Uruguay bleibt in Familienbesitz
Die Colorancos haben die Stichwahl um die Präsidentschaft gewonnen
Lorenzo Batlle, der Urgroßvater des neuen Staatspräsidenten, regierte das Land von 1868 bis 1872, José Batlle y Ordóñez, sein Großonkel, prägte die Entwicklung Uruguays zwischen 1903 und 1930, und sein Vater Luis Batlle Berres bestimmte die Geschicke des Staates zwischen 1946 und 1959. Mit einem Batlle begann das letzte Jahrhundert in Uruguay, mit einem Batlle wird auch das neue beginnen. Aber: Im neuen Uruguay gibt es nur noch zwei Parteien, die Konservativen und die Progressiven; es gibt keine Farben mehr in der Politik, ab jetzt heißt es Idee gegen Idee. Das alte Regime hat sich gerade noch einmal ins neue Jahrtausend herüber gerettet. Bei der Stichwahl zwischen Jorge Batlle, dem gemeinsamen Kandidaten der beiden traditionellen Parteien Blancos und Colorados, und Tabaré Vázquez, dem Kandidaten des Linksbündnisses Encuentro Progresista-Frente Amplio (EP-FA), erreichte der 72jährige Batlle 51,6 Prozent und der 59jährige Vázquez 44,1 Prozent.
Die Reform der Verfassung von 1996 hat ihren Zweck erfüllt: Der Kandidat mit den meisten Stimmen, die jemals in der Geschichte Uruguays für einen Einzelbewerber abgegeben wurden, ist der Unterlegene. Heute kennen auch diejenigen in der Frente Amplio, die für die Reform votiert hatten, den Preis dieser Änderung: Fünf Jahre Neoliberalismus, fünf Jahre Kontinuität, und für viele heißt das: fünf weitere Jahre Stillstand.
Die Fehler des Frente Amplio
Daß der Kandidat der vereinigten Konservativen gewinnen konnte, lag sicher nicht an seinem Charisma oder an seinen Führungsqualitäten. Bis zuletzt konnte er das Image des ewigen Verlierers nicht abstreifen. Vielmehr war es auch die Unfähigkeit des Frente Amplio und seines Kandidaten, auf die Kampagne der „Colorancos“, wie der Schriftsteller Eduardo Galeano das neu geschmiedete Abwehrbündnis von Colorados und Blancos gegen die Linken nannte, angemessen und machtvoll zu reagieren.
Der massiven Schmutzkampagne in den letzten Tagen vor der Stichwahl hatte das Parteien- und Organisationsbündnis wenig entgegenzusetzen. Der Vorschlag von Vázquez, ein neues Steuersystem einzuführen, berührte den wundesten Punkt aller BürgerInnen: den eigenen Geldbeutel. In den akribisch geführten Tabellen des Frente wurde aufgelistet, daß im neuen Steuerkonzept 70 Prozent aller UruguayerInnen weniger Steuern zahlen sollten, 20 Prozent ebenso viel wie im derzeitigen System und nur zehn Prozent aller BürgerInnen mehr. Den Konservativen gelang es aber mit der massiven Unterstützung der Medien, vor allem durch den Aufkauf fast der gesamten Sendezeit in den staatlichen und privaten Fernsehkanälen, den WählerInnen zu suggerieren, daß erstens jeder zweite mehr Steuern zahlen müsse und daß zweitens das neue System des Frente Amplio das alte nicht ersetzen, sondern zusätzlich zum bestehenden eingeführt werden solle.
Das Linksbündnis vermochte es nicht, eine Strategie zu entwickeln, um auf die Unwahrheiten, Verdrehungen und Verfälschungen zu reagieren, die in den Tagen vor der Wahl von den Colorados verbreitet wurden. Es gab auch keine offensive Kampagne des EP-FA, die Allianz von Colorados und Blancos für ihre Politik der letzten 15 Jahre zur Rechenschaft zu ziehen. Erst zwei Tage vor der Stichwahl tauchten Flugblätter auf, auf denen die Frage gestellt und aus Sicht des Linksbündnisses beantwortet wurde, „Und wer hat das Land bis jetzt regiert?“.
„Wir haben zehn Tage verloren zu reagieren. Und wir machten das mit Würde und Bescheidenheit, versuchten, auf alles Unseriöse seriös einzugehen. Daß wir versuchten, Antworten auf all die Unwahrheiten zu geben, das war unser Fehler“, so die bittere Analyse von Alberto Cid, Senator des Frente Amplio. „Wir haben unsere stärkste Karte nicht ausgespielt, die Mobilisierung unserer Anhänger. Das Paradoxe ist, daß die Colorados uns mit ihrer gewalttätigen und intoleranten Kampagne in die Ecke gedrängt haben und um ihnen keine offene Flanke zu bieten, haben wir keine Leute mobilisiert. Das alles war unnütz, denn sie haben mit der gleichen schmutzigen Kampagne weitergemacht, sie haben unsere Vorschläge verfälscht und ihre verschleiert“, so das Fazit von José „Pepe“ Mujica, für die MPP-MLN, die Partei der ehemaligen Tupamaros, ins Parlament gewählter Senator.
Trotz der Ankündigung einiger Führungspersönlichkeiten der Blancos, Tabaré Vázquez zu wählen, konnte das alte System noch einmal fast alle Stimmen der beiden traditionellen Parteien aus dem ersten Wahlgang Ende Oktober an sich binden. Es gelang dem am 31. Oktober noch so erfolgreichen Kandidaten der Linken nicht, der Mehrheit des Volkes deutlich zu machen, daß eine politische Kraft, die niemals in der Geschichte des Landes die Macht innehatte, in der Lage ist, die in den letzten 15 Jahren seit dem Ende der Militärdiktatur erreichte politische Stabilität zu bewahren. Der versprochene Wechsel, der „cambio a la uruguaya“, der die Hauptbotschaft im Wahlkampf des Frente Amplio war, war für die Mehrheit der traditionell konservativen WählerInnen im Land immer noch mehr Bedrohung und weniger Verheißung.
Trübe Aussichten
In beiden Lagern sind jetzt die Optimisten und die Pessimisten vertreten: Das Glas ist halbvoll oder halbleer. Im EP-FA sind es diejenigen, die immer wieder betonen, daß die wirklich historische Veränderung der politischen Landschaft schon Ende Oktober stattgefunden hat, als die vereinigte Linke 40 Prozent der Stimmen erreichte und damit 40 von 100 Abgeordneten und 12 von 30 Senatorenposten gewinnen konnte. Für wichtige Gesetzesänderungen, die einer Zwei-Drittel-Mehrheit bedürfen, ist die neue Koalitionsregierung auf die Stimmen des Frente Amplio angewiesen. Und da sind die anderen im Linksbündnis, die maßlos enttäuscht darüber sind, daß es nicht gereicht hat, um die Macht zu übernehmen.
Ähnlich im vereinigten Lager der Konservativen: Die Stimmung ist geteilt zwischen denjenigen, die glücklich darüber sind, daß ihr Kandidat endlich die Mehrheit der WählerInnen für sich gewinnen konnte, und anderen, denen es Angst macht, daß die Linken bei jeder Wahl näher dran sind, die Mehrheit der Stimmen zu gewinnen.
Die Stimmung in den Tagen nach der Wahl ist eher trübe, von Euphorie und Aufbruch keine Spur. „Wenn die Politiker nicht die Botschaft verstehen, die ihnen das Volk gegeben hat, dann sind wir auf einem schlechten Weg. Wenn sie denken, eine gute Regierung ist eine, die das schlechteste Wahlergebnis erreicht hat, das die Konservativen jemals hatten, dann haben sie absolut nichts verstanden. Es ist ein absurdes Argument, alles auf die Entwicklung in Brasilien zu schieben, auf die Abwertung der dortigen Währung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen für das Land. Als die Dinge gut liefen, zwischen 1996 und 1998, war auch nicht die Entwicklung in Brasilien dafür verantwortlich, sondern damals selbstverständlich die eigene ökonomische Politik“, so ein Leitartikel in der konservativen Zeitschrift Búsqueda am 2. Dezember, nur wenige Tage nach der Wahl.
Für das Linksbündnis bleibt die Hoffnung auf die Regionalwahlen im Mai 2000 und auf die nächsten Nationalwahlen in fünf Jahren. Die Wahl in den 19 Departamentos könnte dazu führen, daß die Linke neben der Hauptstadt Montevideo, in der sie seit 1990 regiert, auch die Wahlen in den drei bevölkerungsreichsten Provinzen des Landes gewinnt. In beiden Wahlgängen im Oktober und November wurde sie dort stärkste politische Kraft. Und es gibt eine stabile und systematische Tendenz für die FA, die ihren Sieg bei den nächsten Präsidentschaftswahlen sehr wahrscheinlich macht, in der Stichwahl oder sogar schon im ersten Wahlgang.