkeit, die sich irgendwann sicher auch bei einer solchen Diagnose wieder einstellt. Dennoch, Berneris Debut schwebt irgendwo zwischen distanzierter, nur beobachtender Begleitung und Charakterstudie, ohne eines von beiden tatsächlich zu sein.
Auch ästhetisch wirkt der Film unentschlossen: In einer Szene wird Pablo von einer Krankenschwester eine Injektion gesetzt – in dieser Einstellung zeigt sich Berneris sehr gutes Gefühl für fotografisches Design. Eine andere, sanft gezeichnete Einstellung zeigt Pablo am Meer. Neben überzeugenden Szenen wie diesen schafft es die Regisseurin aber leider nicht, auf die im „jungen, alternativen Film“ scheinbar obligatorische Hand-Wackelkamera zu verzichten. Viele Wechsel der verschiedenen Stile lassen so ein ästhetisches Potpourri enstehen, das ein wenig verwirrt.
Insgesamt erscheint Un año sin amor als ein zu übereilt in Angriff genommener Debutfilm, dem, was die Bilder betrifft, die Ausgeglichenheit und eigenständige Linie fehlen, um ihn als abgeschlossenes Werk wahrnehmen zu können, und der in Bezug auf erzählerischen Ausdruck nicht das fortsetzen kann, was das erste Viertel des Filmes an Einfühlsamkeit noch anzudeuten vermag.
Un año sin amor. Regie: Anahí Berneri; Argentinien 2004; Farbe, 97 Minuten. Der Film wird im Panorama auf der Berlinale (10. bis 20. Februar 2005) gezeigt.