Haiti | Nummer 237 - März 1994

USA schieben Aristide aufs Abstellgleis

Clinton-Administration für Rückkehr zur Demokratie – doch der gewählte Präsident soll bleiben, wo er ist

Als Premier Malvat im November des vergangenen Jahres eine nationale Konferenz zur Lösung der haitianischen Krise in Port-au-Prince halten wollte, wurden die Militärs dazu eingeladen, jedoch nicht Aristide und seine RatgeberInnen, die bekanntlich aus Sicherheitsgründen zum genannten Zeitpunkt nicht nach Haiti fahren konnten. BeobachterInnen erkannten in Malvats Plan die Hand des “Big Brothers”, um langsam aber sicher die Idee der auf ewig verschobenen Rückkehr des haitianischen Präsidenten hoffähig zu machen. Aristide konterte mit einer nationalen Konferenz auf “sicherem Boden”, in den USA.

Carole Sambale-Tannert

Zu der in Miami durchgeführten Konferenz wurden RepräsentantInnen aller haitianischen politischen Parteien, Organisationen und Gruppen eingeladen. Außerdem sollten VertreterInnen internationaler Organisationen und der nordamerikanischen zivilen Gesellschaft dabei sein. Die zahlenmäßige Beteiligung übertraf alle Erwartungen. Die nationale Konferenz fand ohne die Militärs statt, obwohl Aristide eine Einladung an den von ihm vorgesehenen Nachfolger des derzeitigen Armeechefs Cédras geschickt hatte. Die US-Regierung drohte bis kurz vor dem Beginn mit einem Boykott. Der Zankapfel war ein von Aristide in den Mittelpunkt gerücktes Thema: haitianische Flüchtlinge und US-Abschiebepolitik. Die dreitägige Konferenz brachte aber nur Vorschläge, die der Regierung Aristides vorgelegt wurden. Eine durchsetzungsfähige Resolution oder sogar Mittel zur endgültigen Beendigung der Herrschaft der Militärs in Port-au-Prince wurden jedoch nicht beschlossen.
Still und fast unbemerkt verstrich unterdessen am 15. Januar das Ultimatum, das die sogenannten Vier Freunde Haitis, die USA, Kanada, Frankreich und Venezuela, den Militärs gestellt hatten. Sie hatten mit schärferen Sanktionen gedroht, falls die Putschisten nicht bis zum gesetzten Datum die Macht übergeben haben sollten. Frankreich schlug ein totales Embargo vor, wogegen sich die USA aus humanitären Gründen wandten. Kanada beschloß die Bildung einer haitianischen Polizei außerhalb Haitis; die USA waren in Zugzwang geraten und froren das Guthaben aller haitianischen Militärs auf US-amerikanischem Boden ein. Das Tauziehen um die Vorlage einer Verschärfung der UNO-Sanktionen vor dem Sicherheitsrat findet gegenwärtig unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Bisher geschah jedoch nichts Neues, was die Macht der Militärs ernsthaft gefährdet hätte. Einzig die verschärfte Erdölknappheit in Haiti und die dadurch erzeugte Putschmüdigkeit in den bürgerlichen Kreisen scheinen zu fruchten.
Angesichts der andauernden Verzögerung wandte sich Aristide Anfang Februar an die UNO, die OAS und einzelne “befreundete Staaten”, um Schutz für die verfolgten und flüchtenden HaitianerInnen zu erbitten. Er kritisierte dabei die widersprüchliche Politik der USA gegenüber den haitianischen Flüchtlingen. Das US-Außenministerium hatte einige Tage zuvor in seinem Bericht zur Lage der Menschenrechte in der Welt die Situation in Haiti als katastrophal bezeichnet und die Militärs dafür verantwortlich gemacht. Trotzdem schwimmt die “Berliner Mauer” weiter, wie Aristide die US-amerikanischen Schiffe, die haitianische Flüchtlinge auf hoher See abfangen, genannt hat. Er bezeichnete diese Praxis als unvereinbar mit den internationalen und interamerikanischen Konventionen, denen die USA und Haiti angehören. Er drohte auch mit der Kündigung des Staatsvertrags, den seinerzeit Jean-Claude Duvalier unterzeichnet hat. Dieser gestattet es den USA, die abgefangenen HaitianerInnen ohne jegliche Einschaltung der US-Einwanderungsbehörde und ohne die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung der möglichen Asylanträge nach Haiti zurückzubringen.
Die US-Regierung reagierte prompt und kündigte einen Plan zur Rückkehr der Demokratie in Haiti an, der die sofortige Ernennung eines Premierministers vorsieht, aber die Rückkehr Aristides nach Haiti nicht mehr erwähnt. Daß hiermit die Clinton-Administration hinter die Position des Vorgängers Bush zurückgefallen ist, scheint die US-Öffentlichkeit derzeit nicht zu wundern. Gleichzeitig werden Gerüchte lauter, denen zufolge der Druck der USA auf Aristide, einen ihnen genehmen Premier sehr bald zu ernennen, sich verstärkt haben soll. Der angeblich geeignete Kandidat ist Julio Larosillière, ein Abgeordneter, der sich eindeutig zugunsten des Putsches ausgesprochen hatte. Larosillière reiste bereits nach Washington, um Kontakt mit der US-Administration aufzunehmen. Aristide seinerseits zögerte nicht und veröffentlichte am 15. Februar seine Stellungnahme: “Unter den gegenwärtigen Umständen wäre die Ernennung eines neuen Premierministers unverantwortlich. Nach dem Abkommen von Governors’ Island (das den Rücktritt der Anführer des Staatsstreichs sowie die Rückkehr Aristides zu einem späteren Zeitpunkt vorsah, d. Red.) habe ich bereits einen Premierminister ernannt. Die Gewalt und Unterdrükkung des Militärregimes verhinderten die Regierungsfähigkeit des neu ernannten Premierministers. Das politische Vakuum ist das Ergebnis der Angst, die die Militärs schüren. Die Regierung wird einen neuen Premierminister ernennen, wenn die Putschisten abgetreten und durch Offiziere ersetzt sind, die die zivile Macht anerkennen.”
Es bleibt noch offen, in welchem Ausmaß der Druck der US-Regierung zunehmen und welchen Einfluß dies auf die Position der anderen “Vier Freunde” haben wird. Die Auseinandersetzung zwischen der gewählten Regierung Aristides und den de facto-MachthaberInnen in Port-au-Prince ist bereits seit langem auch zum Kampf zwischen den USA und den haitianischen demokratischen Kräften geworden.


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