USA stoppen „Zeitlupen-Putsch“
Ortega sagt vorläufige Rücknahme der Verfassungsreformen zu
Nicaragua wurde durch die Intervention der USA vor einem gefährlichen Umsturz bewahrt. Diesen Eindruck vermitteln die Berichte der internationalen Agenturen aus Zentralamerika. Tatsächlich griffen die USA nicht zum ersten Mal ein, um einen innenpolitischen Konflikt Nicaraguas zu schlichten. Anders als im frühen 20. Jahrhundert konnten sie allerdings auf Kanonenboote und Invasionstruppen verzichten. Es genügte, dass der stellvertretende Staatssekretär des US-Außenministeriums, Robert Zoellick, nach Managua reiste und die Sperre der US-Hilfe von 175 Millionen US-Dollar sowie Handelssanktionen androhte. „Ihre Chancen werden verloren gehen“, wird Zoellick in der New York Times aus einem Gespräch mit Geschäftsleuten vom 4. Oktober zitiert. Gemeint sind die Exportchancen in die USA. Die Drohung wirkte: Das Destabilisierungsmanöver der Opposition gegen Staatspräsident Enrique Bolaños wurde erst einmal abgeblasen.
Die Opposition gegen Bolaños im nicaraguanischen Parlament setzt sich nicht nur aus Sandinistischer Befreiungsfront FSLN sondern auch aus Abgeordneten der Liberalen Partei PLC zusammen. Diese sind in ihrer Mehrzahl dem Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán hörig, der wegen Bereicherung während seiner Amtszeit zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde.
Unter Führung der ehemaligen Präsidenten Daniel Ortega von der FSLN und Arnoldo Alemán von der PLC haben die beiden Parlamentsfraktionen ein Paket von Verfassungsreformen beschlossen, das die Macht des Staatschefs zugunsten des Parlaments empfindlich beschneidet. Bolaños stilisierte dieses Manöver als „Staatsstreich in Zeitlupe“ zur umstürzlerischen Verschwörung hoch. Denn in Wahrheit geht es nicht nur um eine Stärkung der Legislative auf Kosten der Exekutive, sondern um eine schleichende Entmachtung des Präsidenten zugunsten seiner beiden Vorgänger Ortega und Alemán. Diese haben jetzt schon alle wichtigen Posten in den Staatsorganen unter ihren ParteigängerInnen aufgeteilt. Das Ringen um die Verfassungsreformen hatte das institutionelle Leben Nicaraguas monatelang gelähmt und die Auszahlung internationaler Wirtschaftshilfe blockiert.
Nach Zoellicks Intervention sagte Ortega seinem Widersacher Bolaños bei einem Treffen der beiden am 10. Oktober zu, das Inkrafttreten der Verfassungsreformen bis zum nächsten Amtswechsel im Januar 2007 zurückzustellen. Der nächste Präsident und die nächste Nationalversammlung sollen dann erneut darüber entscheiden.
Dieses so genannte „Ley Marco“, das die Rücknahme der Verfassungsänderungen vorsieht, muss jedoch noch vom Parlament bestätigt werden.
Unmittelbar nach dem Besuch aus Washington ratifizierte das Parlament auch den US-Zentralamerikanischen Freihandelsvertrag CAFTA, der in Nicaragua vor allem von den ImporteurInnen unterstützt wird, aber Kleinbäuerinnen und -bauern in Existenznöte bringt. Wie Ortega es geschafft hat, seine Fraktion davon zu überzeugen, diesem von den Sandinisten bisher erbittert bekämpften Abkommen zuzustimmen, ist unbekannt.
Ziel Präsidentschaft
Oberstes Ziel des ehemaligen Revolutionskommandanten Ortega ist es schlussendlich, nach drei aufeinander folgenden Wahlniederlagen, wieder in den Präsidentenpalast einzuziehen. Eine Wahlrechtsreform und die Spaltung der Liberalen Partei begünstigen seine Absichten. Bisher spekuliert Ortega darauf, dass sein Pakt mit Arnoldo Alemán das antisandinistische Lager spaltet und damit die eigenen Chancen auf die Präsidentschaft erhöht. Das erfordert strategische Zugeständnisse: Eine sandinistisch dominierte Justiz sorgte dafür, dass Arnoldo Alemán zuerst in Hausarrest entlassen und zuletzt überhaupt bedingt auf freien Fuß gesetzt wurde. Dieser garantiert im Gegenzug, dass die Liberalen gespalten bleiben.
Ortegas Einlenken im Streit um die Verfassungsreform ist nun ein neuer Schachzug im Machtpoker des Sandinistenführers. Am 14. Oktober traf er sich nochmals mit Präsident Bolaños und distanzierte sich danach öffentlich vom Pakt mit den Liberalen. Ortega gab bekannt, die PLC habe ihm gegenüber gefordert, einer Rücknahme der Verfassungsänderungen nur dann zuzustimmen, wenn eine Amnestie des verurteilten Ex-Präsidenten Alemán vorangetrieben würde. Er distanzierte sich von dieser Forderung und sagte „der Pakt, wie viele es nannten, mit der liberalen Partei, hat keinen Sinn mehr“.
Es bleibt abzuwarten, wie lange dieser Positionswechsel Ortegas anhält – es ist schließlich nicht der erste. Die PLC widersprach Ortegas Aussagen: Der Pakt sei nicht beendet noch würde er in Zukunft beendet werden. Bereits ein Jahr vor den Wahlen ist in Nicaragua der Wahlkampf in vollem Gange.